Archiv für die Kategorie ‘Rasensprenger’

Leben und Tod

Frau B am Samstag den 25. September 2010

Es ist momentan nicht einfach, ein Liverpool-Fan zu sein. Am Mittwochabend machten sich die «Reds» zum Gespött der englischen Fussballwelt, als sie in der dritten Runde des League Cup an Northampton scheiterten, einem League Two Club (das entspricht der vierten Liga), im Penaltyschiessen. Da hat wohl die Liverpooler Jugend gespielt, hofft man, aber nein, in der Aufstellung fanden sich nicht wenige Spieler aus der ersten Mannschaft. Und was die auf dem Platz boten, war beschämend.

Nicht viel besser sah es am letzten Sonntag aus, als Liverpool in der Liga gegen Manchester United verlor. Das schmerzt natürlich besonders, weil die United der Todfeind ist, aber im Old Trafford darf man schon einmal verlieren. Doch das knappe Resultat (3:2) darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Auftritt von Liverpool sehr durchschnittlich war. «Like a mid table club», konstatierte mein englischer Arsenal-Freund, und sogar er findet den Zustand der «Reds» traurig. Liverpool spielt unter Roy Hodgson, der im Sommer das Zepter von Rafa Benitez übernommen hat, alles andere als Spitzenfussball.

Hodgson ist ja auch nicht der grosse Name, den die Fans sich als Trainer wünschen. Nur, ein grosser Name wird sich hüten, nach Liverpool zu kommen, solange die beiden amerikanischen Besitzer Hicks und Gillett den Club nicht verkaufen. Sie haben den FC Liverpool so sehr mit Schulden belastet, dass kaum Geld für Transfers zur Verfügung steht. Die Mannschaft ist – bis auf wenige Ausnahmen – Mittelmass. Von den ersten fünf Ligaspielen konnte sie gerade eines gewinnen, gegen den Aufsteiger West Bromwich Albion. Das neureiche Manchester City erteilte Liverpool eine Lektion (3:0). Als ausgerechnet zwei meiner Lieblings-Engländer – Gareth Barry auf Flanke von James Milner – das 1:0 erzielten, wusste ich: Das wird eine lange Saison.

Bill ShanklyBill Shankly würde sich im Grab umdrehen, wenn er um das Befinden des Clubs wüsste, den er als Trainer gross gemacht hat. Für Liverpool-Fans ist Shankly eine Legende, aber auch wer seinen Namen nicht kennt, kennt mindestens sein berühmtestes Zitat: «Es gibt Leute, die denken, Fussball ist eine Frage von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann Ihnen versichern, dass es noch sehr viel ernster ist.» Am 29. September jährt sich Shanklys Todestag zum 29. Mal. He made the people happy, lautet die Inschrift auf der lebensgrossen Bronzestatue, die an der Anfield Road steht.

Ja, Fussball kann glücklich machen. Oder traurig oder wütend. Mich deprimiert er zurzeit. Ein bisschen wenigstens – vielleicht eine halbe Stunde lang nach einem verlorenen Spiel –, denn wichtig ist Fussball nicht, da muss ich Bill Shankly widersprechen. So richtig bewusst wurde mir das wieder einmal, als im Liverpool-Forum ein Fan kurz nach dem City-Match erzählte, seine geliebte Tante sei eben überraschend gestorben. So etwas rückt einen missglückten Saisonstart doch gleich in ein anderes Licht.

Grossformat

Herr Pelocorto am Samstag den 18. September 2010

LIVE: Spiez – Young Boys 0:7 (20./72./79. Mayuka, 32./44./84. Marco Schneuwly, 82. Raimondi vor 3650 Zuschauern

Diese Woche habe ich mich mit dem Nordischen Format herumgeschlagen. Keine Angst, wir wechseln nicht zum Wintersport, es geht vielmehr um Informationsbeschaffung. Ich liebe nämlich Zeitungen. Wenn ich in den Ferien bin, dann kaufe ich immer Zeitungen. Die letzten Tage habe ich mit Frau B die Küste Nordvorpommerns erkundet und abends in unbekannten Zeitungen geblättert, die im erwähnten riesigen Format daherkommen.

Am Montag wollte ich wissen, wie die Fussballspiele in der Schweiz ausgegangen sind, musste aber feststellen, dass etwa in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung dem internationalen Fussball so wenig Platz eingeräumt wird, dass ich die Tabellen erst bei der zweiten Durchsicht entdeckte. Die AXPO Super League zählt dabei nicht zum internationalen Fussball, denn die Angaben beschränkten sich auf die Ergebnisse und Tabellen aus den grossen Ligen. So habe ich auch nichts erfahren über die dramatischen Ereignisse im Stade de Suisse. Schweizer sind aber durchaus Thema im Sportteil deutscher Zeitungen, allen voran Christian Gross mit dem kapitalen Fehlstart des VfB Stuttgart. Gut, wenn ich an die internationalen Spiele unserer Club-Mannschaften in dieser Woche denke, dann ist es wohl besser, wenn nicht allzu viel über Schweizer Fussball berichtet wird …

In den Sportteilen der deutschen Zeitungen dominierte diese Woche die Champions League und das kommende Wochenende, das mit vier Derbys aufwartet. Bereits gestern trennten sich in der zweiten Bundesliga im Hauptstadt-Derby der 1. FC Union Berlin und Hertha BSC 1:1 Unentschieden. Heute Nachmittag um 15:30 Uhr kommt es zum Niedersachsen-Derby zwischen dem VfL Wolfsburg und Hannover 96. Am Sonntag um 15:30 Uhr trifft der HSV im Hamburger Derby auf den FC St. Pauli. Und zwei Stunden später kommt es zum grossen Revierderby in Gelsenkirchen: Schalke 04 empfängt Borussia Dortmund. In der ebenfalls riesigen WELT lernte ich dazu in einem Interview mit Peter Lohmeyer, dem Darsteller des Vaters Richard im Film Das Wunder von Bern, dass man als hartgesottener Schalke-Fan die Borussen als «Zecken» bezeichnet. Lohmeyer verriet auch, dass er die Derbys lieber auswärts sehe, denn da schmerze eine Niederlage von Schalke 04 etwas weniger.

TrostspenderÜber das aktuelle FIFA-Ranking wurde in den deutschen Blättern diese Woche auch berichtet, schliesslich hat die deutsche Elf Brasilien überholt und sich auf Rang 3 vorgearbeitet. Wir Schweizer haben derweil vier Plätze verloren und liegen auf Platz 21.

Wohl um mich ein wenig aufzumuntern, hat mein Schwiegervater dieses kleine Arrangement bereit gestellt, das mich nach der Ferienrückkehr empfangen hat.

Fussball schauen

Frau B am Samstag den 11. September 2010

Ich gehe davon aus, dass Sie das häufig und gerne tun, wenn Sie das «Runde Leder» lesen. Und folglich lesen Sie auch, was über Fussball geschrieben wird, und diskutieren mit Gleichgesinnten über Fussball. Dann passiert es Ihnen bestimmt auch hin und wieder, dass Sie absolut nicht einverstanden sind mit dem Geschriebenen oder Gesagten, was die Leistung eines Fussballers in einem Match betrifft oder die Darbietung des Schiedsrichters oder das Spiel überhaupt. Und da Ihr Gegenüber beziehungsweise der Autor wie Sie kein Fussballlaie ist, fragen Sie sich vielleicht: ‹Hat der das gleiche Spiel gesehen wie ich?›

Die Frage zielt in die richtige Richtung, aber sie ist falsch gestellt; sie müsste nämlich lauten: ‹Hat der das Spiel überhaupt gesehen?› Natürlich hat er – jedenfalls ist er fest davon überzeugt. Fragt sich nur, wie sehr er bei der Sache, also beim Spiel, war. Bei meinem letzten Besuch im Stadion beobachtete ich mit wachsendem Erstaunen, dass viele Zuschauer häufig auf ihre Handys blickten anstatt auf den Rasen. Es ist erwiesen, dass sich der Mensch nicht auf zwei oder mehr Dinge gleichzeitig konzentrieren kann. Das Gehirn kann nur einer Sache aufs Mal bewusst Aufmerksamkeit widmen, es ist nicht fähig zu echtem Multitasking (der Computer ist es übrigens auch nicht). Da zahlen manche Stadionbesucher also eine erkleckliche Summe, um ein Spiel anstatt aus der TV-Kameraperspektive direkt mit eigenen Augen zu verfolgen, und verpassen einen grossen Teil davon.

Harry Redknapp verpasst das Spiel

Als Mitglied eines FC-Liverpool-Internetforums wundere ich mich auch immer wieder darüber, wie viele Fans während eines Spiels ihrer ‹Reds› Zeit finden, haufenweise schriftliche Kommentare abzugeben, während sie die Partie am TV oder via Stream verfolgen. Ich habe nur einmal versucht, während eines Liverpool-Matches im Forum mitzudiskutieren. Frustriert stellte ich fest, dass die Hälfte des Spiels meiner Aufmerksamkeit entgangen war. Ich glaube nicht, dass irgendjemand auf diese Weise einen gescheiten Kommentar zum Geschehen auf dem Platz abgeben kann, weder während des Spiels, noch nachher. Nie wieder, sagte ich mir, und ich habe auch aufgehört, Spiele anderer Teams mit dem Notebook auf dem Schoss zu verfolgen. Es ist ungeheuer befreiend, sich voll und ganz einer einzigen Sache zu widmen.

Überhaupt geniesse ich es, regelmässig offline zu sein, mich gar der Langeweile auszusetzen, indem ich mich durch nichts unterhalten und ablenken lasse. Solche Momente brauche ich, damit ich auf eigene Ideen komme und meine Gedanken spinnen kann, zum Beispiel für diese Kolumne. Während Sie das lesen, langweile ich mich gerade mit Herrn Pelocorto beim Wandern – grossartig!

Um jeden Preis?

Herr Pelocorto am Samstag den 4. September 2010

Schweiz v England, Schweiz v WalesDass mir der englische Fussball und auch die ‹Three Lions› gefallen, ist kein Geheimnis. Ich habe mich deshalb sehr gefreut, als bei der Auslosung der Qualifikationsgruppen für die Euro 2012 anfangs Februar in Warschau die Schweiz und England der gleichen Gruppe zugeteilt wurden. England spielt in der Schweiz – den Termin vom 7. September habe ich mir natürlich sofort in der Agenda eingetragen.

Dann und wann habe ich nachgeschaut, ob man schon Tickets kaufen kann, bis der Schweizerische Fussballverband im Juni bekannt gegeben hat, dass Tickets nur im Doppelpack für die beiden ersten Heimspiele erhältlich seien. Wer also England sehen will, muss auch Wales sehen. Der Preis für ein Doppelticket auf der Haupttribüne: 230 Franken.

Das passt mir gar nicht. Nicht, dass ich mit Wales ein Problem habe, im Gegenteil, dort laufen etwa mit Craig Bellamy und Gareth Bale interessante Spieler auf. Aber dass der Schweizerische Fussballverband mir vorschreibt, welche Spiele ich zu sehen habe, das macht mich ungehalten. Vermutlich hat der Verband Angst, dass das Spiel gegen Wales am 12. Oktober weniger Zuschauer anzieht, da kommt das Englandspiel als Zugpferd ganz gelegen. Ich werde das Spiel wohl am Fernsehen verfolgen.

Auf dem Platz wird es am kommenden Dienstag aus englischer Sicht um Wiedergutmachung gehen; nach dem überzeugenden Sieg gestern gegen Bulgarien muss das Team mit einem weiteren starken Auftritt das Vertrauen der Fans festigen. Für die Schweiz mache ich mir nicht viel Hoffnung, die Partie wird verloren gehen.

Fairerweise muss man noch anfügen, dass seit 1. September noch 1’000 Einzeltickets für das Englandspiel in den Vorverkauf gekommen sind.

Mickey Mouse

Frau B am Samstag den 28. August 2010

Am Donnerstag war die Auslosung für die Gruppenphase der Champions League, und sie hat mich so wenig interessiert wie schon lange nicht mehr. Genau gesagt, so wenig wie im Jahr 2003, als sich der FC Liverpool das letzte Mal nicht für die europäische Königsklasse qualifizierte. Die Auslosung war die gewohnt aufgeblasene Show; «wie bei Nespresso», meinte Herr Pelocorto, «viel Gedöns um wenig Inhalt». Weil ich gerade Buttermilch-Pancakes zubereitete, sah ich nur noch die Zuteilung aus dem letzten Topf. Beim Essen studierte ich die Gruppen und verspürte überhaupt keine Lust auf die kommenden Spiele, denn keinem einzigen Team in der diesjährigen Champions League mag ich den Titel gönnen.

Die Italiener sind mir generell unsympathisch wegen ihrer zynischen Spielweise. Mit den Deutschen habe ich nichts am Hut. Die Franzosen sind okay, aber sie kommen nie weit. Der FC Barcelona ist das fussballerische Äquivalent zu Apple: ein Club für fanboys, zudem für meinen Geschmack zu politisch. Real Madrid habe ich immer gemocht, aber ich kann José Mourinho nicht ausstehen. (Eine Bemerkung am Rande: Welcher Journalist hat eigentlich die «Erkenntnis» in die Welt gesetzt, Mourinho würde mit seinem Gehabe absichtlich die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, um den Druck von seinen Spielern zu nehmen? Obwohl dies von allen Medien seit Jahren unermüdlich wiederholt wird, halte ich es für kompletten Unsinn. Er ist ganz einfach ein stilloser Egomane, der unendlich gerne im Rampenlicht steht.) Chelsea ist ein Plastikclub gesponsert mit schmutzigem Geld. Manchester United hat einen äusserst unsympathischen Coach, der Medien und Offizielle einschüchtert und manipuliert. Arsenal ist eigentlich in Ordnung, aber der scheinheilige Monsieur Wenger geht mir auf die Nerven. … Ich könnte so weiterfahren bis zum hintersten und letzten der 32 Clubs, aber die «kleinen» Vereine in der Champions League sind sowieso nur Kanonenfutter.

Es wird mir also nichts anderes übrig bleiben, als mich auf die Europa League zu freuen, obwohl es vorgestern Abend lange danach aussah, als würde Liverpool die Qualifikation gegen Trabzonspor nicht schaffen. Lustigerweise finden sich die «Reds» jetzt in einer Gruppe wieder, die schwieriger anmutet als Arsenals Champions-League-Los. Aber wer weiss, vielleicht schafft es der FC Liverpool ja, die Europa League zu gewinnen. Und vielleicht dazu den einen oder anderen Cup, so wie im Jahr 2001, als man das Mickey Mouse Treble holte, wie es von Rivalen abschätzig genannt wird (UEFA Cup, FA Cup und League Cup). Ausserdem spielt ja in der Europa League mit Aston Villa ein weiterer Club, den ich gerne mag.

Wie? – Oh.

Rapid Wien Fans schüchtern auswärts Aston Villa ein. Mit Erfolg; Rapid gewinnt 3:2 und kegelt Villa bereits zum zweiten Mal aus einem europäischen Wettbewerb. Der Klick auf das Bild führt zum Matchbericht.

Avis zum Remis

Herr Pelocorto am Samstag den 21. August 2010

Joseph S. Blatter hat sich zu Beginn der Weltmeisterschaft gelangweilt. «Die Mannschaften starten in die Vorrunde, und in erster Linie wollen sie nicht verlieren – und dann gibt es ein langweiliges Spiel», weiss der FIFA-Präsident. Deshalb soll das Remis in den Gruppenspielen abgeschafft werden. Steht ein Vorrundenspiel nach 90 Minuten Unentschieden, soll der Sieger im direkt anschliessenden Penaltyschiessen ermittelt werden. Davon verspricht sich Blatter interessantere Spiele.

Ich habe mich gefreut, dass unser oberster Fussballer das Spiel attraktiver gestalten will. Aber die Abschaffung des Unentschiedens ist der falsche Weg. In der Gruppenphase, wo nach drei Spielen die Hälfte aller Teams aussscheidet, kann sich niemand ein Unentschieden leisten, zu gross ist der Druck der 3-Punkte-Regel.

Unentschieden abschaffen?Dass ein Team attraktiver spielt, weil ein Penaltyschiessen droht, ist mir bis jetzt nicht wirklich aufgefallen, eher das Gegenteil. Ein schwaches Team kann sich mit einer soliden Verteidigungsleistung über die Zeit retten und dann auf Kollege Kaltblut hoffen. Zudem kann ich mich an einige Spiele erinnern, die mit einem spektakulären Unentschieden geendet haben.

Um die Spiele attraktiver zu gestalten, sind schon viele Vorschläge aufgeworfen worden, etwa die Tore grösser zu machen, damit mehr Tore fallen. Oder Zeitstrafen einführen; wieso nicht einen Spieler für 15 Minuten auf die Bank schicken, statt mit einer Gelben Karte bestrafen?

Attraktivere Spiele heisst auch Spiele mit weniger Fouls. Deshalb könnte man Fouls härter ahnden, ein besonders grobes Foul ausserhalb des Strafraums kann durchaus mit einem Penalty bestraft werden. Ein Verzicht auf die Mauer beim direkten Freistoss würde ebenfalls für mehr Aufregung sorgen, und der Verteidiger wird sich dann wohl zweimal überlegen, ob er den Angreifer wirklich umsäbeln will.

Eine andere Idee möchte ich sofort umgesetzt wissen: den Einkick anstelle des Einwurfs! Ein angreifendes Team wird mit flanken- oder eckballartigen Hereingaben für Gefahr oder mindestens Spektakel sorgen. Deshalb wird die verteidigende Mannschaft versuchen, den Ball möglichst im Spiel zu halten, statt ihn einfach wegzuschlagen. Beides macht das Spiel attraktiver. Zudem bleibt Fussball mit dem Einkick Fussball und wird nicht temporär zum Handball!

Kick-off

Frau B am Samstag den 14. August 2010

Heute hat die Sommerpause vieler Fussballfans ein Ende, denn Punkt 13.45 Uhr startet die Premier League mit dem Spiel Tottenham Hotspur gegen Manchester City in die neue Saison. Und das ist auch schon alles, was ich Ihnen verraten darf, denn – schwer zu glauben – der Spielplan ist Eigentum der Football Association und urheberrechtlich geschützt. Erwähne ich hier mehr als eine Paarung vor dem eigentlichen Spiel, verstosse ich gegen das Gesetz, es sei denn, ich hätte die Lizenzgebühr von rund 250 Pfund bezahlt, was ich natürlich nicht habe.

Die Zusammenstellung des Spielplans für die Premier League und die Football League ist eine äusserst komplizierte Sache, bei der unzählige Faktoren berücksichtigt werden müssen. Zum Beispiel wird darauf geachtet, dass zwei Clubs aus derselben Stadt, wie Liverpool und Everton, nicht am gleichen Wochenende ein Heimspiel austragen. In London mit seinen 14 Proficlubs wird das dann schon komplexer. Man will einerseits vermeiden, dass Verkehrswege überlastet werden, und andererseits einander nicht das Publikum streitig machen, vor allem in den unteren Ligen. Es kommt aber auch vor, dass Clubs sich die Stewards teilen (so Colchester und Ipswich) und deshalb nicht gleichzeitig zu Hause spielen können.

Dann gibt es weitere Regeln, wie zum Beispiel, dass nicht mehr als zwei Heimspiele hintereinander stattfinden dürfen. Ausserdem redet die Polizei wegen der Sicherheit ein Wörtchen mit und die Clubs selbst dürfen Anträge stellen und so weiter. Nach einer ausgiebigen Jongliererei und mit Computerhilfe entsteht der neue Spielplan, der jeweils im Juni veröffentlich wird. Die Fans stürzen sich auf die fixture list und erkennen auf einen Blick, dass ihr Team schon wieder krass benachteiligt wird.

Einen Tag vor der Publikation orakelte ein Liverpool-Fan in einem Internetforum: «Wir werden mit einem schwierigen Auswärtsspiel beginnen und auch am letzten Spieltag nicht zu Hause spielen. Chelsea und Manchester United hingegen werden mit Heimspielen gegen einen Aufsteiger anfangen. Mit anderen Worten: Die Welt ist rund.» Er lag mit seiner Prognose nur wenig daneben, und auch ich merke, dass ich langsam paranoid werde: Jedes Jahr stechen mir mehr Ungerechtigkeiten ins Auge. Beruhigend ist einzig, dass absolut jeder Fan das genau gleiche Gefühl hat.

Ein schwieriges Spiel hat Liverpool an diesem Wochenende in der Tat, wenn auch im eigenen Stadion an der Anfield Road. Es ist ein Spiel, welches das Potenzial für Missstimmung im Hause B und P in sich trägt. Herr Pelocorto und ich haben deshalb fast mit einer gewissen Erleichterung eine Einladung zur teatime am Sonntag angenommen, so dass wir das Match verpassen werden.

Come on you Reds!

Zahlen, bitte!

Herr Pelocorto am Samstag den 7. August 2010

Am weitesten sind die Amerikaner gerannt. Über 118 Kilometer pro Spiel haben die Soccer Boys an der Weltmeisterschaft abgespult. Die Japaner rannten über 116 Kilometer weit, die Australier über 112 Kilometer. Spanier und Schweizer waren deutlich gemächlicher unterwegs, 109.6 und 109.4 Kilometer ermittelten die Vermesser. Die Niederlande? Spaziergänger mit 107 Kilometer. Aber nichts im Vergleich mit den Brasilianern, die mit 100 Kilometern zur Gruppe der Allerfaulsten gehörten.

Was können wir aus diesen Zahlen herauslesen? Nichts. Darum verstehe ich auch nicht, wieso die Fernsehstationen bei einem ausgewechselten Spieler dessen zurückgelegte Distanz einblenden. Mit dieser Zahl kann ich nichts anfangen; sie sagt nichts aus über die Leistung des Spielers und schon gar nichts über das Spiel.

Ähnlich wenig bringt mir die Einblendung zum Ballbesitz. Was denken Sie über ein Team, das 54% Ballbesitz aufweist? Und was über ein Team mit 57%? Gehen wir nochmals zurück an die Weltmeisterschaft. Portugal schlägt mit 54% Ballbesitz Nordkorea 7:0 und die Dänen gehen mit 57% Ballbesitz gegen die Japaner mit 1:3 unter.

Dabei gibt es durchaus Zahlen, die mich interessieren. Bei einem Stürmer möchte ich wissen, wie oft er auf das Tor geschossen hat, wie viele dieser Schüsse neben und wie viele auf das Tor gingen. Daraus liesse sich ein Erfolgsquotient ermitteln und ich könnte meine Faustregel überprüfen, dass ein Topstürmer vier gute Chancen braucht, bis der Ball im Netz ist. Beim Mittelfeldspieler möchte ich die Pässe ausgewertet haben. Wie viele seiner Pässe kommen an? Wie viele Bälle gehen verloren? Und beim Verteidiger geht es um die Zweikämpfe. Wie oft setzt er sich durch, wie oft kann er den Ball zurückerobern?

Die FIFA hat dazu umfangreiches Material aufbereitet. Ich hoffe, dass weitere Institutionen und Medien diesem Beispiel folgen und solche Auswertungen vermehrt schon im Spiel oder später in der Berichterstattung veröffentlichen. Auf die Angabe von Ballbesitz und gelaufenen Distanzen darf dafür getrost verzichtet werden.

Wenn Sie sich vertieft mit der Welt der Fussballdaten auseinandersetzen möchten, dann empfehle ich Ihnen Christoph Biermanns Buch Die Fußball-Matrix.

Wirksamster Stürmer an der Weltmeisterschaft war übrigens der Schweizer Gelson Fernandes. Jeder seiner Torschüsse war ein Tor – nun gut, es war ein einziger Torschuss in allen drei Spielen, aber immerhin! Was, Sie haben bis hierhin gelesen? Wunderbar! Zur Entspannung dürfen Sie das Finalspiel zwischen Spanien und der Niederlande nach Herzenslust auswerten: Diesen Beitrag weiterlesen »

Griechischer Salat

Frau B am Samstag den 31. Juli 2010

«Machst Du uns einen Griechischen Salat zum Abendessen?», bat ich Herrn Pelocorto am letzten Sonntag kurz vor sechs Uhr. Bei uns ist es gewöhnlich so, dass ich während der Woche koche und er am Wochenende. Herr Pelocorto schnitt eine Grimasse: «Soso, ich muss Salat rüsten, während Du auf dem Sofa liegst und Tour de France guckst.» Ich sagte nichts und konzentrierte mich auf das Geschehen auf der Champs-Élysées, das doch noch spannend wurde, nachdem die Velofahrer mit Champagnerkelchen in den Händen Richtung Paris gebummelt waren. «Also gut», brummte Herr Pelocorto und schlich Richtung Küche davon.

Griechischer Salat

«Was war jetzt eigentlich so schlimm am Griechischen Salat, der schmeckt ja super!», wollte ich von ihm wissen, als wir später beim Nachtessen sassen. Ich war zufrieden, denn mein Lieblingsfahrer hatte gerade die letzte Etappe gewonnen. «Natürlich schmeckt er super. Wenn ich etwas nicht gern mache, heisst das ja noch lange nicht, dass ich es nicht kann!», entgegnete Herr Pelocorto leicht gereizt. «Wenn Du nicht so kleine Würfel schneiden würdest, wärst Du auch schneller fertig», erklärte ich, «bei den Griechen sind die Stücke mindestens viermal grösser als bei Dir. Ausserdem ist das rüstungstechnisch ein sehr freundlicher Salat, da muss man ja nur eine Gurke schälen und entkernen. Alles andere musst Du ja nur waschen und kleinschneiden. Ich verstehe wirklich nicht, was daran so schlimm sein soll. — Warte nur, das nächste Mal wünsche ich Kopfsalat und kaufe einen, der voll ist mit Erde, Schnecken und Läusen», grinste ich. «Der fliegt gleich auf den Kompost», erwiderte Herr Pelocorto, und: «Salat rüsten ist einfach eine grauenhafte Arbeit, Punkt.»

Wir assen den wunderbarsten Griechischen Salat, den man sich vorstellen kann. Ich beschrieb Herrn Pelocorto detailliert den Schlusssprint der letzten Tour-de-France-Etappe, vermochte ihn aber nicht so recht zu begeistern. Ihn beschäftigte etwas anderes: «Ach, eigentlich hat es überhaupt nichts mit dem Salat zu tun. Ich hasse es einfach, wenn der GC gegen den FCZ verliert. Wir machen das Spiel, nutzen aber unsere Chancen nicht, und der FCZ macht aus zwei Angriffen zwei Tore. Wir sind einfach zu naiv.»

Tore: 0; Stimmung: 10

Herr Pelocorto am Samstag den 24. Juli 2010

Über das Freundschaftsspiel zwischen den Grasshoppers und dem FC Liverpool gibt es wenig zu berichten. Das Geschehen am Rand war weitaus faszinierender.

Die Hertiallmend in Zug hat wohl selten einen solchen Ansturm erlebt wie am letzten Mittwochabend. Wo offiziell 4’900 Gäste Platz haben, drängten sich knapp 6‘000 Fans, die mehrheitlich Rot trugen. Trotz aller Enge und der schwülen Hitze herrschte eine ausgesprochen friedliche Stimmung. Scheinbar alle Fans des FC Liverpool in der Schweiz wollten ihren Club sehen, der zur Zeit in Bad Ragaz sein traditionelles Vorbereitungslager abhält. Wie meistens bei solchen Freundschaftsspielen war das Geschehen auf dem Platz, um es vornehm zu sagen, wenig spektakulär und das Schlussergebnis von 0:0 passte gut zur mageren Kost. Ich konnte mich mit gutem Gewissen dem Geschehen neben dem eigentlichen Spiel widmen und ich habe mich bestens unterhalten.

Die Fans der ‹Reds› waren natürlich gespannt auf den ersten Auftritt ihres Teams unter Roy Hodgson. Das erste Raunen gab es beim Einlaufen der Spieler: Die ‹Reds› trugen das nigelnagelneue dritte Trikot in Schwarz-Gelb. Dann wurde auch der letzte Liverpool-Fan unruhig: Joe Cole und Milan Jovanović, die beiden neuen Spieler, tauchten aus dem Gang auf und setzten sich auf die Klappstühle am Spielfeldrand.

Ringsum zückten die Fans ihre Digitalkameras und schossen Bilder; die Kecksten sausten gleich nach unten und wollten sich das Programm oder ein Shirt signieren lassen. Cole vertröstete seine Anhänger bis zur Pause, wo er dann mit Engelsgeduld alle Wünsche erfüllte. Jovanović wurde von den nicht wenigen serbischen Fans in Beschlag genommen und liess sich zigmal mit ihnen zusammen ablichten.

Überhaupt hatten die Liverpool-Stars keine Berührungsängste und schienen den Kontakt mit den Zuschauern zu geniessen; Cole, Jovanović und Kyrgiakos haben während des Spiels vermutlich mehr mit den Fans geplaudert als mit ihren Team-Kollegen.

Der harte Kern der Grasshopper-Fans feuerte derweil die Blauweissen an und sang aus voller Kehle. Für das Freundschaftsspiel hatte man extra eine neue Textzeile mit subtilem Humor einstudiert. So weiss ich jetzt, dass ich als GC-Anhänger «lieber schwul als Liverpool» bin. Dass Philipp Degen bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen wurde, passte gut dazu.

Nicht nur von links her pfiff es, sondern auch von oben herab. Im Tribünendach nisten Schwalben, die sich vom seltsamen Treiben unter ihnen wenig stören liessen und führten Flugakrobatik rund um das Dach vor. Dasselbe geschah auf dem Platz (GC-Spieler Lenjani, Gelbe Karte).

Dann endlich hatte Schiedsrichter Circhetta ein Einsehen und pfiff die ereignisarme Begegnung ab, worauf die Fans aus lauter Freude gleich den Platz stürmten, um ihren Idolen einmal wirklich nahe zu sein. Auch das liessen die Liverpool-Spieler und die Hoppers geduldig über sich ergehen. Die Trainer Roy Hodgson und Ciriaco Sforza umarmten sich und tauschten noch ein paar Worte aus. Der Fussballabend endete, wie er begann: friedlich.

21. Juli 2010, Hertiallmend Zug: Liverpool FC v Grasshopper Club Zürich

Liverpool FC
Cavalieri,
Degen (69. Irwin), Kelly, Ayala, Darby,
Leiva (61. Thomas Ince, der Sohn von Paul Ince), Aquilani (61. Shelvey), Spearing, Pallson,
Eccleston (80. Robinson), N‘Gog (61. Dalla Valle)

Grasshoppers
Benito,
Menezes (45. Voser), Colina (45. Vallori), Smiljanic (45. Cvetinovic), Pavlovic (45. Ruiz),
Toko (45. Basha), Salatic (45. Chappuis), Abrashi (45. Hajrovic),
Lang (45. Emerghara), Rennella (45. Brindeiro), Zuber (45. Lenjani)

Saisonauftakt

Frau B am Samstag den 17. Juli 2010

«Hast Du Lust, zum ersten Spiel der neuen Saison in den Letzigrund mitzukommen?», das fragte mich Herr Pelocorto vor zehn Tagen, also an dem Tag, als Deutschland und Spanien um den Einzug in den WM-Final spielten. «Gute Güte, schon wieder Saisonbeginn?», entfuhr es mir. Die Weltmeisterschaft war in der entscheidenden Phase, die Tour de France hatte gerade begonnen und versprach aufregend zu werden. Der Sinn stand mir überhaupt nicht nach Super League, und auch nicht nach irgendeiner anderen Fussballliga. Ich hatte die letzte Saison ja gar noch nicht richtig verdrängt.

Wie auch? Sie war zum Abgewöhnen gewesen: Der FC Liverpool vermasselte seine Meisterschaft gewissenhaft vom ersten bis zum letzten Tag. Bereits das Auftaktspiel ging verloren (auswärts gegen Tottenham, und ich weiss das ohne Google), in der Champions League hiess es nach der Gruppenphase Adieu, in den Cup-Wettbewerben schied man ebenfalls früher oder wenig später aus, und Ende Mai standen die ‹Reds› mit leeren Händen auf Platz sieben. Immerhin ein UEFA-Cup-Rang, juche.

Nun gut, es gibt ja noch andere Vereine, die mir nicht total unsympathisch sind. Gelegentlich werfen mir die Kollegen im Liverpool-Forum – und auch Herr Pelocorto – vor, ich sei eigentlich Aston-Villa-Fan, was natürlich gelogen ist. Aber auch Villa machte während der letzten Saison keine grossen Sprünge: Nach einem guten Start verliessen die Mannschaft gegen Ende Saison die Kräfte einmal mehr. Einen Lichtblick gab es wenigstens in England: West Bromwich Albion gelang der direkte Wiederaufstieg in die Premier League! Wenn ich allerdings auf die ‹Baggies› zurückgreifen muss, damit ich einen Saisonhöhepunkt verzeichnen kann, bringt mich das schon ein wenig ins Grübeln.

Wenden wir uns also lieber dem Schweizer Fussball zu. Aber was sehen wir da? Der unabsteigbare FC Aarau – mein local team – in die Challenge League relegiert! Und das, obwohl ich wieder Aktien gekauft habe. Immerhin scheint der Trend beim Grasshopper Club Zürich aufwärts zu gehen, wenn man die Resultate der letzten Saison betrachtet. Trotzdem kommt es mir vor, als befinde sich GC in einer nicht enden wollenden Übergangsphase. Herr Pelocorto las mir die GC-Zuzüge aus der Zeitung vor: «Amir Abrashi, Ivan Benito, Silas Brindeiro, Charyl Chappuis, Dusan Cvetinovic, Innocent Emeghara, Steven Lang, Ermir Lenjani, Swen König, Daniel Pavlovic.» Klingende Namen tönen anders.

Wen wundert es da, dass mir die neue Saison gestohlen bleiben kann? Heute Abend also ist das Auftaktspiel von GC gegen Xamax im Letzigrund? – Klar bin ich dabei!

Bratwurst und Bürli im Letzigrund

Nicht normal

Herr Pelocorto am Samstag den 10. Juli 2010

Im FIFA World Cup International Broadcast Centre Control Room

Zuerst sehe ich die Reaktion in ihren Gesichtern. Ein leichtes Rümpfen der Nase oder ein feines Heben der Brauen. Dann wiederholen sie es. Du hast wirklich alle Spiele gesehen? Ja, klar, es ist schliesslich Weltmeisterschaft. Und arbeiten musst du nicht? Nein; ich habe Ferien genommen. Aha, sagen sie und im Tonfall höre ich ein feines “nicht normal” heraus.

Dann wechseln sie sanft das Thema. Gehst du ans Zürich-Fest? Am Bellevue haben sie scheint’s ein Public-Viewing eingerichtet, das wäre doch etwas für dich?
Nein danke, interessiert mich beides nicht; ich möchte in Ruhe die Viertelfinals sehen.

Schliesslich ist eine Fussballweltmeisterschaft kein Buffet, wo man sich da und dort ein Häppchen auf den Teller legt, sondern ein Fünfgänger, bestehend aus Gruppenspielen und vier K.O.-Runden, der schön der Reihe nach genossen werden will. Sie essen ja auch nicht nur die Suppe und das Dessert und lassen den Rest weg.

Ich will alles sehen.

Ich will sehen, wie Neuseeland gegen die Slowakei durch ein Tor im allerletzten Moment den ersten WM-Punkt holt, wie die Nordkoreaner gegen Brasilien den Anschlusstreffer erzielen und die Seleçao nochmals zittern lassen oder wie der Däne Bendtner im Spiel gegen Japan vor seiner Einwechslung mit einem Filzstift das weisse Tape an seinen roten Socken einfärben muss. Ich will sehen, mit welcher Taktik die vermeintlich kleinen gegen die angeblich grossen Mannschaften spielen, wie die südamerikanischen Mannschaften abschneiden und wie sich die afrikanischen Teams schlagen. Deshalb verpasse ich sicher kein Spiel beim Turnier der besten Nationalmannschaften aller Kontinente.

Das ist nicht normal?

Ach was. Nicht normal ist es, als Fussballfan an einer Fussballweltmeisterschaft nicht alle Spiele sehen zu wollen.

Bildquelle: Shine 2010