Hoher Besuch: Ein Autor des «Bund»-Feuilletons macht im Runden Leder ein Praktikum und placiert hier seinen Blick auf den Rückrundenstart YBs gegen St. Gallen.
«Hochtrabendes Understatement: Die Young Boys lancieren im Stade de Suisse die Rückrunde, die Veredelung ihres Spektakelfussballs auf Kunstrasen.

Riskiert den offenen Ausgang: Marco Wölfli. Bild: marcowoelfli.ch
Dejan Stojanovic hat es nicht im Griff. Er hat es vielleicht im Blut. Das künstliche Leder glitscht durch die Finger, verflüchtigt sich und nimmt Reissaus zur Vollendung. Von Bertone zu Sulejmani – in den Strafraum also, in die Region, von der niemand weiss, wo sie endet, auch wenn Platzwarte versuchten, sie mit dem Markierwagen zu definieren.
Fassnacht sind Abseits schon allein dem Namen nach egal, und das Unabgeschlossene und das Nicht-im-Griff-Haben, das begreift er dann wiederum extrafein.
Keines der Tore in der frisch getauften Rückrunde scheint Treffer sein zu wollen. Die Spielaufbauten basteln sich zusammen, zerfallen und legen eine Halbzeitpause ein, nur die seidene Taktik ist Unterlage für quecksilberne Bewegungen und zeitdehnende Angriffsbemühungen. Alles bleibt in Arbeit. Wie geht das live, als Mannschaft?
Andere hätten sich das leicht gemacht und alles durchproduziert. Aber Marco Wölfli tritt im Stade de Suisse auf seine zwei Handvoll Gegenspieler und riskiert den offenen Ausgang. Dabei hilft ihm, wie schon in seiner früheren Phase als sicherer Rückhalt YBs, dieses hybride, hochtrabende Understatement: «Normalerweise gebe ich Auskunft. Heute nicht.» Diese unverfrorene Genügsamkeit also, die wahrscheinlich Christian Gross am besten beschrieben hat, als er meinte, er sei einfach sein eigener grösster Kritiker. Und grösster Fan.
Zwischen allem Abgründigen und Druidischen, was der Goalie (und Student der Ernährungs- und Bewegungslehre) Marco Wölfli da aufführt, spriesst immer auch ein einladendes Behagen. Nichts, auch kein Gegentreffer (aus Abseitsposition), bringt ihn aus der Ruhe. Zwischen dem Sich-Verkriechen, dem Loslassen und dem «Hoffen auf den Schmetterlingseffekt» tauchen quere Spielzüge St. Gallens auf, deren Romantik immer bedroht scheint von Zwängen und gegnerischen Verteidigern.
Da wird auf neunzig gezählt, und genauso vergehen die stillen Sekunden, die Atempausen vor dem nächsten Pfiff, und verschaffen diesem kurzen Spiel ganz viel Luft.»