Heute: Gelsenkirchen

Gelsenkirchen, Symbolbild via wikimedia Commons
[…]”Da hat Klaus Fischer drin gewohnt”, sagt er und deutet auf disen von Hartlaubgewächsen und rund geschorenen Büschen umwachsenen Backsteinquader. Er stellt mir diesen Namen hin wie einen Pokal und natürlich weiß ich, wer Klaus Fischer ist. Jeder Fußballverrückte, der in der DDR aufwuchs, kennt diesen Namen, weil wir uns ja auch immer für den Westfußball interressiert haben, ganz im Gegensatz zu unseren Brüdern und Schwestern hinter dem Eisernen Vorhang. Würde ich jetzt an gleicher Stelle die Aufstellung der DDR-Nationalmannschaft abfragen, die die BRD im Regen von Hamburg mit 1:0 schlug, die bei ihrer einzigen WM-Teilnahme im Jahre 1974 den Weltmeister besiegte, obwohl der sie nur in Anführungsstrichen schrieb, herrschte nach dem Torschützen Jürgen Sparwasser vermutlich Stille. Wer kennt diesseits der Elbe schon Martin Hoffmann? Diese Bungalows vor uns waren für die Reichen unter den Tossehofbewohnern gedacht und Klaus Fischer war reich. Er war so etwas wie der Robert Lewandowski der Siebzigerjahre. Der Sturmführer von Schalke 04 für elf lange Jahre, und als er den Verein nach dem ersen Abstieg 1981 verließ, schmissen die Fans ihm Eier gegen die Haustüre, vor der wir stehen. Ein einfaches Holzmodell. Fischers Spezialität waren Fallrückzieher, die er mit einer großen Eleganz und Lässigkeit im gegnerischen Strafraum ansetzte und mühelos versenkte. Einer davon wurde sogar zum Tor des Jahrzehnts gewählt. Der Schütze des schönsten Tores der Siebzigerjahre hat in einer Sozialbausieldung gewohnt, das wäre so, als wohnte der heutige Hertha-Kapitän in einem Penthouse in Hellersdorf. “Der Fischer hatte so einen Cockerspaniel und der ist ihm immer abgehauen und dann hat er uns Kinder gefragt, ob wir den gesehen hätten.” Der Mann vom Stadtmarketing sieht selig zwischen den Bungalows hindurch. Er imitiert den Tonfall des gebürtigen Niederbayern Klaus Fischer und ist gerade selbst in den Siebzigerjahren verschwunden. Sogar ich sehe vor meinem inneren Auge den für heutige Fußballerverhältnisse leicht pummeligen Klaus Fischer o-beinig seinem Köter in dem an die Häuser angrenzenden Park hinterherlaufen. Heute ist das Viertel natürlich ein sozialer Brennpunkt, was ja immer nur ein anderes Wort für “große Armut” ist und die daraus entstehenden Probleme wie Drogen und Gewalt. Außerdem ist der gesamte südliche Teil von Gelesnkirchen ein sozialer Brennpunkt.”
Damit Sie, falls Sie jemand nach der DDR-Aufstellung vom 22. Juni 1974 fragt nicht auf dem Schlauch stehen, hier der Rundes-Leder-DDR-1974-Aufstellungsservice: Jürgen Croy, Lothar Kurbjuweit, Bernd Bransch, Konrad Weise, Siegmar Wätzlich, Gerd Kische, Hans-Jürgen Kreische, Reinhard Lauck, Jürgen Sparwasser, Harald Irmscher, Martin Hofmann und eingewechselt für Irmscher, Erich Hamann.
(Aus: Gregor Sander: Lenin auf Schalke, Penguin 2022)