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Monströs misslungene Metaphorik

Frau Götti am Mittwoch den 26. Mai 2021

BREAKING NEWS: Schweizer Stadien dürfen ab 20. August wieder gefüllt werden

Ilse v. Mueller-Fridnau begrüßt Sie zu Sprechstunde Nummer IV.

In meinem letzten literarischen Auswurf in diesem Fachorgan hatte ich Ihnen die Analyse einer lexikalischen Monstrosität in der Welt des Fussballes versprochen. Sollten Sie sich darauf gar ein wenig gefreut haben, muss ich Sie leider enttäuschen.

Nicht dass ich Ihnen jetzt das Versprochene vorenthalten würde. Jedoch handelt es sich bei diesem um etwas in höchsten Maße Unerfreuliches. Aber henu. «Es hilft alles nichts, wir müssen ran», sagte meine alte Deutschlehrerin jeweils, bevor sie uns nach den langen Ferien wieder zum Konjugieren schickte.

Wir befassen uns heute mit der Wendung «Spielermaterial», meist benutzt oder besser missbraucht im Problemkreis eines von einem Verein zu einem andern übertragenen Fußballspielers. Dass eine solche Wendung höchst problematisch und verletzend ist, illustriert zum Beispiel Folgendes.

Ausgehend von dem Begriff könnte ich ausführlich über die zunehmende Verdinglichung, Entmenschlichung und Materialisierung dieser unserer Welt referieren. Ich halte diese Ausführungen jedoch für unnötig und beschränke mich statt ihrer in aller Kürze auf den Hinweis darauf, woher der Begriff stammt und wodurch er völlig zu Recht in Ungnade fiel.

Er taucht zum ersten Male auf bei dem großen Dichter Theodor Fontane (ausgerechnet bei ihm, wie schrecklich!). Und zwar im Jahre 1852 in seinem Bericht «Ein Sommer in London» in einem militärischen Kontext: «Der englische Soldat, als rohes Menschenmaterial noch immer unvergleichlich (…)» Zu beruhigen vermag nur, dass der begnadete Meister der sprachlichen feinen Klinge und des Wortwitzes einen derartigen Begriff nur mit doppeltem Boden gebrauchen würde.
Karl Marx wählte die Wortfügung einige Male in «Das Kapital» (1867) – natürlich in kritischem Sinne. Später im Ersten Weltkrieg war oft von den vielen Verlusten an «Kriegs- und Menschenmaterial» die Rede.
Und – jetzt kommt das Monströse – Adolf Hitler benutzte den Ausdruck mehrfach in seinem politischen Grundlagenwerk «Mein Kampf». Im Zweiten Weltkrieg wurden KZ-Häftlinge, die nicht zu Arbeitszwecken einzusetzen waren, als «unbrauchbares Menschenmaterial» bezeichnet.

Kurzum:
Der Begriff hat eine absolut abscheuliche Ausprägung und ist unbedingt zu vermeiden. In seiner Monstrosität sprengt er beinah den Rahmen eines schiefen Bildes.

Haben aber Sie eine dahingehende Frage? So wenden Sie sich ohne Scheu an mich via meinen geschätzten Kollega Dr. Rüdisühli.

Seien Sie auch dieses Mal auf Freundlichste gegrüßt von Ihrer Ilse v. Mueller-Fridnau

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27 Kommentare zu “Monströs misslungene Metaphorik”

  1. Alleswisser sagt:

    Vielen Dank, Frau Götti v. Mueller-Friednau. Teile selbstverständlich zu 100% Ihre Aussagen.
    Nicht ganz so furchtbar schlimm, aber auch völlig deplatziert ist übrigens die Verwendung von „tragisch“ im Zusammenhang mit einer sportlichen Beurteilung.
    Zu viele Sportreporter haben diesen Ausdruck in ihrem Repertoire.

  2. Fallrückzieher sagt:

    Was für furchtbare Hintergründe, Zusammenhänge und Aussagen! Besten Dank für die Einblicke und Aufschlüsse. Da hilft einzig ein grosser Schluck Hörrmruff und die Aussicht auf den sicher wunderbaren Abend in der Mondschein-Bar von Frau ManU97.

  3. Bregyschorsch sagt:

    Mich erfreute bei allem Betrüblichen der Link auf Herrn Dardai, der das mit dem Material ja trocken auf den Punkt gebracht hat.

  4. dres sagt:

    Fröilen Ilse v. Mueller-Fridnau, das ist ein ganz wichtiger Beitrag. Sie hätten den Lehrplan 21 verfassen sollen, dann müsste ich mich beim Home Schooling weniger aufregen. Aber wir werden auch weiterhin den singularisierten Plural verwenden, ebenso den Pluralist Majestatis.

  5. Frau v. Mueller-Fridnau sagt:

    Fröilen Ilse v. Mueller-Fridnau

    Mit Verlaub, das ist ein Paradoxon.

  6. ManU97 sagt:

    Bei Veranstaltungen im Freien mit Sitzpflicht soll ab dem 20. August auf eine Zuschauerbegrenzung verzichtet werden

    Das wäre dann ab dem ca. dritten Heimspiel.

  7. Frau Götti sagt:

    Ab meinem Geburtstag, wenn das kein gutes Omen ist!

  8. Briger sagt:

    Hallo, gRrroseRrr ChefRrredaktoRrr: der Blick schreibt das:
    “So sollen ab Juli Grossanlässe mit bis zu 5000 Personen wieder erlaubt werden, ab 20. August dann mit 10’000.”

    Das wäre für YB ja doof.

  9. Briger sagt:

    Ah, ich habe das entsprechende Dokument gefunden. Danke. OLEOLE: FREIBIER FÜR ALLE!!!

  10. dres sagt:

    Ich habe mich schon wie daran gewöhnt, nicht mehr ins Stadion zu gehen. Vielleicht bleibe ich beim Russenstream. Je nach Konditionen.

  11. Rrr sagt:

    Hallo, gRrroseRrr ChefRrredaktoRrr: der Blick schreibt das:
    “So sollen ab Juli Grossanlässe mit bis zu 5000 Personen wieder erlaubt werden, ab 20. August dann mit 10’000.”

    Wenn der “Blick” für Sie die vertrauenswürdigere Quelle ist, dann bleiben Sie am besten weiterhin daheim, Herr Briger. Die Spiele werden ja am Fernsehen übertragen.

  12. Durtschinho sagt:

    Also bei mir ist die Pausenmusik, mit Verlaub, besser als im Stadion.

    Vielleicht mache ich es wie Herr dres.

  13. FC Thun sagt:

    Was, unser Zuschauer will nicht wieder ins Stadion kommen???

  14. dres sagt:

    Erst wenn die Konditionen klar sind. Im Freien trage ich keine Maske. Punkt.

  15. Durtschinho sagt:

    Und Frau Professor, ist eigentlich “human resources” nicht auch ein schlimmer Terminus?

  16. Bregyschorsch sagt:

    “human resources”

    Da kommt mir doch glatt in den Sinn, wie vor fast zwanzig Jahren bei einer der zwei Grossbanken irgendwann externe Mitarbeiter auf einer Inventarliste zusammen mit Druckern und Servern aufgeführt waren. Da damals mit Wertschriftenkursen beschäftigt, haben wir diese Mitarbeiter kurzerhand zu den “Commodities” vom Typ “Lebendschwein” geschlagen – und seither bringe ich diesen Bezug im Zusammenhang mit dem Personalverleih einfach nicht mehr weg …

    Und: oh, Live-Fussi ab Mitte August, kann ich das noch?

  17. Baresi sagt:

    Frau Ilse v. Mueller-Fridnau hat völlig recht. Das Buchstabenmateriel wir leider immer wieder für unerhörtes Wortmaterial missbraucht.

  18. ManU97 sagt:

    Der Balletttänzer!

  19. Briger sagt:

    Gebt doch einfach beiden diesen Pokal!

  20. Briger sagt:

    Und nach lesen des Textes: Fontane ist schrecklich, tatsächlich und hopp Dardai!

  21. Herr Shearer sagt:

    Ist das jetzt doof für Luzern? Ich habe da mit diesem Euro-Gschmöis die Übersicht verloren.

  22. Rrr sagt:

    Mein Beileid, Frau ManU97.

    Ein spanischer Klub gewinnt einen Europacup-Final gegen einen nichtspanischen Verein – zum 16. Mal in Folge.

  23. Herr Shearer sagt:

    Zum Glück hat Zigi nicht mitgemacht, da wären wir beim Frühstück noch vor der Glotze.

  24. nadisna sagt:

    Ein Goalie mit Touch am Fuss oder so.

  25. Rrr sagt:

    Und anschliessend würde Zeter bis zum Zmittag über den VAR lamentieren.

  26. Briger sagt:

    Und wie würden wir bloss den Nachmittag überbrücken bis zum Thun-Match?

  27. nadisna sagt:

    A propos Ratespiel betr. Zuschauer im Wankdorf:

    nadisna
    2. Februar 2021 um 16:41 Uhr
    10. April 2021
    22. August 2021