Zwischen Tränengas, Spritzen und Razzias

Gertrud Vogler hat die Zürcher Medienwelt über 20 Jahre mit ihren sozialkritischen Fotos mitgeprägt. Nun ist sie 81-jährig gestorben.

Ein Jahr nach dem Opernhauskrawall: Jugendliche entfernen auf dem Carparkplatz Zürich zusätzliche Asphaltstücke. 30. Mai 1981, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Der Mensch. In all seinen Facetten, auch den dunklen: Er – oder sie – war das Zentrum von Gertrud Voglers Fotografien, immer. Von dem Moment an, da die Walliserin, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Kind nach Zürich gekommen war und sich später das Fotografieren selbst beigebracht hatte, 1981 zur gerade erst gegründeten «Wochenzeitung» stiess, holte sie sich all das vor die Linse, was viele lieber gar nicht sehen wollten: Die wütenden Studenten, die Frauenrechtler. Die Hausbesetzer, die Fahrenden. Die Junkies am Letten und Platzspitz, die sie mit Namen kannte, weil sie sie fast täglich besuchte – und von deren Alltag sie Fotos machte, die auch heute noch Kraft kosten beim Ansehen.

Die Polizei vertreibt Jugendliche mittels Tränengas vom Carparkplatz Zürich, der an das Autonome Jugendzentrum angrenzt. 30. Mai 1981, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

«Gott ist krank, denn der Sohn hört Punk»: Ein Graffiti an der Kirchenwand des Fraumünsters in Zürich. 1. Mai 1981, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Aufmarsch vor dem Autonomen Jugendzentrum (AJZ).  21. März 1981, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Bei einer Razzia im AJZ macht ein Polizist vom Dach aus Fotos. Aus dem Fenster darunter blicken junge Männer heraus. 16. Juni 1981, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Währenddessen hängen Jugendliche in den AJZ-Räumlichkeiten ab. 16. Juni 1981, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Transparente mit den Sprüchen «Nieder mit den IRA H-Trakts» und «Solidarität mit Hungerstreikende» hängen an der Hauswand des Autonomen Jugendzentrums. September 1981, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Eine brennende Strassenblockade vor dem AJZ soll die Polizei auf Abstand halten.  ca. 28. September 1981, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Offene Drogenszene Zürich: Ein Junkie setzt sich auf dem Platzspitz eine Spritze. 2. Januar 1989, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

«Letten Dörfli»: Drogenkonsumentin am Fixertisch, vermutlich in einer Notschlafstelle. März 1990, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Eine zugedröhnte Frau liegt am frühen Morgen – vor einer erwarteten Räumung des Platzspitz – auf einem Filterlitisch. 13. August 1990, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Dass Vogler Bilder schuf, die nicht nur aufrütteln, sondern in ihrer Intimität auch das Herz berühren, erklärte ihre langjährige WoZ-Kollegin Sibylle Elam kürzlich damit, dass Vogler sich «immer und meist unbedingt auf die Menschen einliess, um die es ging». Ihr sei es nicht um Storys gegangen: «Sie tauchte in Milieus ein und pflegte Kontakte weit über ihre Arbeit hinaus.»

Saubermachen: Während einer Räumungsaktion spritzt ein Mann mit dem Wasserschlauch das Rondell ab, während ein Drogenabhängiger Filtertlitisch und Habseligkeiten zusammenpackt. 19. Juni 1990, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Ein Besucher der Suppengruppe auf dem Platzspitz kämpft mit sich. 2./. Februar 1989, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Polizeiliche Räumung des Drahtschmidli. 4. Juli 1988, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Schauspiel vor dem Zürcher Obergericht: Während des «Dani/Michi»-Prozesses, der sich um einen tödlichen Unfall nach einer Verfolgungsjagd mit der Polizei dreht, stellen Aktivisten vor dem Eingang eine Demonstrationsszene nach. Einer davon (rechts unten) hat sich womöglich als Hans Frick verkleidet, den damaligen Polizeivorstand.  10. Mai 1983, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Nach dem erstinstanzlichen Freispruch der beteiligten Polizisten im «Dani/Michi»-Prozess ziehen Jugendliche in einer unbewilligten Demo durch Zürich – auf der Quaibrücke vor dem Bellevue bringen sich Polizisten in Position. Februar 1983, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Zwei Hausbesetzerinnen im «Café Zweier» in Zürich. 22. April 1989, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Auf dem besetzten Wohlgroth-Areal in Zürich hat es sich ein junger Mann mit seinem Hund auf einem Hausdach gemütlich gemacht.  28. März 1993, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Eine Holzbrücke verbindet zwei besetzte Wohlgroth-Häuser. 22. Mai 1993, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Vor dem «TARO» (Tagesraum für Obdachlose) hängt ein Weltwoche-Plakat zum Thema Wohlgroth-Areal, das mit schwarzem Kreuz und dem Datum «23.11.93» überklebt worden ist. Ende Dezember 1993, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Die einst besetzten Wohlgroth-Häuser werden abgebrochen. Februar 1994, Gertrud Vogler (Schweizerisches Sozialarchiv)

Gertrud Vogler um 1980. Michel Fries (Schweizerisches Sozialarchiv)

So kompromisslos, wie sie arbeitete, so hat sie auch gelebt. Bis zum Schluss: Am 30. Januar ist Gertrud Vogler im Kreis ihrer Familie selbstbestimmt aus dem Leben geschieden. Zurück bleiben 250 000 Negative, die derzeit im Zürcher Sozialarchiv digitalisiert werden. Die letzte Botschaft, die sie ihren Kollegen noch zukommen liess, lautete: «Freut euch mit mir!! Salute. Ich habe mein Leben gelebt, es war gut, ich bin zufrieden.»

sozialarchiv

Auf der Webseite des Schweizerischen Sozialarchivs ist der digitalisierte Teil von Gertrud Voglers Fotoarchiv zu finden.

8 Kommentare zu «Zwischen Tränengas, Spritzen und Razzias»

  • Christian Hofstetter sagt:

    Danke Gertrud Vogler für Bilder, die dem Leben auf der Spur sind. Oder womöglich noch ein wenig mehr. Was für ein Gegensatz zu heute, wo eine Welt voller Selfies nichts mehr mit dem geheim hat, was Gertrud Vogler interessiert hat.

    • Boris Müller sagt:

      danke für ihre rückmeldung. schauen sie doch ab und zu bei unserem fotoblog vorbei, denn auch heutzutage gibt es grossartige fotografen und reportagen – und wir zeigen sie.

    • Alfred Hahn sagt:

      Falls man, Herr Hofstetter, solche Extreme überhaupt noch ‚Leben‘ nennen darf oder soll.

  • Roth sagt:

    Spreke deutsh? Razzien!

    • Boris Müller sagt:

      ja. duden: die Razzia; Genitiv: der Razzia, Plural: die Razzien, seltener: Razzias

    • Peter Aletsch sagt:

      Warum nicht pizza – pizze (nicht: pizzas), razzia – razzie, Razzia – Razzie. Es nützt nichts, wenn wir Nicht-Englische Wörter verenglischen; irgendwann landen wir im Süden und müssen die Deklinationen trotzdem lernen. Stammt übrigens aus dem Arabischen. Wir müssten eigentlich die Arabische Mehrzahl verwenden, und die hat nie ein -s hinten.

  • Peter Meier sagt:

    Danke Gertrud Vogler, deine Bilder haben uns begleitet und Du hast all diesen jungen Menschen hohen Respekt entgegen gebracht. Eine Gesellschaft kann nur überleben mit gegenseitigem Respekt und Achtung. Merci.

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