Stadt ohne Menschen
Amadeus Waldner hat in Wien eines der grössten europäischen Stadtentwicklungsprojekte der letzten Jahrzehnte fotografiert
Eines der grössten europäischen Stadtentwicklungsprojekte der letzten Jahrzehnte – die Seestadt im 22. Wiener Gemeindebezirk. Alle Bilder: Amadeus Waldner
Bilder aus dem Niemandsland wuchernder Retortenstädte sind ein eigenes fotografisches Genre geworden, seit die rasende Urbanisierung Chinas zuverlässig Motive liefert: von menschenleeren Hochhauskolonnaden, die sich im Smog verlieren, oder Highways, die im Nichts abbrechen. Die morbide Faszination solcher Aufnahmen besteht darin, dass man selten mit solcher Anschaulichkeit die Symptome unserer Zeit vorgeführt bekommt: Das hilflose Bemühen, einen überbevölkerten Planeten mit den Mitteln staatlichen Handelns irgendwie im Zaum zu halten. Die Illusion individuellen Glücks angesichts global entfesselter Kräfte, die den Einzelnen im Granulat der Manövriermasse aufgehen lassen. Oder ganz einfach: die menschliche Hybris.
Auch in Europa gäbe es Motive für dieses Genre, bloss bekommt man sie seltener zu Gesicht. Das liegt vermutlich daran, dass die demokratischen Kontrollsysteme der Radikalität von Planung und Fehlplanung hier Grenzen setzen. Dass Wirtschaftswachstum und Bevölkerungsdruck vergleichsweise überschaubar sind, was sich in den geringeren Dimensionen der städtebaulichen Antworten niederschlägt. Und wohl auch daran, dass es sich immer noch besser über das Exotische gruselt als über das Eigene.
Grosse Fotoserien aus Zürcher Entwicklungsgebieten wie dem Glattpark oder dem Dietlimoos an der Grenze zur Stadt lassen jedenfalls auf sich warten. Wie so was aussehen könnte, macht der Südtiroler Fotograf Amadeus Waldner vor, der mit seiner Kamera die Seestadt Aspern ausgemessen hat: ein ehemaliges Flugfeld im Osten Wiens, das bis 2028 in einen neuen Stadtteil transformiert wird mit Platz für 20’000 Einwohner und einem künstlichen See in der Mitte. Aus hiesiger Sicht liegen die Analogien zum Glattpark in Opfikon auf der Hand – auch wenn dieser mit 7000 Einwohnern auf weniger Fläche deutlich kleiner ist.
Waldner beschreibt seine dokumentarische Arbeit mit spürbarer Ambivalenz. Einerseits anerkennt er das Bemühen der Planer dahingehend, das öffentliche Zusammenleben der Menschen zu fördern. Andererseits müsse sich dieses in der neuen «Stadt ohne Geschichte» erst entwickeln. Auch wenn das Leben nach und nach einziehe, habe man beim Spaziergang noch immer das Gefühl, «durch das lebensgrosse Modell der Architekten zu wandeln».

Der 1986 in Schlanders (Südtirol) geborene Fotograf Amadeus Waldner studierte Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover. Weitere Informationen zu seinem Werdegang und seinem Schaffen finde Sie auf seiner Website.
2 Kommentare zu «Stadt ohne Menschen»
Schön fotografiert, jedoch zur richtigen Uhrzeit mache ich auch auf der Kärntnerstraße solche Fotos. Ich lebe hier und es ist sehr belebt: Es gibt schon mehrere Vereine, einen Chor, viele Menschen zu Fuß und mit den Rad unterwegs und bei Badewetter ist der See voll. Vom 84a und der U2 ganz zu schweigen.
Bei diesen im sowjetischen Stil gebauten Beton-Wüsten, erstaunt es wirklich nicht, dass keine hier kein Leben gib. Wann lernen es die Architekten und Städtepander endlich wohlfühl-Umgebungen für Menschen zu schaffen, statt Monumente für ihre Werbebroschüre?