Heimlicher Blick

Jahrelang fotografierte der Tscheche Miroslav Tichý mit selbst gebauten Fotoapparaten die Frauen seiner Stadt.

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Jahrzehntelang fotografierte Miroslav Tichý nur Frauen: sechs Tage die Woche, jeden Tag 100 Bilder. Er zog durch seine Heimatstadt Kyjov und suchte Frauen, alte, junge, im Schwimmbad und beim Schwatzen. Sah er eine, die ihm gefiel, folgte er ihr und fotografierte sie, ohne sie zu fragen. Sonderlich ernst genommen hat ihn keiner. Denn seine Fotoapparate waren selbst gebaut aus alten Brillengläsern, WC-Papierrollen, Zigarrenkisten, Fadenspulen, Klebeband und anderen Materialien.

Die Abzüge der selbst entwickelten Negative sind meist unscharf, verwaschen und fleckig. Die Bilder klebte er auf gefundenes Papier oder Karton und bemalte diesen mit verschiedenen Stiften. Oftmals zeichnete er auch direkt auf die Fotografien. Einige bezeichnen sein Werk als voyeuristisch, andere sehen darin eine Hommage an die weibliche Figur. Er selbst sagte, er stelle nur dar, was wirklich sei.

Tichý war ein Kunstaussenseiter. Den grössten Teil seines Lebens arbeitete er still vor sich hin. Internationale Berühmtheit erlangte sein Werk erst 2004, als Harald Szeemann die Bilder an der Biennale in Sevilla zeigte. Kurz darauf, 2006, widmete ihm Tobia Bezzola eine Einzelausstellung im Kunsthaus Zürich. Darüber, dass seine Bilder Sammlern teils mehrere Tausend Euro wert sind und in verschiedene Sammlungen gelangten, äusserte sich Tichý stets ablehnend. Bis zu seinem Tod 2011 lebte er zurückgezogen in Kyjov.

tichyausstellung photobastei

Miroslav Tichý

Eine umfangreiche Einzelschau in der Photobastei.

15. September bis 5. November

jeweils Mittwoch bis Samstag, 12 bis 21 Uhr; Sonntag, 12 bis 18 Uhr

Sihlquai 125, 8005 Zürich, 2. Stock

Eintritt 14/9 Franken

11 Kommentare zu «Heimlicher Blick»

  • Rolli sagt:

    Sorry aber – das ist ein Stalker!!!

    http://m.20min.ch/schweiz/news/story/10180229

  • Peter Lorenz Kunz sagt:

    Ein Komplice von Polanski. Schauerlich. Und der Mann, der das publiziert? Zweifel kommen auf.

  • Romano Zerbini sagt:

    Man darf ihn als Glüstler bezeichnen, auch als einen Mann, keinen Zweifel. In der Photobastei, die ich betreibe, liegt er in einer Linie mit Vivian Maier (die New Yorker Nanny) und Arnold Odermatt (der innerschweizer Polizeitfotograf für Karambolagen). So weit es nun vielleicht hergeholt erscheint: die Tatsache, dass die drei über das Fotografieren sich mit ihrer Welt auseinandersetzen konnten, hat ihnen wohl erst das Leben ermöglicht, bzw. ihnen das Leid am Leben erträglicher gemacht.
    Ich lade Sie alle herzlich zu einer Führung ein oder zu einer unserer Veranstaltungen, um dies vertieft zu erklären.
    Glauben Sie mir, obwohl Mann und Glüstler, sein Werk ist mitunter eine faszinierende Antwort auf die Umstände des Lebens. Romano Zerbini, Kurator der Photobastei.

  • Jack Oviv sagt:

    Wie schön, dass diese Sammlung endlich mit einer Ausstellung gewürdigt wird. Einerseits kann ich die beiden vorherigen Kommentare nachvollziehen. Andererseits finde ich, dass jedes dieser verwaschenen, über- und ummalten kleinen Werke jeweils als Ganzes eine gewisse mystische Ausstrahlung besitzen, die man getrost als Kunst bezeichnen darf und die immer eine erkennbare Zuneigung ausstrahlt. Muss ja nicht nach jedermanns Geschmack sein …
    Der Satz gilt ja wohl immer. Wer’s nicht mag, schaut halt nicht hin. Und Andere freuen sich still.
    Danke für diesen Beitrag!

  • Jean de Vuillé sagt:

    Also bitteschön, ein „Glüstler“ ist der Mann. Dass das gewürdigt und ausgestellt wird, ist für mich als bemüht gleichberechtigenden Mann ein Affront!

  • Mina Peter sagt:

    Immer diese männliche lüsterne Perspektive. Hat der Tagi nichts Besseres?

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