Das Geschäft mit dem Elend

Wie afrikanische Erntehelfer in Italien einem brutalen System ausgeliefert sind.

Orangenplantage in Rosarno.

Sie ernten Tomaten, Orangen, Mandarinen oder Melonen. Sie schuften täglich bis zu 14 Stunden und hausen zumeist in Baracken, die aus Plastik oder Kartons zusammengeschustert worden sind. Oder aber in leer stehenden Hütten, Fabriken oder gar in Zelten. Sie leben zumeist ohne fliessendes Wasser, ohne Heizung und ohne Strom. Diese Form von Ausbeutung in der Landwirtschaft kommt überall in Italien vor. Die in Rom aufgewachsene und jetzt in Berlin lebende Fotografin Isabell Zipfel hat diese moderne Sklaverei mit ihrer Kamera festgehalten.

Schafe vor einem besetzten Fabrikgelände, wo die Tagelöhner leben. Der Müll wird seit Monaten nicht abtransportiert.

In der Fabbrica leben sie ohne Strom, fliessendes Wasser und Heizung.

Überall herrschen immerzu dieselben ungeschriebenen Regeln: Es gibt keinen gültigen Arbeitsvertrag, es wird bis zu 14 Stunden am Tag gearbeitet, es gibt keinen Zugang zu medizinischer Versorgung – und der Tageslohn beträgt höchstens 30 Euro. Zumeist abzüglich der Provision. Beispiele dafür gibt es zuhauf. Und zwar sowohl im eher reichen Piemont als auch in der ärmsten Region Italiens, in Kalabrien. Denn bis zu 430’000 Erntehelfer arbeiten in Italiens Schattenwirtschaft. Ohne sie stünde die italienische Landwirtschaft schlichtweg still.

Ernte auf einer Orangenplantage in Rosarno. Die meisten Tagelöhner kommen aus Afrika und pflücken während des Winters Orangen und Mandarinen.

Ein totes Schaf, das vom Fleischer frisch geschlachtet worden ist. Die Arbeiter haben mittlerweile fast überall bei ihren Behausungen eigene Läden.

Die meisten afrikanischen Tagelöhner kommen als Flüchtlinge in Lampedusa an. Und enden als Tagelöhner in der Landwirtschaft. 

Eine Orangenplantage in der Nähe von Rosarno.

Schlafbereich in der leer stehenden Fabrik.

Ein Orangenbauer. Seit Jahren bekommen die Orangenbauer immer weniger Geld für ihre Orangen. Die meisten haben ihre Orangenplantagen mittlerweile verkauft, da es sich nicht mehr lohnt, Orangen anzubauen.

Im Zeltlager gibt es auch einen kleinen Imbiss. Weiter gibt es auch einen Fleischer, kleine Supermärkte, Friseure – und neuerdings auch ein Bordell.

Ein Orangenbauer zählt das Geld, das er seinen afrikanischen Tagelöhnern auszahlen muss. Seit Jahren sinken die Preise für Orangen. Und damit auch die Gewinnmarge des Orangenbauers.

80 Gebiete lassen sich verzeichnen. Darunter Vittoria, Sabaudia, Castel Volturno – und eben Rosarno. Rosarno ist ein kleines beschauliches Städtchen in Kalabrien, dem Armenhaus Italiens. Dort werden traditionell Orangen und Mandarinen angebaut und geerntet. Sie werden als Saft verarbeitet oder direkt verkauft.

Sie sind als Flüchtlinge auf dem Meeresweg nach Italien gelangt. Auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Das, was sie zum Beispiel jedoch in Rosarno erwartet, ist weitaus schlimmer als das, was sie in Afrika zurückgelassen haben. Sie werden schnell zu Gefangenen eines Systems, das auf Ausbeutung und Misshandlung basiert, sie werden zum schwächsten Glied einer Produktionskette, in der es einzig und allein darum geht, die Rendite zu maximieren. Und zwar auf Kosten von unmündigen und rechtlosen Tagelöhnern. Die Ausbeutung der Tagelöhner ist mittlerweile ein Milliardengeschäft in Italien. Bis zu 17,5 Milliarden Gewinn wurden allein im letzten Jahr erwirtschaftet, so schätzt die italienische Gewerkschaft CGIL in ihrem neuesten Bericht.

Die Mafia, also die kalabresische ’Ndrangheta, die neapolitanische Camorra und die Cosa Nostra, sie alle mischen im Landwirtschaftssektor ordentlich mit. Neben Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Waffenhandel, öffentlichen Bauaufträgen, Müllhandel und Prostitution hat die Mafia somit längst den Landwirtschaftssektor infiltriert. Und zwingt den Bauern und Händlern immer niedrigere Preise auf. Die unterbezahlten Erntehelfer aber, sie sind nur das letzte und schwächste Glied innerhalb eines Ausbeutungssystems, das einzig und allein auf Profitmaximierung basiert.

 

6 Kommentare zu «Das Geschäft mit dem Elend»

  • Hans Müller sagt:

    Die Bilder wirken recht profan und uninspiriert, selbst wenn versucht wird, mit schwarzweiss mehr Drama zu erzeugen. Die bleiben ja nicht lange dort, sondern machen sie flugs auf Richtung Norden, wo man das Leben im Sozialnetz dann durchfinanziert bekommt.

    • saramiriam sagt:

      so, wieso wissen sie das? im moment werden alle flüchtlinge mit fingerprint in italien dorthin zurückgeschickt. schauen wir doch hin!

  • Alexander Wetter sagt:

    italienische Presse berichtet regelmässig, dass Flüchtlinge (in Süditalien) erschossen werden – zudem werden sie in jeglicher Hinsicht sehr schlecht behandelt, damit sie nicht kommen und vorallem bleiben – einer der Gründe weil sie unbedingt nach Nord-Europa wollen, wo sie menschlicher und grosszügiger behandelt werden

  • Tom Egli sagt:

    Interessanter Beitrag moderner Sklaverei. Vielleicht werden auch Sie in 500 Jahren eine Stimme erhalten, wenn man ihre Gräber am Stadtrand findet.

  • Hansjürg sagt:

    Kein Problem, wir retten alle! Aber wen zuerst, die Orangenbauern, weil die von den Mafiosi erpresst werden oder die Pflücker, weil die von den Orangenbauern ausgebeutet werden oder gar die Mafiosi, weil die doch eine ach so arge Kindheit hatten. Am besten die Hälfte von uns mietet Schiffe und macht einen Fährbetrieb übers Mittelmeer auf und die andere Hälfte steht an den Bahnhöfen und macht den Willkommensklatscher.

    • Andy sagt:

      Gut beschrieben; ich sprach einmal mit einem solchen Obstbauer im Piemont, der das Grundstück/die Farm auch erst vor wenigen Jahren erwarb, weil der Vorgänger aufgab. Er sagt, dass ohne dieses System, also ohne Niedrigstlöhne der Arbeiter, das Land verwildern würde, weil sich eine Produktion dann nicht mehr lohnt.

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