Das Rallye der Gockel 

Das Fotomuseum Winterthur zeigt das Fotografieren als Hobby. Und das Fotografieren von Hobbys. Beides ergibt merkwürdige Bilder.

Eckhard Schaar, Bodybuilder, 1993, © Eckhard Schaar

Definiere Hobby! Steckenpferd? Vorliebe? Freizeitbeschäftigung? Vergnügen?

Gehört alles dazu, aber entscheidend ist womöglich dies: die Investition enormer Mengen von Zeit, Mühe, Kompetenz, Liebe oder eben auch Geld in Dinge, die sich draussen im Leben keinesfalls rechnen. Hobbys sind stets auch Verschwendung, ein schöner Akt der Unvernunft; sie haben keinen Zweck ausser sich selbst. Im besten Fall. Wer also Tortenschaufeln oder Turnschuhe ­sammelt, wer die Nächte mit Video­spielen statt mit Schlafen verbringt, wer seine Derbi Antorcha Tricampeona mit einem 16-Millimeter-Vergaser von Dell’Orto frisiert oder die 24 Namen des Weisssporigen Cham­pignons alphabetisch aufsagen kann, und zwar die 24 aus George Francis Atkinsons «Studies of American Fungi» – der kann nicht damit rechnen, ausserhalb eines Zirkels Gleichgesinnter aner­kannt und verstanden zu werden.
Umso mehr weitet sich der Blick nun im Winterthurer Foto­museum: Hier stösst eine thematische Ausstellung tief ins Uni­versum des Hobbyismus vor. Was bedeuten Hobbys fürs Ich? Was hat sich dar­­an in der Ära von Facebook geändert? Wo hört das Hobby auf, wann wird es Kunst? Und was hat das alles mit Bildern zu tun, mit unserer vi­suellen Kultur?

Xiaoxiao Xu, aus Aeronautics, 2000, © Xiaoxiao Xu

Craig Fineman, Heavy Lunch, Skateboarder Magazine, 1979/1980, © Craig Fineman

Alberto García-Alix, El Gordo y Kity, 1991, © Alberto García-Alix / 2017, Pro Litteris, Zürich

Fuzi, Ma Ligne, 1996/2000, © Fuzi

Kirill Golovchenko, aus KACHALKA – Muscle Beach, 2012, © Kirill Golovchenko

Ari Marcopoulos, aus Directory, 2011, © Ari Marcopoulos

Jeremy Deller & Alan Kane, aus Folk Archive, 2005, © Alan Kane & Jeremy Deller

Alexander Remnev, Need Adrenaline!, 2014, © Alexander Remnev

Ohne die Fotos des Spaniers Ricardo Cases zum Beispiel wüsste man wohl nichts von den merkwürdigen Szenen, die sich am Himmel über der Gegend von ­Valencia abspielen. Und auch nichts von den Leidenschaften gewisser Männer, die dafür verantwortlich sind. Es geht um Taubenrennflüge – um eine Wolke von bis zu hundert Hähnen, die hinter einer einzigen Henne her sind. Was die fliehende Henne auf Höchsttempo bringt. Und damit die Hähne.

Ricardo Cases, aus Paloma al aire, 2011, © Ricardo Cases

Ricardo Cases, aus Paloma al aire, 2011, © Ricardo Cases

Ricardo Cases, aus Paloma al aire, 2011, © Ricardo Cases

Ricardo Cases, aus Paloma al aire, 2011, © Ricardo Cases

Fast noch mehr interessiert sich der Fotograf aber für den Eifer am Boden – für die Züchter und Trainer der Tauben, die die Performance ihrer gefiederten Boliden verfolgen, verirrte Vögel aus Gebüschen fischen und aufs Urteil der Wettrichter hin­fiebern. Siegen wird der Hahn, welcher der Henne die längste Zeit am nächsten war. Dar­­um sind die Tiere auch so bunt wie Wimpel gefärbt: damit man sie im Luftraum erkennt. ­Und wenn ­Ricardo Cases dieses ganze Spektakel erhellt, mit einem grellen Blitzlicht, und das aus nächster Nähe, dann kommt surreale Schönheit heraus. Und absurde Komik.

Da ist aber noch etwas: Man ahnt auch den sozialen Ernst ­dieses Spiels. Cases interessiert sich dafür, wie sich in den scheinbar privaten Obses­sionen eines scheinbar exotischen Hobbys eine ganze Gesellschaft spiegelt. Also die traditionelle Idealwelt des Spaniertums, das Rustikale, der Machismo, der Kampf.

Aber hat jetzt wirklich jemand ­«Gockel» ­gesagt?

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THE HOBBYIST – Hobbys, Fotografie und Hobby-Fotografie

Ein Kommentar zu «Das Rallye der Gockel »

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