Die Heimat ist ein Geisterland
Im Kornhausforum Bern zeigt Jürg Ramseier, wie man als Fotograf die Welt zu seinem Ding macht. Und wie sie dann aussieht.
Paul Bowles, Tanger, Marokko, 1993
Er ist weit herumgekommen, hier wie dort. 1954 geboren in Rubigen BE, zuerst Sozialarbeiter, hat er sein Metier in New York gelernt. Dann stand Jürg Ramseier in Marokko, in der Stadt Tanger, und zwar am Bett des ebenso legendären wie greisen Autors Paul Bowles. In Belfast hat er das Leben fotografiert, als dem nordirischen Bürgerkrieg ein zaghafter Friede dämmerte. In Bern verkehrte er in den Zelten und Hütten des autonomen Dorfs Zaffaraya, bevor es staatsgewaltsam unterging, und über Jahre begleitete er einen gehörlosen Buben namens Ruben beim Grösserwerden. Und dann gibt es noch die beiden Hinterwäldler, die so frech vom Cover der Züri-West-Platte «Arturo Bandini» von 1991 blicken – Ramseiers Bild, er hat die zwei in einem Café in New Mexico aufgegabelt, in einem Nest namens Tres Piedras.
Tanger, Marokko, 1993
Belfast, 1995–96
Belfast, 1995–96
Q-Train to Coney Island, 1986
Ein typischer Fotoreporter, ein medienbetriebskonformer Bildjournalist war er tatsächlich nie. Man sieht es spätestens jetzt, im Rückblick auf sein Schaffen, den das Kornhausforum aktuell zeigt. Da ist dieser seit dreissig Jahren unbeirrbare Wille, hinter die Oberfläche der Gegenwart zu kommen. Und darum gibt es in jeder von Ramseiers Reportagen immer wieder diese Bilder, die mehr zeigen, als sie müssen. Die die Tür in eine Welt aufstossen, die ganz real ist und zugleich etwas anderes als die Realität. Belfast sieht dann aus wie ein Film von Tarkowski. Und der Moment, in dem sich Ruben auf eine Couch wirft, während der Fernseher in einer Ecke kalt glüht, wird zur Geste des letzten Menschen im Weltall. Solche Erlebnisse muss man sich vorstellen, wenn Ramseier sagt, es sei ihm immer darum gegangen, «mein eigenes Ding» zu machen.
Ruben, 1990–2004
World Trade Center, New York, 1986
Tres Piedras, New Mexico, 1986
Basel, 1993
Zaffaraya, Bern, 1987
Besonders frappant sieht man dieses Ding in der Arbeit, mit der er 1994 bis 2003 die Welt vor seiner Haustür erforscht hat. Die Serie «Heimatland» also: Aaretal und Gürbetal, Landwirtschaftsland, Kuhdorf- und Waldland, eine Hofversteigerung zum Beispiel, dieses ewige Sujet aus dem Katalog der Schweizer Fotografie: Man hat es zahllos gesehen – aber so unvertraut, so unheimlich noch nie. Ist es der Blick eines Aussenseiters, der einem die Welt fremd vorkommen lässt? Jürg Ramseier zuckt mit den Schultern: Vielleicht, aber sicher nicht nur. Sein «Ding» hat keinen einfachen Namen, er ist ihm nach wie vor auf der Spur. Und es könnte schon sein, dass es nicht seine Sache wäre, wenn so klar wäre, wo sie anfängt. Und, vor allem, aufhört.
Heimatland, 1994–2003
Heimatland, 1994–2003
Heimatland, 1994–2003
Heimatland, 1994–2003

Die Ausstellung «Under my skin» ist bis am 6. August im Kornhausforum in Bern zu sehen. Weitere Information gibt es auf www.kornhausforum.ch
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