Heiliges Schmelzwasser und fremde Bräuche
Am Qoyllur Rit’i Festival in Peru steppt der Bär und schmilzt das ewige Eis zu heiligem Wasser.
El Augui – der alte, weisse Mann und Beschützer: Der 20-jährige Alexio Marvelli posiert im Sinakara-Tal in Peru beim Qoyllur-Rit’i-Festival als mythische Figur des El Augui verkleidet. (12. Juni 2017)
Wenn in Peru der Sternenhaufen des Siebengestirns – auch Plejaden genannt – im Juni nach zweimonatiger Absenz wieder am Himmel erscheint, feiern die Inkas in der Region Cusco die Wintersonnenwende und den Beginn des neuen Jahres. Qoyllur Rit’i heisst diese Feier – oder auch Fest des Schneesterns, denn gefeiert wird hoch oben in den Anden, da, wo der ewige Schnee liegt. Um ebendiesen Schnee geht es beim Fest.
Ukuku – der Bärenmann: Der 19-jährige Luis Calancha der Volksgruppe Tahuantinsuyo trägt das Kostüm der Ukuku. Halb Bär, halb Mann, spielen die Ukukus den Pilgern Streiche und sorgen gleichzeitig für Ordnung. Nur die Ukukus dürfen den heiligen Gletscher am Qullqip’unqu betreten, von wo sie mit grossen Eisblöcken beladen zurückkehren.
Das Verschwinden der Plejaden am Nachthimmel interpretiert die einheimische Bevölkerung seit je als Bedrohung für die Menschheit und Zeichen für Chaos. Das Wiedererscheinen der Sternengruppe nach knapp zwei Monaten wird folglich als Rückkehr zur Normalität und Ordnung gedeutet und entsprechend gefeiert. Praktischerweise fällt das Datum auch gleich noch mit dem Erntebeginn sowie dem katholischen Feiertag zu Ehren des Señor de Quyllurit’i zusammen.
Mamacha – die Jungfrau vom Berg Karmel: Die 21-jährige Nelida Soto der Tahuantinsuyo-Volksgruppe tanzt den Chunchaca zu Ehren der Mamacha Carmen – zu Deutsch Unsere Liebe Frau auf dem Berge Karmel.
Zehntausende Angehörige insbesondere der beiden Volksgruppen der Paucartambo und Quispicanchis pilgern nach Qoyllur Rit’i, einem Wallfahrtsort knapp 5000 Meter über Meer und eine Tagereise von Cusco entfernt. Hier in den peruanischen Anden tanzen und musizieren die Pilger tagelang, verkleiden sich mit rituellen Kostümen und steigen hoch auf die Gletscher, um mit grossen Eisblöcken zurückzukehren. Dem Schmelzwasser wird heilende Wirkung für Geist und Körper nachgesagt.
La Emilia: Der 30-jährige Ivan Flores der Volksgruppe der Tahuantinsuyo trägt Frauenkleider, um unter seiner Robe Feuerholz zu verstecken.
Sebastiana Jara verkauft am Schneestern-Festival Handarbeitserzeugnisse aus der Region Cusco.
Die 23-jährige Edison Olgado ist eine Tänzerin der Quispicanchis-Volksgruppe.
Der 78-jährige Justino Quispe tanzt mit der Truppe Comparsa Runa Canchi.
Der 19-jährige Guido Yupanki ist ein Tänzer der Tahuantinsuyo-Volksgruppe.
Rudy Espiriya und sein dreijähriger Sohn Dayiro Tahuara des Paucartambo-Volkes tanzen mit der Gruppe Paapuri Guayri.
Der 54-jährige Musiker Eulogio Quispe spielt eine peruanische Harfe.
Roger Barrios ist ein Tänzer der Acomayo-Volksgruppe.
Der 33-jährige Aldo Machaca und sein sechsjähriger Sohn Brandon sind Tänzer der Quispicanchis.
Der 12-jährige Jean Marco Valverde der Paruro-Volksgruppe schlüpft beim Tanz in die Rolle eines Soldaten.
Der 54-jährige Filament Wilca und seine 23-jährige Tochter Laura Wilca sind Violinisten der Quispicanchis-Volksgruppe.
Majeno – der Plumpe und Spendable: Der neunjährige Jose Carlos Cahuana, verkleidet als Majeno. Majenos sind Verkäufer von hochprozentigem Alkohol in der Majes-Arequipa-Region, die als gutmütig und grosszügig gelten.
Der 32-jährige Porfirio Quispe ist ein Tänzer der Paruro-Volksgruppe.
Der 58-jährige Musiker Bernardino Quispe spielt die traditionelle Andenflöte Quena.
Mal Genio – der Misslaunige: Der 22-jährige Jefferson Valdivia der Quispicanchis-Volksgruppe ist als Mal-Genio-Tänzer verkleidet. Der Tanz verhöhnt Frauen, die sich nicht um die Hausarbeit kümmern.

Der argentinisch Fotograf Rodrigo Abd sah 2006 während einem Einsatz in Afghanistan die primitiven Holzkameras der lokalen Porträtfotografen und beschloss, selber mit dieser Technik zu experimentieren. So schleppte er dieses Jahr eine analoge Grossformatkamera in die peruanischen Anden und lichtete die Pilger am Qoyllur Rit’i Fest in ihren traditionellen Kostümen direkt auf Fotopapier ab. Noch vor Ort entwickelte Rodrigo Abd die Schwarz-Weiss Negativprints, hängte diese in der kalten Andenluft auf 4500 Metern zum Trocknen auf und produzierte danach Positivabzüge in gleicher Manier. Entstanden sind mystische Porträts von wenig bekannten Volksgruppen und Bräuchen in den peruanischen Anden.
Rodrigo Abd lebt aktuell in Lima, Peru und arbeitet als Pressefotograf für Associated Press.
Ein Kommentar zu «Heiliges Schmelzwasser und fremde Bräuche»
Gutes Konzept mit der alten Analogholzkamera – die Portraitierten sehen wirklich aus wie aus einer anderen Zeit und Welt!