Ihr könnt uns alle mal!

Thomas Hesterberg machte 1967 das legendäre Foto der Kommune 1, auf dem die Bewohner ihre nackten Hintern der Kamera entgegenstrecken. Wir zeigen weitere, bislang unveröffentlichte Bilder.

Auf dem Bild v. l. n. r.: Dieter Kunzelmann, Gertrud Hemmer, Volker Gebbert, Dagmar Seehuber (oder Antje Krüger), Rainer Langhans, Dorothea Ridder, Ulrich Enzensberger, Kind von G. Hemmer. Bild: Thomas Hesterberg/SZ Photo

Das Wohnprojekt Kommune 1 sollte ein Statement sein gegen deutsche Spiessigkeit, gegen den bürgerlichen Mief mit seinen tradierten Moralvorstellungen von Ehe und Familie. In einer Dachwohnung in der Niedstrasse in Berlin-Friedenau wollten die Kommunarden das Experiment zum Erfolg führen, vor allem aber wollten sie dem Land, das ihnen zunehmend fremd war, den nackten Arsch entgegenstrecken: Ihr könnt uns alle mal.

Dorothea Ridder (hinten) und Rainer Langhans (vorne) ziehen sich nach Entstehen des berühmten Kommune-1-Nacktbildes an. Bild: Thomas Hesterberg/SZ Photo

Fünfzig Jahre ist das nun her. Und das Bild der Nacktaktion dient immer noch als Beweis für die angebliche Freizügigkeit der Kommune 1. Da stehen sie mit erhobenen Händen wie beim Polizeifoto an der Wand. Vier Männer und drei Frauen, ein kleiner Junge schaut als Einziger in die Kamera. Und einer fehlt: Fritz Teufel, der bei der Aufnahme gerade in Untersuchungshaft sass, weil er während der Proteste gegen den Besuch des persischen Schahs in Berlin mit Steinen geworfen haben soll – an jenem schicksalhaften Tag, an dem der  Studenten Benno Ohnesorg mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet wurde.

Proteste am Rande der Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen ehemaligen Reichstagspräsidenten Paul Löbe vor dem Schöneberger Rathaus. Während der Trauerfeier veranstalteten Mitglieder der Kommune 1 ein Happening, um für die Freilassung des Kommunarden Fritz Teufel zu demonstrieren. Bild: Thomas Hesterberg/SZ Photo

Polizeibeamte führen einen maskierten Mann ab, der für die Freilassung Fritz Teufels demonstriert hatte. Der Kommunarde Fritz Teufel sass wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs in Untersuchungshaft. Bild: Thomas Hesterberg/SZ Photo

Das Foto vom Juni 1967 von Thomas Hesterberg zählt zu den ikonischen Darstellungen der deutschen Zeitgeschichte. Es steht für die Protestbewegung, für den Widerstand einer jungen, wütenden Generation, die sich damals am Kampf gegen das Establishment aufrieb, und für eine Haltung, in der das Private immer auch politisch sein sollte. Eigentlich müsste es längst verblichen sein, so oft ist es aus dem Archiv hervorgezerrt worden.

Die Kommunardin Gertrud Hemmer nach Entstehen des berühmten Kommune-1-Nacktfotos. Bild: Thomas Hesterberg/SZ Photo

Dieter Kunzelmann war einer der Mitbegründer der Kommune 1, Kopf der Terrorgruppe Tupamaros West-Berlin und später Abgeordneter der Alternativen Liste im Berliner Abgeordnetenhaus. Bild: Thomas Hesterberg/SZ Photo

Bewohner der Kommune 1: V.l. Rainer Langhans, Gertrud Hemmer, Volker Gebbert und Dieter Kunzelmann. Bild: Thomas Hesterberg/SZ Photo

Im autobiografischen Bericht von Ulrich Enzensberger «Die Jahre der Kommune I» kann man übrigens nachlesen, wo das Bild erstmals publiziert wurde: Es diente als Umschlagfoto für eine rasch zusammengeheftete Broschüre, mit der die Bewohner der Kommune gegen die wachsende Polizeigewalt und gegen die Stimmungsmache der Boulevardzeitungen aufbegehrten.

Gertrud Hemmer (stehend), Ulrich Enzensberger (Mitte, sitzend) und Volker Gebbert (2. von rechts) im Gespräch. Bild: Thomas Hesterberg/SZ Photo

Der Wortführer der Studentenbewegung Rudi Dutschke (rechts), auf einer Demonstration in Berlin im Gespräch mit dem Black-Power-Aktivisten Dale A. Smith von der SNCC. Bild: Thomas Hesterberg/SZ Photo

Der Fotograf Thomas Hesterberg kann leider nicht mehr Auskunft geben, wie es damals war, als Besucher bei den Kommunarden. Auch seine Frau Lisa Rheingans kennt die Hintergründe nur aus den Erzählungen ihres 2011 verstorbenen Mannes. «Die Zeitschrift ‹Quick› wollte das Foto damals unbedingt drucken, es gab da ein richtiges Wettrennen. Schliesslich hat es …

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der ‹Spiegel› als Erstes gedruckt», erzählt sie. Hesterberg war kein Pressefotograf, auch wenn Zeitungen manchmal ein Bild von ihm kauften, aber er war einfach immer dabei, in diesem bewegten Sommer. Man spürt die Nähe zu den Akteuren, die der damals 30-jährige Berliner bei seinen Streifzügen durch seine geteilte Stadt begleitete, als eine Art Chronist der Protestbewegung. «Er konnte einfach sehr gut mit Leuten umgehen, und die haben ihm dann vertraut», erzählt Lisa Rheingans.

Hesterbergs Fotos sind in der Zeit vor dem radikalen Abdriften entstanden, so auch das legendäre Nacktbild. Beim Betrachten der spontanen Aufnahmen kann man wie bei einem Daumenkino ungefähr ahnen, was sich in der Hausgemeinschaft abgespielt haben mag. Ein Foto zeigt Dorothea Ridder auf dem Bett sitzend, sie zieht sich gerade an, während ihr Mitbewohner Rainer Langhans sehr konzentriert seinen Pulli in Form bringt. So richtig erfreut scheinen beide nicht zu sein, die Szene hat etwas Verklemmtes und widerspricht damit allen Fantasievorstellungen, die sich die Republik von der angeblichen Sex-WG machte. Gertrud Hemmer wiederum wirkt fast schon verloren, als sie sich nackt, aber schon mit den Kleidern in der Hand auf die grosse Flügeltür zubewegt.

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Thomas Hesterberg, 1968

Thomas Hesterberg stammte aus einer Künstlerfamilie: Sein Vater war Kunstmaler und seine Tante, Trude Hesterberg, eine berühmte Schauspielerin und Sängerin. Nach dem Krieg besuchte er das Internat Burg Nordeck in Hessen und ging mit 16 mit einem Austauschstipendium in die USA. Ein unstetes Leben, immer auf der Suche nach neuen künstlerischen Anregungen: «So ging es dann weiter», schreibt Hesterberg in einer biografischen Skizze, «mit Ausbrüchen und Aussetzern, mit Abschweifungen und Ausschweifungen und längeren Tramp-Fahrten, da war man schon mal Tellerwäscher in Stockholm, Fremdenführer in Istanbul oder Paris, so wie viel früher mal Kupferstichkolorist in Wien und viel später mal Hausmeister in Tanger …»

15 Kommentare zu «Ihr könnt uns alle mal!»

  • Werner Bauer sagt:

    das war für meine Generation einfach eine wunderschöne Zeit!
    Es gab es noch viel zu zu viele
    Nazis in allen öffentlichen Ämtern , wir mussten anders sein um die alten Vorurteile zu durchbrechen

  • Klaus Schwarzkopf sagt:

    Danke für die Info, Monique, Max: Die Musik von Amon Düül II – oder die Konsistenz vom „schwarzen Afgan“ sind mir aber vertraut ;-) — Ich kannte auch die Nico von Velvet Underground, diese Christa Päffgen. Eine sanfte „Heroin“. Stammte aus Köln. Tempi passandi …

  • Muller M. sagt:

    Das waren die Zeiten, wo man sich noch zu Siebt in einen PW zwängen konnte…
    Heute ist so vieles (fast alles?) verboten.

    • Hans Müller sagt:

      und dann auf der Autobahn eingequetscht qualvoll verstarb. Es gibt ja vieles, was früher vielleicht „besser“ war, aber zu siebt in einem PW unterwegs zu sein, ist jetzt definitv nichts, dem man nachtrauern müsste…

  • Rainer Barmettler sagt:

    Das Foto soll für die Protestbewegung, für den Widerstand einer jungen, wütenden Generation stehen, die sich damals am Kampf gegen das Establishment aufrieb, und für eine Haltung, in der das Private immer auch politisch sein sollte. Was für ein einfältiges Rechtfertigungsnarrativ! Das ist verklärende Nostalgie, die heute keinen mehr interessiert. Ausser ein paar alte Linke, die sich postfaktisch an eine virtuelle Revolution klammern. Und dass der Cohn-Bendit nicht als Kinderschänder und Pädophiler gejagt wird, hat er alleine seinen linken Gesinnungsgenossen zu verdanken, die seit Jahrzehnten ein schützendes deutsches Meinungskartell bilden. Der Fotograph würde heute als Kinderporno-Prduzent verhaftet. Und wer ist Enzensberger?
    Das Foto ist eine Ikone des spiessig-linken Kleinbürgertums.

  • Dodimi sagt:

    ja, Uschi Obermaier…und wenn schon denn schon…Daniel Cohn-Bendit!

  • Monique Schweizer sagt:

    Die guten alten 60er Jahre – da herrschte noch echte Aufbruchsstimmung gegen den Muff von den Talaren aus 1000 Jahren!
    Und dazu Friede, Freude Eierkuchen bei psychadelischer Musik und einem roten Libanesen! Das waren einmalige Jahre!

    • Hans Müller sagt:

      Ja, die guten alten 60er. Und in den 70er haben diese Aufbruchstimmenden Europa dann mit einer Terrorwelle überzogen. Schöne Zeiten.

    • 1-800-CallGary sagt:

      Das denke ich auch. die 60er war das Beste.
      Literatur- und Musikmässig.
      Immer etwas zu tun. Immer Zeit und Geld für einen Trip nach Formentera.
      Money for nothing and the chicks for free.
      Vor Knöpfler.

  • Michael sagt:

    Ist das alles jetzt irgendwie relevant?

  • Klaus Schwarzkopf sagt:

    Es fehlt aber die Uschi Obermaier ;-)

    • Monique Schweizer sagt:

      Schwarzkopf: Die schöne Uschi zog erst 1968 in die Kommune K1 ein, die unterdessen weitergezogen war in eine alte Fabrik in der Stephansstrasse 60.
      Vorher lebte Uschi Obermaier in einer Kommune mit ihren Musikerband Amon Düül II in Essen und der Langhals verliebte sich in sie und erst dann zog sie in die K1

      • Max Röthlisberger sagt:

        Genau so wars… und so „entdeckten“ die Leute von K1 auch den „schwarzen Afgan“ :-)

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