Tiefgekühlte Fetische
In Genf ist wieder Auto-Salon. Raffael Waldner rückt einem Kult auf den Leib. Und treibt ihm dabei allen Zauber aus.
Man hat es als «totales Objekt» bezeichnet, als «Haupt-Sache» unter den Konsumgütern (so der Soziologe Henri Lefebvre). Man hat es «Kristallisationspunkt der sozialen Kräfte» genannt (sein Fachkollege Wolfgang Sachs) oder «Leitfossil in der Archäologie der modernen Seele» (der Volkskundler Martin Scharfe). Man hat es sogar mit den gotischen Kathedralen verglichen, als «grosse Schöpfung der Epoche, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern erdacht wurde und von einem ganzen Volk benutzt wird, das sich in ihr ein magisches Objekt zurüstet» (der Kulturtheoretiker Roland Barthes).
Kein Zweifel: Von allen Waren, die die moderne Konsumgesellschaft geschaffen hat, ist das Auto die berühmteste, beliebteste und bezeichnendste. Und wenn man zeigen müsste, dass wir Dinge nicht nur der Dinge selber wegen kaufen, sondern mindestens so sehr, wenn nicht vor allem wegen bestimmter Ideen, Symbole, Bilder, die an den Dingen haften und an sie geheftet werden – dann wäre das Auto das Exempel.
Umso erstaunlicher, was dem Berner Fotografen Raffael Waldner gelungen ist. Er war in den letzten fünf Jahren Stammgast an den internationalen Automessen in Genf, Frankfurt und Paris, und Messen sind es wirklich: Hier wird das Automobil gefeiert und bewundert als jenes «magische Objekt», von dem Roland Barthes gesprochen hat. Ein Götzendienst? Waldner lässt davon – und das ist so irritierend an seinen Bildern – nur den Dienst übrig, den Ritus, die Geste: Man sieht nicht das Wunder, sondern allein die Darbringung zur Bewunderung.
Liegt es am Blitzlicht, mit dem Waldner den Farben alle Strahlkraft nimmt und sie erstarren lässt? Am Blick aus nächster Nähe, mit dem er die Formen seziert und sie vom Brimborium jener «Emotionen» trennt, die an diesen Festivals mit so viel Aufwand inszeniert und auf die Vehikel übertragen werden? Oder daran, dass er mit seinen Bildpaaren die traditionelle Gleichsetzung von Frauen und Autos, von Fleisch und Blech an diesen Anlässen so kühl ausdekliniert und ins Absurde treibt?
Tatsache ist, dass dieser Waldner schon in seinen früheren Arbeiten dem Automobilismus mittels Reduktion beigekommen ist: Seine Aufnahmen von Unfallschauplätzen und Autowracks («Sites» und «Car Crash Studies») waren nicht weniger gespenstische Akte der Entzauberung. Und so betreibt er auch in seinem neuen Bildband «Salon» einen Exorzismus mit einem populären Kult. Zurück bleibt, und das in aller Drastik, das Auto als leere, geistlose Form und als Fragezeichen. Die Frage wäre: was uns dieses fremde Ding überhaupt zu sagen hat. Und was die Hostessen an den Messeständen erzählen würden. Wenn man sie denn fragen könnte.

Raffael Waldner: Salon. Mit Texten von Martin Jaeggi und Jürgen Häusler. Codax/JRP Ringier, Zürich 2017. Deutsch/englisch. 136 Seiten, 120 Bilder, etwa 65 Franken.
4 Kommentare zu «Tiefgekühlte Fetische»
Schöne Bilder. Den Text habe ich nicht gelesen. Sorry.
Warenfetischismus = Anbetung des Mehrwerts = Anbetung des Toten = Nekrophilie.
Anstelle von Frauen in Fleisch und Blut hätte er es noch toppen können, indem er z.B. Puppen / Sex Dolls, in verschiedenen Ausführungen, neben die Automobile gestellt hätte.
Marinetti, Futurist und der erste Dichter der Automobilität, verachtete schon die Frauen und liebte den Krieg, das Tote und den Geschwindigkeitsrausch.
18-20 Uhr
Diesen Donnerstag 16. März 2017: Book Launch des Buches
Raffael Waldner – Salon
in der Buchhandlung Kunstgriff, Limmatstrasse 270, 8005 Zürich.
Der Künstler wird anwesend sein!