Leben im Atombunker

Unter Peking gibts noch eine Stadt. Dort leben Menschen auf engstem Raum.
Antonio Faccilongo hat sie – heimlich – besucht.

Unter diesen Wohnblocks befindet sich einer der unzähligen bewohnten Bunker Pekings.

Eine Million Menschen, schätzt man, taucht jeden Abend ins unterirdische Bunkersystem von Peking ab. Nicht, um sich dort zu vergnügen. Nein, diese Menschen leben dort: in dem Tunnelsystem aus Tausenden von Luftschutzkellern, die der grosse Führer Mao Zedong Ende der 60er-Jahre bauen liess, als die Bedrohung eines nuklearen Schlags erstmals real wurde. Kaum war der Kalte Krieg vorbei, witterte das Verteidigungsministerium die Chance, viel Geld zu machen, und begann, die Bunker systematisch zu vermieten.

Ein- und Ausgang eines Atombunkers.

Ein Musiker übt im Kunst- und Kulturraum auf seiner Posaune.

Als der italienische Fotograf Antonio Faccilongo erstmals von dieser Stadt unter der Stadt hörte, war er sofort fasziniert. Ende 2015 reiste er nach Peking, um sie zu fotografieren – und musste feststellen, dass das gar nicht so leicht war. Wo immer er einen der Zugänge zum Tunnelsystem fand, fing ihn ein Wachmann ab – mit der Begründung, Ausländern sei der Zutritt zu den Bunkern untersagt. Selbst ein offizieller Antrag bei der Regierung wurde abgelehnt.

Ming Lì (28) trainiert im Nong-Ying-Bunker.

Bauarbeiten in den Gängen eines Bunkersystems.

Gemeinschaftszentren, Bars, Tanzschulen und Schönheitssalons: Das Universum im Neonlicht ist gut organisiert.

Yi Zhon schaut auf seinem Smartphone eine Sendung. Statussymbole wie Handys und Markenartikel sind auch für Menschen, die sich keine Wohnung leisten können, enorm wichtig, um erfolgreich zu wirken.

Für unterirdische Darbietungen: Karaoke-Bar in einem Bunker.

Essen bei Neonlicht.

Ze Lius (3) Vater Huan Liu Gang (29) betreibt vom Bunker aus einen Online-Buchladen.

Ein Junge lässt sich die Haare färben. Über 1000 Geschäfte soll es in den Kelleranlagen Pekings geben.

In den Anlagen leben auch Kleinkinder.

Ein Student feilt in einer Kalligrafie-Schule an seiner Technik.

Irgendwann gelang es Faccilongo doch, in einem unbeobachteten Moment hineinzuschlüpfen. Aber unten gingen die Probleme weiter: Die meisten Personen, die er antraf, wollten sich nicht von ihm ablichten lassen. Aus Scham oder aus Angst, die Verwandten, denen sie von einem gut bezahlten Job und einer tollen Wohnung erzählt hatten, könnten sie auf den Bildern erkennen. Tatsächlich leben in den Bunkern nicht nur Studenten und Arbeiter vom Land, die nach Peking gekommen sind, um Karriere zu machen, sondern auch Menschen, die tagsüber im Markenanzug und mit Smartphone am Ohr durchs Businessleben gehen.
Des Nachts verschwinden sie …

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… unter der Erde, weil sie sich eine normale Wohnung schlicht nicht leisten können; für die Statussymbole, um den Schein zu wahren, reicht es grade so.Die Lebensbedingungen in den Luftschutzkellern sind mehr als spartanisch. Strom, fliessendes Wasser und ein Kanalisationssystem sind zwar vorhanden, aber seit dem Einbau kaum gewartet worden. Die Gemeinschaftsküchen- und -bäder strotzen vor Dreck, die Luft riecht modrig, und Privatsphäre ist ohnehin ein Fremdwort. Oft leben Menschen auf einem Flecken, der kleiner ist als ein Parkplatz.
Seit 2010 ist es verboten, die Bunker zu bewohnen – theoretisch. Praktisch profitieren zu viele finanziell davon, und noch mehr haben schlicht keine Alternative, irgendwo unterzukommen. Zudem ist dieses Universum im Neonlicht mittlerweile zu gut entwickelt, als dass man es einfach so abschaffen könnte: Hier unten befinden sich nicht nur Schlafplätze. Es gibt Gemeinschaftszentren, Bars, Schulen, Fitnesscenter und Schönheitssalons – die nicht nur von den Bewohnern genutzt werden, sondern auch von auswärtigen Besuchern.
Die meisten, die hier leben, sehen die Bunker als Übergangslösung. Irgendwann, sind sie überzeugt, würden sie sich den Weg nach oben erarbeitet haben, würden sie eine Wohnung mit Fenstern besitzen. Erschreckend viele schaffen es jedoch nie wieder hoch ans Tageslicht.

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Der italienische Fotograf Antonio Faccilongo arbeitet hauptsächlich im asiatischen Raum mit dem Fokus auf sozialen, politischen und kulturellen Themen. Seine Arbeiten werden weltweit publiziert, u.a in der «New York Times», im «National Geographic», im «Guardian», in der «Zeit».

10 Kommentare zu «Leben im Atombunker»

  • heinzgitz sagt:

    Kann ja auch sein was dieFenster auf den Fotos, auf gemalt sind soll ja helfen gegen Depressionen.

  • Doris sagt:

    Wer da wohnt und nicht taeglich hinausgeht hat mit der Zeit Muehe, Tag und Nacht zu unterscheiden. Das kann die Gesundheit beeintraechtigen. Ich habe das kuerzlich beobachtet.

  • Stephan sagt:

    Ich meine auf mindestens 5 Bildern Fenster zu erkennen….

  • Leo Stern sagt:

    Also vieles sieht gar nicht bunkermässig aus. Ich glauben nicht, dass chinesische Bunker innen gross anders sind als deutsche oder schweizerische Bunker. Schätze eher, dass sich hier eine neue Kowloon Walled City entsteht wie damals in Hongkong.

  • massimo sagt:

    Wie heisst es so schön: wenn nicht wahr, so mindestens gut erfunden !

  • Paul Gisin sagt:

    Toller Bunker, angeblich unter der Erde bzw. unter Hochhäusern etc. und überall zugemauerte Fenster!! Wer soll das denn schlucken?

  • Georg sagt:

    Der Musiker übt zwar auf einem „Trompeteninstrument“, aber das Ding ist eine Posaune. Es irritiert immer wieder, wie ungenau man im Tagesanzeiger (ja, nicht nur dort) in einfachsten Details arbeitet. Das schafft kein Vertrauen.

    • Boris Müller sagt:

      danke für den hinweis, wurde korrigiert. in den file-informationen des fotografen stand „musician plays the trumpet in a room…“. der fehler wurde leider nicht bemerkt.

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