Nur der Fisch kann sie erlösen
Die kälteste Hauptstadt der Welt? Ulan Bator, Mongolei. Die zweitkälteste aber, mit Temperaturen von bis zu minus vierzig Grad, ist Astana, eine real gewordene Dubai-Fantasie von Kasachstans autokratischem Herrscher Nursultan Nasarbajew, mit dem Ölboomgeld der Neunzigerjahre aus der Steppe gestampft.
Alexei Kondratjew war hier, als er sein grosses Thema verfolgte, die Transformation der zentralasiatischen Staaten in der Postsowjetzeit. Was er auf dem zugefrorenen Fluss Ischim entdeckte, der durch Astana fliesst, hatte mit dem fiebrigen Drang in die Zukunft aber wenig zu tun. Es waren tütenförmige kleine Zelte, jedes bewohnt von einem Gespenst, von dem durch die Plastikfolie nicht viel mehr zu sehen war als dessen Reglosigkeit. Von manchem aber auch gar nichts.











Im Jahr darauf kam Kondratjew zurück, und das nur der Eisfischer wegen, die sich mit ihren Zelten aus Plastikabfällen vor Wind und Kälte schützen. «Mich haben das Material und die Form dieser Hüllen interessiert, die Art und Weise, wie sie zu Skulpturen werden», erklärt der Fotograf, der aus dem benachbarten Kirgistan stammt und in Detroit lebt.
Seine Faszination für die ungewollte Ästhetik hat Kondratjew auch so weit gebracht, die Kulisse der Hauptstadt aus seinen Fotos zu radieren und sie zu ersetzen durch ein nebliges Nichts. Umso einsamer kauern die Gespenster jetzt in ihren mönchischen Klausen, täglich fünf bis acht Stunden wartend auf den Barsch, den Rotkarpfen, die Brasse. Nur ein Fisch kann sie erlösen von ihrer Reglosigkeit. Bevor sie gleich wieder erstarren.
Aleksey Kondratyev (geboren 1993 in Bishkek, Kirgisistan) arbeitet zwischen Detroit und Zentralasien. Er erhielt ein Stipendium für Fabrica in Italien und ist Gründungsmitglied und Direktor von Stand Quarterly. Weitere Infos zu seinem Schaffen finden Sie unter:
Aleksey Kondratyev
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