Schreckliches, herrliches Land

Der Tessiner Fotograf Luca Zanetti reist seit Jahren nach Kolumbien. Und dokumentiert
ein Land zwischen Himmel und Hölle.

 

 

Ein Arbeiter macht in der Smaragd-Mine Puerto Arturo eine Pause. Die Bedingungen sind sehr hart. Geld erhalten sie keines. Ihr Lohn ist die Möglichkeit, einen Edelstein unbemerkt rausschmuggeln zu können.

Stell dir vor, dein Arbeitsalltag bestünde daraus, dass du kranke Frauen auf deinem Rücken ins nächstgelegene Spital schleppst. Quer durch den Dschungel. Acht Stunden hin, acht zurück. Der chronische Bandscheibenvorfall gehört dazu, du bist schliesslich ein «carguero», wie schon dein Vater und davor dessen Vater. Oder stell dir vor, du hättest eine Farm, und plötzlich taucht die Polizei auf und will sie dir wegnehmen. Klar, du baust Cocasträucher an, das ist illegal. Aber wie sonst willst du deine Familie ernähren? Als Kampfmaschine bei den Aufständischen etwa? Oder in den Smaragdminen, wo sich keiner ohne Waffe hin traut?

Zu viel Gewalt: Boyaca, die Smaragd-Region, gilt als eine der am stärksten bewaffneten Gebiete Kolumbiens.

Auf Spurensuche: 1988 ermordete die Armee am Fluss Nare 15 Goldgräber. Ein Forensiker untersucht die Skelette, die in einem Grab gefunden wurden.

Mitarbeiter des forensischen Labors der Menschenrechtsabteilung der Staatsanwaltschaft in Medellín untersuchen ein Skelett. Mittels Scans, Gebissabdrücken und DNA-Analysen wird versucht, Geschlecht, Alter und Todesursache zu eruieren.

Vermutlich bis zu 50’000 von rechten Paramilitärs und Guerilla-Gruppen getötete Zivilisten liegen verteilt übers Land in anonymen Gräbern. Eine Mitarbeiterin des forensischen Labors zeigt eine Kiste mit Überresten eines unidentifizierten Opfers.

Smaragde sind Kolumbiens grünes Gold. Der Handel ist durch die grosse Anzahl der Steine fast unregulierbar. Unzählige verschwinden auf dem Schwarzmarkt.

Das Kokainlabor wurde vom kolumbianischen Dschungel-Bataillon in Brand gesetzt. Es diente der Herstellung von Koka-Paste, welche aus Kokablättern hergestellt wird.

Die Antidrogeneinheit der Polizei während einer Razzia. In diesem Stadion der Kokainproduktion sind die Landwirte, die die Felder besitzen, immer noch an der Herstellung beteiligt, bevor sie es dann an die Drogenkartelle verkaufen. 

Eine Mutter und ihr Kind fliehen vor dem brennenden Kokainlabor, welches durch die verwendeten Chemikalien zu explodieren droht.

Die Antidrogeneinheit der Polizei vernichtet das komplette Labor.

Ein Farmer versperrt den Eingang zu seinem Anwesen. Die Polizei versucht, es im Namen des vermeintlichen ehemaligen Besitzers zu übernehmen. Die Familie, die vertrieben wird, lebt seit über zwei Jahrzehnten dort.

Herr Mosquera erbte den Beruf seines Vaters: kranke Frauen vom örtlichen Arzt zum besser ausgestatteten Krankenhaus in Quibdo zu tragen. Die Wanderung auf dem rutschigen, steilen Gelände dauert etwa acht Stunden.

Inspiriert durch die kubanische Revolution, ging eine Gruppe von Kolumbianern nach Havanna, um eine Kriegsausbildung zu erhalten. 1964 kehrten sie nach Kolumbien zurück. 

Unter der Führung von Fabio Vasquez Castano gründeten die Kämpfer die Nationale Befreiungsarmee (ELN). Heute ist die ELN die zweitgrösste aufständische Gruppierung in Kolumbien und zählt schätzungsweise 2500 Kämpfer.

Eine Frau, die ins Kreuzfeuer zwischen der kriminellen Bande der Rastrojo und der ELN kam, musste mit 2000 weiteren Menschen ihrer Ethnie in die Stadt Catru fliehen. Regierung und NGOs setzen die Gesamtzahl der kolumbianischen Vertriebenen auf zwischen fünf und sechs Millionen.

Was hier unvorstellbar erscheint, ist in Kolumbien Courant normal. Luca Zanetti muss es wissen: Seit bald 20 Jahren reist der heute 45-jährige Tessiner in das südamerikanische Land. Es ist ihm zur zweiten Heimat geworden. Und zur Muse, deren strahlende Seiten er ebenso kennt wie ihre Dämonen. Von blauen Buchten bis zur Exhumierung von Opfern der Drogenkartelle, von saftig grünen Landstrichen bis zu Schmuggel-U-Booten: Zanetti hat all das fotografiert – und in der «NY Times», im «Spiegel», im «Geo» publiziert. Kürzlich wurden seine Bilder von der Fotostiftung Schweiz angekauft; das Buch zum Projekt erscheint im Herbst. Ob die Ruhe, die unlängst in Kolumbien eingekehrt ist, so lange anhält? Dann würde es bei 200’000 Toten bleiben. Stell dir das mal vor.

 

 

 

 

 

 

Ein Kommentar zu «Schreckliches, herrliches Land»

  • Pedro Rey sagt:

    Kenne Kolumbien bestens …ob es tatsächlich 200 000 Tote waren, kann niemand mit Sicherheit belegen. Was jedoch mit Sicherheit feststeht, es handelt sich nicht um einen Rechtstaat in unserem Sinne. Wo der Rechtstaat nicht funktioniert, greifen die Menschen zur Selbstjustiz. Mord und Totschlag sind an der Tagesordnung. Den Friedensnobelpreis einem Präsidenten einer Bananen-Republik zuzugestehen, sagt alles über den Wert eines solchen Preises aus, und ist eine Schande gegenüber all den täglichen Opfern (welche es immernoch gibt und geben wird).

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