Das Eis schmilzt, und es leidet

Kann man ein Empfinden für den Klimawandel bekommen? Julia Calfee porträtiert einen sterbenden Gletscher.

 

 

«Abenteuertrips interessieren mich nicht», sagt sie. Kalte Gegenden mag sie auch nicht, «ich friere ungern». Trotzdem hat sie am Ende fünf Monate auf 2100 Metern verbracht, fast zuhinterst in jenem schroffen Tal, das vom Fuss des Rheinwaldhorns hinab ins bündnerische Vals führt. Ihr Basislager war ein kleiner Container; drei Stunden Fussweg entfernt von der letzten Postautohaltestelle. Fünf für Julia Calfee; Übung im Bergwandern hatte sie ebenfalls keine.

Und wozu das alles? Um einer sterbenden Kreatur nahe zu sein – ihren «klagenden Rufen», ihrem «Verlangen nach Leben». So spricht die amerikanische Multimediakünstlerin über den Läntagletscher. Ein «Prachtstück der Gletscherwelt» nannte ihn der Naturforscher Aegidius Tschudi, aber das war vor fünfhundert Jahren. Heute gehört dieses Stück Eis zu einer unter­gehenden Art: Der Läntagletscher zieht sich im Jahr gut dreissig Meter zurück.

«A Glacier’s Requiem» heisst Calfees Buch. Also ein Totengesang, und das kann man fast wörtlich nehmen: Zu den Fotos gehört eine LP mit den Geräuschen des schmelzenden und tropfenden Eises, die Calfee aufgenommen und zu einer «Symphonie» arrangiert hat. Und so abstrakt, so gespenstisch rätselhaft ihre Bilder sind, so gut versteht man, was sie meint: Wenn Fotografie funktioniere, dann schaffe sie ein «Gefühl für ein Geschehen, das selber unsichtbar bleibt». Sieht man hier also Eis? Oder Schrammen und Wunden, kaputtes Gewebe und kranke Knochen, eine ganze Pathologie? Das ist der Klimawandel. Und zwar als Empfinden. Für das «Leben», so Calfee, «das flieht und sich einen Ort sucht, um weiterzuleben».

Calfee cover_rgb

Julia Calfee: A Glacier’s Requiem. Mit einer Schallplatte und  Beiträgen von Daniel Haefliger,  Edu Haubensak, Yang Lian,  Peter Schneider und Morris Wolf. Kehrer-Verlag, Heidelberg 2016. Englisch. 112 Seiten, etwa 100 Franken.

6 Kommentare zu «Das Eis schmilzt, und es leidet»

  • Richard Hennig sagt:

    Ich gehöre zu Denjenigen, die das „Glück“ hatten einige WK’s in den 80er Jahren Mitten im Dezember in den Alpen bei 2500m durchzuführen. Damals bei -25°C Wache zu schieben, mitten in der Nacht, war kein Spass. Aber während dem Tag hatten wir wunderschönen Ausblicke auf einer der Gletscher. Aber schon damals warnten erste Wissenschaftler vor einem schmelzen der Gletscher, nur hörte Niemand zu. Heute wo das Schmelzen so sichtbar ist, ist es zu spät. Diese „Musik“ ist sozusagen der Schwanengesang eines Gletscher. Tönt nicht mal schlecht.

  • Schenk Rosa sagt:

    So gehässige Kommentare! Das muss ja gute Gründe haben, oder? Was um alles un der Welt hat die Frau Ihnen angetan? Was macht, dass Sie sich verarscht fühlen, Herr Fivian und Herrn Müller die (verständliche) Sprache raubt?

  • bernhard.fivian@bluewin.ch sagt:

    Ich lasse mich nicht gern verarschen!
    Was soll dieser Unsinn?

  • Gerhard Engler sagt:

    Das Gletscher an ihrer Spitze abschmelzen ist wohl das natürlichste der Welt.

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.