Wunderschöne Katastrophe
Schaumfahne im Rotschlamm der Bauxitabfälle, Aluminiumraffinerie in Darrow, Louisiana, USA.
Kaffee oder Tee liegen nicht drin, zum Frühstück. Schliesslich kann man nachher stundenlang nicht aufs Klo. Im Morgengrauen sind die Lichtverhältnisse zum Fotografieren am besten. Also steigt J. Henry Fair jeweils dann in die Cessna und lässt sich dorthin fliegen, wo sonst niemand hinwill: direkt über die Giftmülldeponien, Tierfabriken, Kraftwerke dieser Welt. Und über all das, was diese so absondern in die Landschaft ringsum, in die Luft, ins Grundwasser.
Schön ist das nicht, würde man meinen. Falsch gedacht. Denn wenn Fair seine Kamera aus dem Flugzeugfenster hält, dann nur, weil sich unter ihm pure Schönheit auftut. Schaumfahnen auf riesigen Flüssigmüllseen sehen aus wie abstrakte Malerei. Blutrote Schwefeladern wie riesige Korallenketten. Das Werkgelände des weltgrössten Pestizidherstellers wie eine Moorlandschaft im Batik-Look.
Herbizid-Werk in Luling, Louisiana, USA. Credit: SouthWings
Geschmolzener Schwefel aus der Ölsand-Aufbereitung in Fort McMurray, Kanada.
Die Abendsonne beleuchtet einen Berg von Salzabfällen, die aus einer Kalium-Mine in Hertingen, Deutschland, stammen. Kalium wird für Düngemittel benötigt.
Schmutzwasserteich eines Kohlekraftwerks in Lausitz, Deutschland.
Entsorgungsgelände für die Kohleasche eines Kraftwerks in Shippingport, Pennsylvania, USA. Credit: Lighthawk
Phosphogips-Halde einer Düngerfabrik in Saint James, Louisiana, USA.
Zellstoffabfälle aus der Produktion von Kosmetiktüchern in den Belüftungsbecken einer Fabrik in Terrace Bay, Ontario, Kanada.
Fahrspuren auf einer Bauxitabfallhalde in Gramercy, Louisiana, USA.
Kohleschlamm in einem Auffangbecken in Kayford Mountain, West Virginia, USA. Credit: SouthWings
Test zur Verklappung von Phosphat-Produktionsabfällen in Bartow, Florida, USA. Die orangen Schwimmkörper halten den Pumpschlauch oben.
Die Sonne spiegelt sich in einem Becken voller Abraum nahe der Riotinto-Minen in Südspanien.
Öl der BP-Bohrplattform Deepwater Horizon verschmutzt die Sumpfgebiete an der Barataria Bay, Louisiana, USA. Credit: SouthWings
Dach einer Papiermühle in Baton Rouge, Louisiana, USA. Sie verschmutzt die Umwelt mit grossen Mengen Blei. Credit: SouthWings
Öl aus dem Bohrloch der Deepwater Horizon färbt das Meer im Golf von Mexiko rot. Credit: SouthWings
Abfluss von giftigen Bohrschlämmen beim Fracking in Springville, Pennsylvania, USA.
Deponie für Abfälle aus der Düngerproduktion in Geismar, Louisiana, USA.
Ein regelrechter See Schweinegülle in Warsaw, North Carolina, USA, in dem auch Föten, Medikamente und Hormonpräparate landen.
Abraumhalde einer Eisenmine in Kiruna, Schweden.
Will man sich das ansehen? Durchaus. Das ist genau Fairs Trick: «Wenn etwas nicht schön ist, wird keiner haltmachen und es sich anschauen», ist der Wahl-New-Yorker überzeugt. Und hinschauen sollte man. Unbedingt. Denn wer schaut, der sieht, und wer sieht, der denkt. Denkt, wie furchterregend gross die Wunden sind, die die Industrie der Welt da zufügt. Und denkt vielleicht auch darüber nach, dass diese Industrie ja nur produziert, wonach jeder von uns verlangt, Tag für Tag und ohne sich zu fragen, was die Konsequenzen sind.
Der Konsument stehe in der Pflicht, die Dinge zu ändern, findet Fair. Deshalb mache es keinen Sinn, die Namen der betreffenden Konzerne anzugeben. Und deshalb sei es auch nicht nur die Ironie der Ästhetik, von der seine Fotoserie lebe – sondern auch die Hoffnung.

J. Henry Fair: The Day After Tomorrow. Images of Our Earth in Crisis. Power House Books, 2011. 137 S. ca. 50 Fr.
Im Oktober 2016 erscheint:
J. Henry Fair:: Industrial Scars, Papadakis-Verlag, ca. 60 Fr.
Für seine Flüge wählte Henry Fair folgende Pilotencrews:
southwings und lighthawk
6 Kommentare zu «Wunderschöne Katastrophe»
Extrem schlimm, dass ein so hoch technisiertes und top wissenschaftliches Land wie die USA sich solche Umweltsauereien leistet. Schlimmer als im letzten Drittweltland. Offensichtlich fehlt es in den USA an minimalsten gesetzlichen Regelungen betreffend Industrieabwässer oder, noch schlimmer, keiner kümmert sich um solche. In der Schweiz traten solche Regelungen schon Ende der 60er Jahre in Kraft und wurden durchgesetzt. Das Ergebnis lässt sich sehen.
Wer ist wir? Natürlich habe ich auch solche Produkte. Nur bin ich als Techniker bewußter im Umgang damit: mein Handy ist 5 Jahre alt, die Kaffemaschine wird von mir repariert statt neu zu kaufen …
Das Problem ist ja nicht nur die Produktion von etwas. Viel größeren Schaden richtet es an was dabei zurück bleibt. Und da fehlt das Umweltbewußtsein und die Gesetzgebung. Während es bei uns in Europe Gesetze gibt und die auch halbwegs angewendet werden, ist die Liste der Umweltsünden und der Gesundheitsschäden dadurch in USA besonders lang. Dass das in vielen anderen Ländern (China, Afrika etc. ) auch so ist, ist unbestritten. Aber USA hält sich für ein zivilisiertes Land und die Bevölkerung ist „gebildet“. Wieso verhalten die sich so?
Etwas USA lastig. Zeigt aber wie den Amis die Umwelt schnorz egal ist. Hauptsache Geld. Hier werden gigantische Umweltschäden den kommenden Generationen aufgebürdet. Trotzdem könnte man in China wahrscheinlich noch viel mehr „schöne“ Fotos machen.
Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Fotograf US-Amerikaner ist, man kann nur feststellen, dass Nordamerikaner anscheinend null Umweltbewußtsein haben. Irgenwie geht Profit immer vor Gesundheit. Ist denen nicht klar, dass die ganze Sauerei im Grundwasser landet?
Sie glauben an deas technisch machbare, aber anscheinend nach dem Motto: nach uns die Sintflut und bezahlen soll der, der dann dort leben muss.
Einsteins Spruch über die Dummheit ist das Einzige was mir dazu einfällt …
Da lobe ich mir die Fotos von Gasnebeln im Weltall. Noch schöner, für uns ungefährlich und wesentlich faszinierender als mensch-gemachter Abfall.
Bevor man all zu arg auf den Amerikanern, oder prinzipiell den „anderen“ rumnörgelt muss man sich bewusst sein, dass wir selber viele dieser Produkte Konsumieren. Vielleicht ist in manchem Tesla oder Eisenbahnwagon Alu aus einer dieser Aluminiumwerke verbaut. Oder die netten Pflanzen welche wir im Baumarkt für unseren grünen Balkon kaufen wirdd mit Dünger aus einer dieser Fabriken gedüngt. Vllt. aber auch nur die Zutaten für unsere BBQ-Sauce. Und aus welchem Öl wohl all die praktischen Tupperwarebehälter gemacht sind welche wir in unserer Küche haben. Oder die Tefonbeschichtung unserer High-Quality-Swiss-Made-Energiesparpfanne? Oh und da habe ich das Lithium, Kalium oder Iridium vergessen welches in unseren Hocheffizienz-Öko-Häusern mit Fotovoltaik und Speicherakku verbaut ist?
danke herr schweizer, sie sprechen mir aus dem herzen. wir alle tragen zu diesen schweinereien bei und die kleine schweiz hat ja mit kölliken usw. bewiesen, dass auch wir die umwelt zu gunsten des profits schändlich missbrauchen. auch wenn bei uns – swiss miniatur und eher überschaubar – noch etwas weniges mehr bewusstsein vorhanden ist als z.b. in der usa, china oder asien .