Feenmärchen am Pestwurzbach

Ein vereinsamter Samenhändler und Fotograf dokumentiert einen der notgeplagtesten Winkel der Schweiz.

 

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Er will fotografieren, um jeden Preis. Und den bezahlt er dann auch. Zuerst verlässt ihn seine Frau mit fünf der sechs Kinder: Was er als reisender Händler verdient, mit dem Verkauf von Samen für Sellerie oder Zwiebeln bei den Bauern im Tessiner Bleniotal, das reicht nicht zum Leben. Und schon gar nicht zum Fotografieren, das als Nebenberuf zu wenig einbringt und als Passion zu viel kostet. Und als er dann leblos in seinem Haus in Corzoneso gefunden wird, am Morgen des 6. September 1932, Roberto Donetta also, vereinsamt, verarmt und als Vagabund in der ganzen Gegend verfemt, da konfisziert die Gemeinde seine Apparate, um seine Schulden zu tilgen und das Begräbnis zu zahlen.

Was bleibt, sind fünftausend Glasnegative aus den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, kaum dokumentiert und unentdeckt bis in die Achtzigerjahre. Das Archivio Donetta pflegt mittlerweile den Schatz dieses Einzelgängers der Fotogeschichte, und jetzt stellt ihn die Fotostiftung Schweiz auch auf der Alpennordseite aus. Was man zu sehen bekommt, ist beides: Chronik und Traum. Chronik der Menschen und Dinge in einem abgelegenen Tal, das von der Moderne lange unberührt und von Not und Auswanderung umso länger geplagt blieb. Aber auch der Traum eines Manns, der einem unerhörten Willen folgte und die Fotografie brauchte, um innere Bilder wahrzumachen.

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Roberto Donetta mit seiner Frau Linda und zwei ihrer Kinder.

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Alma, Fernanda, Nice und Anita – ein Feenmärchen am Pestwurzbach.

So ist dieser Donetta auch ein Regisseur, seine Porträts sind Bühnen. Mitten im Alltag stellt er sie hin, auf den harten Boden der Realität, und stets entrückt er so die Leute ein kleines Stück weit in eine zweite, höhere Wirklichkeit. Alma, Fernanda, Nice und Anita zum Beispiel – ein Feenmärchen am Pestwurzbach. Und dann, neben den vielen namenlos Gebliebenen auf seinen Bildern, auch er selber mit seiner Frau Linda und zwei ihrer Kinder – ein Traum vom Familienglück. Wahr ist es nur so lange, wie die Aufnahme dauert.

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«Roberto Donetta – Fotograf und Samenhändler aus dem Bleniotal», bis 4. September, Fotostiftung Schweiz, Winterthur.

Gleichnamiges Begleitbuch im Limmat-Verlag.

Das digitalisierte Werk im Internet: www.archiviodonetta.ch.

3 Kommentare zu «Feenmärchen am Pestwurzbach»

  • Ariane Denogent sagt:

    Ich bin berührt von diese Bildern. Sie sind schön und traurig zugleich. Ich freue mich, auf die Ausstellung. Herzlichen Dank!

  • Brigitte Marti sagt:

    Zeitdokumente die wunderbar erhalten worden sind und die von einem Leben erzählen, von dem sich die meisten jungen Menschen heute keine Vorstellung mehr machen können. Eindrücklich der Ernst und die Skepsis die auf den Gsichtern liegt.

  • Peter Zwahlen, Hünibach sagt:

    Wunderschön, dass soviel erhalten blieb!

    Herzlichen Dank und Gruß Peter Zwahlen.

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