Helden mit Kratzern
Zu Besuch bei 50 Jazz-Legenden.
Carla Bley & Steve Swallow
Sonny Rollins
Auch mal geschwiegen wird in diesem Buch. Etwa beim Hausbesuch bei Sonny Rollins in Woodstock. «Wir setzen uns hin und schweigen ein paar Minuten. Rollins trinkt seinen Tee. Nachdenklich schaut er vor sich hin.» Rollins, 85, grosser alter Mann und Rabauke des Jazz-Tenorsaxofons, kann in diesen Tagen kaum mehr spielen. Er hat Probleme mit der Lunge, der Luft. Und trotzdem träumt er von neuen Studioaufnahmen.
Charles Lloyd
Jon Hendricks
Billy Cobham
Sensible Helden sind es, die der deutsche Fotograf und Journalist Arne Reimer besucht hat für Band zwei von «American Jazz Heroes». Schon der erste und sehr erfolgreiche Band versammelte Porträts vieler Jazzgrössen – jetzt legt Reimer nach mit noch klingenderen Namen: Neben Sonny Rollins erscheinen ein Archie Shepp oder Billy Cobham, ein Charles Lloyd oder eine Carla Bley. Insgesamt fünfzig Jazzerpersönlichkeiten sind im prächtigen 240-Seiten-Band dargestellt. In flüssigen Texten, funkelnden Bildern.
Charli Persip
Billy Hart
Eddie Henderson
Lauter Siegergeschichten? Nein, nicht jeder der gealterten Jazz-Heroen kann wie Trompeter Eddie Henderson einen glänzenden roten Ferrari Dino 308 GT aus der Garage fahren («Immer gut gepflegt, kein einziger Kratzer»). Manche haben ein hartes Leben hinter sich; nicht wenige leben auch heute noch alles andere als feudal. Überhaupt zeichnet Reimer in seinen Homestorys der etwas anderen Art nicht das Bild von Strahlefiguren. Das hängt mit dem Blick des Schreibers und Fotografen zusammen.
Roy Ayers
Ornette Coleman
Nicht Idealisierung sucht er. Sondern das Ungeschönte, Wahrhafte, auch Alltägliche. Und er findet dieses, weil er ein behutsamer Mensch ist. Reimers macht sich gleichsam unsichtbar bei seinen Besuchen, integriert sich auch mal zwanglos in den Tagesablauf seiner Helden, etwa wenn er der Freejazz-Legende Sunny Murray den Einkaufskorb im Supermarkt nachträgt. So kommt Reimer seinen Musikern nahe. Und die beginnen plötzlich zu reden.
George Coleman
Earnie Watts
Mike Mainieri
Und am Ende erscheinen die «Jazz Heroes» tatsächlich doch wieder als so etwas wie Lichtgestalten. Ist ein Held nicht jemand, der dem Leben etwas abtrotzt? Genau so sieht es der junge amerikanische Jazzsänger Gregory Porter im Vorwort zum Band. Er bewundert die porträtierten Jazz-Charismatiker dafür, wie sie ihre Emotionen durch ihre Instrumente zum Ausdruck brächten. Menschen aber seien sie auch, die wüssten, was der Blues bedeute: lachen, um die Tränen zu unterdrücken. «Hypersensibilität, Einsamkeit und all diese Dinge können einem das tägliche Leben zur Hölle machen, in der Musik aber von Vorteil sein», merkt Porter an.
James Blood Ulmer
Odean Pope
Archie Shepp: «In den USA hat man mich fast vergessen.»
Ben Riley
Amina Claudine Myers
Arne Reimer trifft den schwarzen Klavierspieler Kenny Barron an dessen Unterrichtsstätte, der New Yorker Juilliard School. Barron berichtet, seine Jazz-Eleven, wenngleich technisch behände, vermöchten leider kaum eine Ballade zu spielen, tief zu fühlen. «Wenn man jung ist und alles gut läuft, hat man nicht wirklich eine Geschichte zu erzählen. Mein alter Freund Ben Riley sagt immer dazu: ‹Ihr Herz muss erst einmal gebrochen werden.›»

Arne Reimer: American Jazz Heroes, Vol. 2. Besuche bei 50 Jazz-Legenden (Verlag Jazzthing). LP-Cover-Format, mit 240 Seiten und 236 Farbfotos. Ca. 60 CHF.-
3 Kommentare zu «Helden mit Kratzern»
…schon eine Zumutung, solch starke Fotografie in einem derart miesen Layout zu publizieren. Dieses Scrollen bei Hochformaten funktioniert so nicht.
mit ctrl – (minus) lässt sich die ansicht verkleinern. oder mit ctrl und mausraddrehung. dann sehen sie auch die hochformatigen bilder besser.
Lieber Christoph
Eine schöne Seite hast du da gemacht im Tagi. Und dein Blog ist sehr informativ.
Da hat man gerade Lust das Buch zu kaufen.
Gruss Robert