Bus 31: Die Linie der Gegensätze
Eine exklusive TA-Statistik schlüsselt die Zürcher Buslinien 31 und 32 Station für Station auf. Heute die Fahrt im 31er, auf der sich die Stadt in einer Vielfalt zeigt, wie auf keiner anderen Strecke.
Warum genau der 31er? Dies fragten einige Neugierige, nachdem sie erfahren hatten, dass der TA die Linie statistisch auswertete. Eine berechtigte Frage, denn die Linie ist eine durchschnittliche: mit 10,6 Kilometern Fahrtlänge weder die längste Strecke der Stadt noch die älteste, auch gehört sie nicht zu den am stärksten frequentierten des Zürcher Netzes.
Dazu kommt: Der 33er umkurvt die Stadt eleganter, im 32er eröffnet sich ein imposanterer Ausblick auf das Industriequartier. Auch unter Chauffeuren gilt sie selten als Lieblingsstrecke, unter anderem, weil sie mitten durch den innerstädtischen Stossverkehr führt. Manchmal kommt es im Bus sogar zu Tumulten.
Kurz: Der 31er dient nur schlecht zur romantischen Überhöhung. «Junkiexpress» nennen ihn allenthalben einige sogar, weil er die direkteste Verbindung vom Bahnhof an die von Drogen geprägte Kreuzung Militär-/Langstrasse zeichnet. In den letzten Jahren kam der Begriff «Partyexpress» hinzu. Warum also der 31er? Die Antwort ist einfach: Wie auf keiner anderen Strecke zeigt sich im 31er Zürichs ganze Vielfalt.
Café und Zeitung zum Frühstück.
Beim Hegibachplatz macht der Bus seine typische Kehrtwende. Wer trotzdem aussteigt, findet dort die höchste Wahrscheinlichkeit an der ganzen Linie vor, auf eine Stadtzürcherin über 65 zu treffen. Auch das geht aus der TA-Statistik hervor.
Und eine Zigarette, bevor die Reise losgeht.
Die Sitze bleiben nicht mehr lange leer.
Der Bus streift nun das Hochschulquartier an seinem unteren und das Niederdorf an seinem oberen Ende, viele Schüler und Studenten steigen zu und kurz darauf wieder aus. Die ersten Kilometer bestreitet der 31er bergabwärts, vom Neumarkt an beginnt eine andere Stadt.
Birken beim Kreuzplatz.
Das steuerbare Einkommen halbiert sich beinahe während der Fahrt im 31er, die Demarkationslinie bildet die Sihl. Den Spitzenwert erreicht das Einkommen mit fast 64’000 Franken beim Kreuzplatz. Die Gegend sticht auch sonst heraus: Im Jahr 2015 war die Sprecherstrasse – eine Station etwa 150 Meter stadteinwärts vor dem Kreuzplatz – mit 19,4 Eheschliessungen auf 1000 Einwohner deutlich Spitze in der Heiratsstatistik. Auch die Scheidungsrate war im selben Jahr an keiner Station der Linie 31 tiefer als hier. Doch die Zahlen einmal aussen vor gelassen, fällt an der Sprecherstrasse auf, dass keine einzige Kritzelei die Station ziert, kein Graffito schlängelt sich über das Gemäuer. Hier zeigt sich Zürich von seiner idyllischsten Seite. Die Statistik dazu.
Die Sprecherstrasse ist fast zu perfekt, um wahr zu sein.
Der Blick schweift über das Limmatquai.
Der Bus 31 durchfährt Zürich entlang jener Längsachse, die als einzige nicht von Berg oder See begrenzt ist. Westwärts ins offene Land, sozusagen.
Der Ort für Begrüssungen und Verabschiedungen: Bahnhofplatz.
Bei der Sihlpost hat es kaum noch Platz im Bus.
An jeder Kreuzung im Vorteil: Der Bus 31.
Man muss es so sagen: Die Kanonengasse stellt ein regelrechtes Sammelbecken für männliche Bewohner dar, es sind fast 60 Prozent. Nur an fünf Haltestellen ist der Frauenanteil grösser. Und, oh Unheil, die höchste Dichte an Gastrobetrieben auf der ganzen Linie findet sich an derselben Station.
Kinderwagen, Hund, Menschen, alles muss in den Bus.
Von Altstetten her kommend, bildet die Bäckeranlage eine Grenze: Die Dichte an Restaurants steigt ums Dreifache. Die Stadt wird jetzt zur Stadt, mit Höhepunkt an der Kreuzung Militär-/Langstrasse, wo sich die Strecken der Hauptlinien das einzige Mal kreuzen. Ein Zusammenprall ist in der fast 60-jährigen Geschichte übrigens nicht dokumentiert. Dafür rammte der 31er vor sechs Jahren einmal das Haus an der Schöneggstrasse. Zum Glück eine Ausnahme.
Die unscheinbare Station zwischen Letzipark und Hardplatz ist laut Statistik ein Ort der Extreme. Mit 7,4 Scheidungen auf 11,7 Hochzeiten findet sich hier die höchste Rate an Scheidungen entlang der ganzen Linie. Doch voreilige Schlüsse kann man deswegen nicht ziehen: Nicht nur im Arbeiterviertel wird verhältnismässig viel geschieden, sondern genauso im Hochschulquartier bei der Station Kunsthaus.
Der ganzen Linie entlang Baustellen: Besonders deutlich rund um den Bahnhof Altstetten.
Das ehemals typische Kleinbürgerquartier Altstetten ist heute eines der durchmischtesten der Stadt, der Buslinie entlang ist der Wandel auszumachen: moderne Wohntürme, wuchtige Baustellen, und vorne bei der Herdernstrasse dann die Skyline von Züri-West. Die strikte Trennung zwischen Arbeiterquartier und Züriberg ist zwar in der Statistik noch deutlich erkennbar, doch die vom 31er aus beobachtete Stadtlandschaft deutet darauf hin, dass sich die Gegenden in Zukunft angleichen werden.
Blauweisses Doppelgelenk vor grauem Einerlei bei der Station Herdernstrasse.
Das gewöhnliche Nebeneinander auf einer Stadtzürcher Linie.
Hin zur Stadtmitte werden es immer weniger Urzürcher – nur noch knapp jeder fünfte Einwohner wurde in der Stadt geboren. Am tiefsten ist der Wert rund um die Langstrasse. «Im Langstrassenquartier gibt es sehr viele Kurzaufenthalter, oft Ausländer, die innerhalb von einem Jahr wieder aus der Stadt wegziehen», heisst es beim Statistischen Amt der Stadt Zürich. Und weiter: «Es ist sicher kein typisches Familienquartier.»
Das nächtliche Zürich bei Regen fordert den Chauffeur.
Auch das gehört zum Bus 31: Ein Junkie bereitet seine Spritze vor, irgendwo zwischen SBB-Werkstätte und Micafil.
Sonst niemand hier? Station Micafil.
Am meisten gebürtige Stadtzürcher entlang der Linie 31 leben bei der Haltestelle Micafil (35,9 Prozent), wo die TA-Statistik beginnt. Am zweitmeisten beim Farbhof in Altstetten (32%), und Drittplatzierter ist der Hegibachplatz am anderen Ende der Linie (30%). Stadtweit wurde rund jede dritte Person (29,9%) auch in Zürich geboren. Echte Stadtzürcher leben eher am Rande der Stadt. Einer der Gründe: Dort gibt es mehr Wohneigentum, welches vererbt wird und die Urzürcher eher zum Bleiben veranlasst. Wer sich bei Micafil umschaut, um zu erkennen, wo diese Menschen wohnen könnten, wird erst nach ein paar Metern aufwärts fündig: Kurz nachdem der Fussweg die S-Bahn-Linie nach Urdorf durchquert hat, eröffnet sich ein säuberlich gepflegtes Wohnquartier.
13 Kommentare zu «Bus 31: Die Linie der Gegensätze»
Das Strassenverkehrsamt (Stationsansage) wird vom Bus No. 32 bedient. Schade, dass die Reportage bei der Micafil endet.
Fritz Morach, Schlieren
Auch noch bekannt unter „The thirty-one“ oder eben leicht anders betont „The dirty One“.
Busfahren in Zürich ist generell schön.
Arrogantes Stadtzürcher Gehabe.
Der Bus fährt bis Schlieren, die Linie endet nicht bei der Micafil
Ganz toll gmacht, und nun habe etwas Heiweh nach Zueri……. wo ich aufwuchs……. und nun jahrelang in San Francisco………
Genau Wahr leider wird nur gesprochen und keine Sicherheit gesorgt statt am Bahnhof so viele zu haben……
Wurden die abgelichteten Menschen eigentlich gefragt, ob es Ihnen recht ist so ausgestellt zu werden? Der Tag ist doch eigentlich nicht Facebook.
I loved living along Bus #31 during my years in Zurich in the 80’s – such a „cultural experience“!
Schade hört die Reportage an der Zonengrenze auf. Dabei ist die Strecke zwischen Micafil und Schlieren nicht minder Interessant. Hat das Budget nicht mehr für eine Zusatzzone gereicht?
Als Ur-Zürcher und Bewohner Altstettens (Farbhof) liebe ich diese Linie. Nicht nur ich. Das verstehen aber die kundenfernen Beamtenfuzzis nicht, darum waren sie verschnupft als die Idee der Einkürzung des Busses am Bahnhof Altstetten so rundweg und vehement abgelehnt wurde.
Die Kinder lernten mehr über Multikulti und Toleranz hier (und im gesamten ÖV) als je über das schöngeistige Geschwafel an der Schule oder von sonstigen „Büros“; abgesehen davon, dass sie vielfach die einzigen Schweizer in der Klasse waren. Aber das war nie ein Problem.
Und wie heisst die Linie im zürcher Volksmund: Richtig M……Linie!
Eine eindrückliche Fotoreportage! Gut gemacht! Beim Betrachten von einigen Fotos schlichen sich bei mir Heimatgefühle ein.
Bei uns hiess die Linie 31, zu recht, immer der „Orientexpress“.
Der 32er ist doch der Orientexpress?