Bus 32: Partyexpress und Genossenschafterkutsche
Keine andere Zürcher Buslinie löst mehr Versprechen der Stadt ein als der 32er. Am bemerkenswertesten ist nicht die Langstrasse, sondern ein anderes Quartier, das die TA-Statistik dominiert.
Die Zahlen der exklusiven TA-Statistik zeigen in einem Umkreis von 500 Metern der Haltestellen, welche Menschen entlang des 32ers wohnen. Die Busfahrt soll sichtbar machen, was die Statistik sagt.
Saubere Sache: Emil Huber arbeitet beim VBZ-Clean-Team und reinigt den Bus an der Endhaltestelle Strassenverkehrsamt.
Endstation Strassenverkehrsamt: Hier heiraten die Menschen nicht sehr oft, gehen aber überdurchschnittlich häufig wieder getrennte Wege. Um keine andere Haltestelle kommen auf die Anzahl Eheschliessungen so viele Scheidungen.
Tür an Tür: Genossenschaftswohnungen reihen sich bei der Haltestelle Hagacker aneinander.
Friesenberg heisst nicht nur eine Haltestelle, sondern auch das «Quartier der Extreme». Von der gleichnamigen Haltestelle bis hinauf zum Strassenverkehrsamt schlägt die Statistik sehr oft am stärksten aus: In den Siedlungen, Genossenschaftsbauten und Einfamilienhäusern hat es am meisten Urzürcher, die tiefsten Einkommen, am wenigsten Ausländer, am meisten Frauen, die höchste Scheidungsquote und am wenigsten Deutsche.
Es ist ein Familienquartier, hat aber auch den höchsten Anteil alter Menschen, und es zogen 2015 mehr Leute weg als hinzu. Und mittendrin befindet sich eine der grössten Genosschaftsbaustellen der Stadt.
Das führt zwar zu statistischen Verzerrungen, doch der Gesamteindruck bleibt: Der Friesenberg ist viel spektakulärer, als man den beschaulichen Häusern zutraut.
Trolley statt Trotti: Kinder warten bei der Haltestelle Friesenberg auf den Bus.
Populäre Gegend: Bei der Haltestelle Zwinglihaus leben am meisten Menschen.
Haltestelle Zwinglihaus in Wiedikon
Eine Frau steigt beim Helvetiaplatz in den Bus.
Viele Stadtbewohner sagen: Die berühmteste (und berüchtigtste) Bushaltestelle sei jene an der Militär-/Langstrasse. Dort steigen nicht nur Drogenkranke, Partygänger und Hipster aus. Hier wird gewohnt und gezügelt wie nirgends sonst: Die Verdichtung bringt Hunderte zusätzlich ins Quartier, viele Gebäude werden renoviert, «Gentrifizierung» ist in aller Munde, und der Bus transportiert kaum noch gebürtige Zürcher durch die Langstrasse.
Die Stange halten: Ein Bier bei Hooters an der Langstrasse.
Ohne mich: Junkies und Obdachlose lassen bei der Haltestelle Militär-/Langstrasse den Bus abfahren.
Die Olé-Olé-Bar an der Langstrasse zieht vor dem Fenster vorbei.
Fährt der Bus durch den Kreis 6 und hält an der Nordstrasse, sammelt er eine typische Sorte Zürcher ein: Adrett gekleidet, jeder Zehnte spricht Hochdeutsch, im Schnitt verdient man gut 53’000 Franken. Man lässt sich weniger oft scheiden als unten im Kreis 5. Dort, beim Limmatplatz, leben ebenfalls typische Stadtbewohner. Sie sind oft Ausländer, jung, hip oder alles davon, haben ganze 10’000 Franken weniger in der Tasche und zügeln viel öfter als die oben am Berg.
Freude herrscht am Limmatplatz.
Es geht aufwärts: Der Bus fährt über die Kornhausbrücke.
Müde Passagiere bei der Haltestelle Rotbuchstrasse.
Nicht nur Statistiker wollen wissen, wo Bäume stehen. Denn die Gewächse müssen gepflegt werden. Mit 1834 Exemplaren ist die Haltestelle Birchdörfli absoluter Spitzenreiter. Sie liegt aber nicht am Waldrand, sondern beim Friedhof Nordheim, der grünen Lunge des Quartiers.
Lauter Bäume beim Birchdörfli.
In den Sonnenuntergang an der Endhaltestelle Holzerhurd.
Die Endstation in Affoltern sieht aus, als sei sie den 1970er-Jahren entsprungen. Einige Häuser scheinen ebenfalls dieser Zeit zu entstammen – und stehen damit im Kontrast zu zahlreichen grossen Neubauten. Das Quartier zieht junge Familien an. Jeder fünfte Bewohner ist unter 17 Jahre alt, aber nur 9 Prozent haben das 65. Lebensjahr überschritten. Nirgends auf der Linie kommen mehr Babys zur Welt (knapp 20 pro 1000 Einwohner).
Ausländer hat es überdurchschnittlich viele, Deutsche sind unterdurchschnittlich oft vertreten. Gastronomie wird hier kleingeschrieben: Im Umkreis von 500 Metern hat es gerade einmal drei Kneipen. Das ist der tiefste Stand entlang der «Partyexpress»-Linie.
Die Busfahrerin macht kurz Pause, bevor es wieder zurückgeht.
Schräglage bei der Haltestelle Radiostudio.
Im Gewimmel auf dem Bucheggplatz …
… sind manchmal auch Muster zu erkennen.
Auf einer Linie: Kein Durchkommen auf der Langstrasse.
Ganz andere Seiten: Individuelle Leseecke an der Haltestelle Helvetiaplatz.
9 Kommentare zu «Bus 32: Partyexpress und Genossenschafterkutsche»
Warum wird explizit auf die Anzahl von Deutschen eingegangen ? Es heisst hier im Artikel wohnen überdurchschnittlich viele Ausländer und unterdurchschnittlich wenig Deutsche ? Muss man ins Deutschen darstellen wie Ausserirdische ?
omg, es könnte auch in bwl Manier beschrieben werden, dann wäre das in etwa so, blabla ausländer davon aber nur ein marginaler anteil an deutschen mitbewohnern. besser so..
mir geht dieses „wir armen deutschen werden hier so schlecht behandelt“ langsam auf den wecker.
Ich mag Busfahrten. Mit dem 32-iger fahre ich öfters. Wenn alles Lebende, Pulsierende, Kahle flüchtig an mir vorbeizieht, beschleicht mich ein Gefühl, als wollte ich manchmal etwas festhalten. Busfahrten sind Erlebnisfahrten mit äusseren und inneren Eindrücken. Es sind Verarbeitungsfahren, wenn ich an einer Bar vorbeifahre, wo ich vor vielen Jahren einer Liebe nachgestiegen bin, die von alledem nichts gewusst hat. Das Flüchtige bleibt für einmal, fast zeitlos. Danke, dass es Busse gibt, die dort vorbeifahren, wo das Leben immer wieder mal Halt macht.
Tolle Reportage mit sehr schönen Fotos. Kompliment dem Fotografen. Bitte weitermachen mit solchen Reportagen aus dem richtigen Leben.
so enge Strassen, überall in Zürich
Lieber Tagi
Ganz vielen Dank für die eindrückliche Reportage. Ich wohne ganz nahe an der
Kreuzung 31/32 . Dein Bericht motiviert mich , mehr Bus zu fahren .
Viele Grüsse,
Bernhard Thomas
Wenn ich das nächste Mal nach Zürich komme (aus Graubünden) und Zeit genug habe, werde ich eine Fahrt mit dem 31er oder 32er Bus unternehmen. Das muss eine sagenhaft interessante Fahrt werden. Ich liebe die Stadt Zürich und ich denke immer wieder mit Freuden an meine Ausbildungszeit vor mehr als sechzig Jahren in dieser Stadt..
Sehr schöne Momentaufnahmen. Zürich ungeschminkt, 2016.
Wie schön kann eine Stadt sein? Was wären die grossen und starken, die kleinen und zerbrechlichen, die coolen und uncoolen, die irren und verirrten, die wichtigen und unwichtigen Städter ohne den Bus? Und was wäre der Bus eben ohne diese? Die einen binden und zeichnen die Stadt der Bus verbindet diese…..
Danke, Danke und, und, und nochmals Danke