Mit Sehnsucht im Sattel
Die Vespa ist siebzig – und mit ihr der schöne Mythos der leichtfüssig eleganten Italianità. Ein Ständchen.
Die amerikanische Schauspielerin Mamie Van Doren posiert in Rom auf einer Vespa (1. August 1958/Pierluigi Praturlon/Getty Images)
Wenn es von einem Töff heisst, er vermittle ein Lebensgefühl, dann muss man sich vielleicht mal fragen, was da schiefgelaufen ist mit dem Leben im Allgemeinen. Aber das ein anderes Mal. Die Welt, und Italien im Besonderen, feiert den siebzigsten Geburtstag der Vespa, der wunderbaren Wespe, einem Fahrzeug mit dem Ruf einer ewig schönen Stilikone. Natürlich war alles noch viel schöner, als beim Fahren die Haare lose im Wind wehen durften, im Säuseln der Freiheit. Ohne Helm, aber mit Sonnenbrille. Das war wie Fliegen. Und wenn es dann auch noch an der Küstenstrasse von Viareggio passierte, wenigstens in der Vorstellung, ganz zu schweigen von der Costiera Amalfitana oder der Via Veneto in Rom, umweht von einer späten Schwade der Dolce Vita, dann schwang im lauten Schwirren und Surren des Motors die ganze Italianità mit. Oder etwa nicht?
(ca. 1955; Chaloner Woods/Getty Images)
Eine junge Frau posiert mit portablem Radio auf einer Vespa. (1956/ullstein bild via Getty Images)
Vesparennen in Syracuse. (undatierte Aufnahme/Gamma-Keystone via Getty Images)
Die Sängerin Marisa Sannia posiert auf einer knallroten Vespa. (1966/Mondadori Portfolio via Getty Images)
Mutter und Kind rollen durch eine Gasse. (undatierte Aufnahme/Dmitri Kessel/The LIFE Picture Collection/Getty Images)
Mitfahrgelegenheit: Ein Paar fährt auf einer Vespa durch Florenz. (1948/Ivan Dmitri/Getty Images)
Die italienische Schauspielerin Alessandra Panaro an einer Tankstelle in Rom. (1957/Pierluigi Praturlon/Getty Images)
Die italienische Schauspielerin Gina Lollobrigida fährt an einer Gartenparty mit ihrer Vespa vor. (14. Juni 1952/Ron Case/Keystone/Getty Images)
Ein Junge bestaunt, auf seiner Spielzeugmaschine sitzend, einen Mann auf einer echten Vespa. (1953/Keystone-France/Getty Images)
Eine junge Vespafahrerin schminkt sich in Paris. (ca. 1950Apic/Getty Images)
(9. Januar 1957/Keystone-France/Gamma-Keystone via Getty Images)
Für die Italiener ist die Vespa zunächst ein Stück Industriegeschichte. Nach dem Krieg fragte sich Enrico Piaggio, ein Grossindustrieller aus Genua, womit er seine Fabrikarbeiter in Pontedera fortan beschäftigen könnte. Sie hatten Militärflugzeuge gebaut. Piaggio erkannte die Zukunftschancen des Individualverkehrs auf zwei Rädern, wies seine Ingenieure an, den Prototyp eines Scooters anzufertigen. Dabei kam Paperino heraus, so nennen die Italiener sonst Donald Duck. Piaggio missfiel das Modell. Er trug dem Designer Corradino D’Ascanio auf, ein neues zu zeichnen. Der mochte Motorräder nicht, hielt sie für unbequem, liess sich aber überzeugen und entwarf einen leichten Zweitakter mit feinen Linien. Als Piaggio den Roller zum ersten Mal sah, soll er gesagt haben: «Der sieht aus wie eine Wespe, mit diesem runden Hintern.»
Der Volksroller
Die Firma hatte Mühe, die ersten paar Tausend zu verkaufen, obschon sie damit warb, dass der Benzinkonsum ja unschlagbar tief sei: ein Liter nur für fünfzig Kilometer. Ausgerechnet im selben Jahr, im Herbst, lancierte auch Innocenti ein Motorrad für die Massen, die Lambretta. Sie sollte der Vespa Konkurrenz machen, brachte es aber nie zum selben Kult. Das zweite und potentere Modell von Piaggio, die Vespa 125, lief dann spektakulär gut. Nach vier Jahren wurde der Ciclomotore aus Pontedera schon in 114 Ländern verkauft. Es folgten 150 weitere Modelle, viel Blech und Chrom für Sammler und Fanclubs überall. Bis heute ist es die nostalgisch durchsetzte Sehnsucht, diese Liebe zu den eleganten Retrolinien, die den Verkauf treibt, zuletzt wieder üppig.
In Italien fuhren immer schon alle Vespa: Politiker und Arbeiter, Professoren und Studenten, Manager, Briefträger, Dorfpfarrer. Die Vespa war sozial und erschwinglich, ein Volksroller – er motorisierte die Jugend. Und die Vespa beschleunigte nebenbei die Emanzipation der Frau. In den Anfängen sassen die Italienerinnen noch vor allem seitwärts und hinten auf den Sätteln, hinter Vätern, Brüdern, Verlobten. Aber da waren sie nun plötzlich und endlich mittendrin im fröhlichen Leben des Wirtschaftsbooms, die Haare im Wind. Bald schon rutschten sie nach vorn, ans Steuer. Die unprätentiöse und doch glamouröse Vespa wurde zur Ikone jener Zeit.
Opulente Schlaufen
Das Kino half bei der Verklärung. Als Audrey Hepburn und Gregory Peck 1953 in «Roman Holiday» auf einer weissen Vespa durch Rom gondelten, war das wie ein langer, schöner, internationaler Werbespot für das leichtfüssige Italien der Nachkriegszeit, für Rom, für Piaggio. Alberto Sordi, «Romano de Roma», wie die Römer die geliebten Söhne der Stadt nennen, fuhr 1956 Vespa in der Komödie «Mi permette, babbo!», was sie in Italien selbst zum Kult erhob. Und dann gibt es da die schöne Episode in Nanni Morettis Film «Caro Diario» von 1993, gewissermassen eine Hommage an das Gefährt und an dessen Symbiose mit der Stadt: Der Regisseur und Schauspieler fährt durch die menschenleeren und chaosfreien Strassen Roms im August, vorbei an allen Monumenten. Es ist so viel Platz, dass er den runden, tiefen Hintern seiner Vespa in weiten Schlaufen wiegen lässt. Es ist ein Schweben, ganz bestimmt.
Und so eilen Touristen, kaum sind sie in Rom angekommen, zu einem der vielen Leihdienste für Vespas und mieten sich einige Stunden vom ominösen Lebensgefühl. Sie sitzen dann steif auf dem Sattel, man sieht sie von weitem. Sie meiden opulente Schlaufen, fürchten sich (durchaus zu Recht) vor den vielen Löchern im Kopfsteinpflaster, lassen sich überholen von genervten Lebensgefühlroutinierten, von ganzen Schwärmen von Wespen, die sie da von allen Seiten bedrängen, laut und mittlerweile ganz unromantisch.
6 Kommentare zu «Mit Sehnsucht im Sattel»
Die Vespa war genial in ihrer Einfachheit: Um auf eine Kette verzichten zu können, wurde der Motor nicht mittig und viel zu weit hinten platziert, die Räder nicht mittig aufgehängt, die Vespa erhielt so das Fahrverhalten einer besoffenen Ehringer Kuh. Das Frauen die Dinger fahren konnten, halte ich für ein Gerücht, Kupplung und Gangschaltung lassen nur Kletterer mit austrainierter Handmuskulatur längere Stadtfahrten mit häufigen Schaltvorgängen durchstehen. Da das Fahrwerk ohnehin nur hüpfte, konnte man auch auf Bremsen verzichten, Anhalthilfen reichten komplett.
Vespa und Pizza, das Fahrzeug und das Brot des Proletariats, wurden von der Bourgoisie im Ausland zum Mythos gemacht. In Italien haben weder Pizza noch Vespa Glamourfaktor.
Frei von Glamour baut Honda seit 1958 die Super Cub (Cub steht dabei für cheap urban bike, was die Vespa sein wollte) und spendierte ihr, im Unterschied zu Piaggio anständige Räder. Motorrad hat einen Motor und zwei Räder, bei Piaggio hielt man die Räder für unwichtig. Dazu einen Viertaktmotor und eine Automatik und schaffte dies mit 65kg Trockengewicht. Honda baute damit das erfolgreichste und gemäss diversen Quellen wie Top Gear oder Discovery Channel das grösste und beste Motorrad aller Zeiten.
„Fare bella figura“ geht vor der Funktion. Vespa ist Weltmeister im gut aussehen.
„Roman Holiday“ ist zwar ein schwarz/weiss Film, aber Audrey Hepburn und Gregory Peck fuhren nicht mit einer weissen Vespa durch Rom, sondern mit einer grün metallisierten, der einzigen damals erhältlichen Farbe.
Kennen Sie den Namen der schönsten Italienischen Schauspielerin auf der Vespa nicht oder haben Sie es schlicht vergessen zu erwähnen?
Es ist Gina Lollobrigida.
Danke für den Hinweis – ihr Name muss beim kürzen des Textes versehentlich gelöscht worden sein. Sie heisst Gina Lollobrigida und so steht das nun auch in der angepassten Bildlegende.
Zur Vespa im Kino finde ich den Film „Quadrophenia“ noch erwähnenswert. Insbesondere die bizarr gepimpten Vespas der Mods sind speziell. Einen Eindruck kriegt man, wenn man nach „vespa quadrophenia“ googelt und sich die gefundenen Bilder anzeigen lässt.