Am Anfang war die Wand
Zürich, Zollstrasse, 1986.
Ich kam in die Schule, und da war einer auf dem Pausenplatz, der auf den Händen stand. Ich fragte mich: «Was ist das?!» Das war im Jahr 1983 und Migel damals 11 Jahre alt. Ab diesem Tag gab es für ihn nur noch das: Breakdance. «Tschüss Kung-Fu, tschüss alles.» Heute ist Migel 44 und Mitherausgeber des Buches «Zee City», das Anfang Jahr erschien. Es zeichnet die Geschichte der Zürcher Hip-Hop-Szene nach. Es ist eine Art Nachschlagewerk, das von den 80er-Jahren bis heute reicht. Blättern in diesem 360-Seiten-Werk kommt einer Zeitreise gleich.
The Fantastic Rockers, 1986.
Zürich-Wipkingen, Bahnviadukt, 1993.
Zürich, Seilergraben, 1992.
Die Bewegung war in den Anfängen noch sehr überschaubar. «Zu den Old-School-Zeiten ging man an eine Party und dann war der ganze Zürcher Hip-Hop gebündelt dort. Das waren dann etwa hundert Leute», erinnert sich Migel. Breakdance-Musik, solche wie sie jetzt an den Megaevents von Red Bull gespielt werden, gab es noch nicht. Man tanzte zu Funk, etwa jenem von James Brown oder von The Jimmy Custer Bunch. Die Hymne für alle Breaker aber war und blieb wohl bis heute „Apache“ von The Incredible Bongo Band. «Immer noch das Beste», findet Migel.
Auf der Strasse erkannten sich Gleichgesinnte in den Anfängen schnell. An den Füssen trugen sie vorzugsweise das Modell Superstar von Adidas. Wenn sie denn jemanden kannten, der ihnen den Turnschuh aus New York oder sonst einer grösseren Metropole mitbringen konnte. Zur Not taten es auch Stan Smith. Mögen die Schuhe heute richtig populär sein, in den Achtzigern führten sie im Vergleich zu den Converse-Imitaten von Marcel Scheiner ein Outsiderdasein.
Zürich, Bauschänzli, 1986.
Zürich, Letten, 1986.
Ein weiterer nicht unbedeutender Unterschied zu heute: Die Schuhe wurden gepimpt. Die Schuhbändel wurden durch breite Saumbänder ersetzt, zum Beispiel solche von Vorhängen. Die Fat Laces, die breiten Schnürsenkel, die mittlerweile in allen Farben an jeder H&M-Kasse zu finden sind, gab es nicht.
Dank zwischen Rist und Schuhzunge gestopfter Spülschwämme sahen die Schuhe bulliger aus, und die Fat Laces kamen besser zur Geltung. Und weil die Schuhe so locker gebunden waren, hielten sie dank den Schwämmen besser am Fuss.
Zürich, 1989.
Was jeder mitbekam, ob er nun zur Szene gehörte oder nicht, ob er sie mochte oder nicht: die Graffiti. Darauf liegt der Schwerpunkt in «Zee City»: Bilder auf Zügen und Wänden. Unter der Brücke des Polybähnli beim Central, beim Bellevue, im Steinfels-Areal. Manche Graffiti waren in Silber gehalten, dafür riesig. Andere «Pieces» zeichneten sich durch komplizierte Farbverläufe, Schatten, 3-D-Effekte und Figuren aus. Auch das Material änderte sich. Früher benutzten die Sprayer günstige Dosen, zum Beispiel aus der ABM. Diese trieben die Writer, wie sich die Sprayer nennen, gelegentlich in den Wahnsinn. Einige Farben stiessen einander ab. Oder sie liefen ineinander. Besonders Silber schien einen äusserst asozialen Charakter zu haben…
Zürich, Letten.
Zürich, Auzelg, 1989.
SAP, Central, 1990
„L“ von Lord, Letten, 1989
Zim
Die Aufsätze zu den Dosen suchten sich die Writer von anderen Dosen zusammen, Insektizid, Holzpflege, Bügelstärke – sie prüften sie alle. Diese Hybridversuche sowie die teils zweifelhafte Qualität der Dosen führten teils zu einem Overkill: Die Farbe schoss unaufhaltsam überall da raus, wo das Aerosol nur entweichen kann. Das Ergebnis waren farbverspritzte Jackenärmel, Schuhe und Hosen.
Lange ist es her, dass die Writer sich aus ihren Kinderzimmern stahlen, die klappernden Dosen und die Skizze für das geplante Werk in eine schwarze Tasche gepackt. Aus ihnen sind Kunstsammler geworden, Künstler. Sie sind jetzt mitte vierzig, bauen im Ausland eine Schmiede auf oder besitzen einen Coiffeur-Salon. Was bleibt aus dieser Zeit? «Die Sachen die ich gemacht habe», sagt Migel, «werden mir mein Leben lang Kraft geben. Auf diese Zeit kann ich immer wieder zurückgreifen. Das gehört mir. Alleine.» Ein Freund habe ihm einmal gesagt, er sei dankbar, dass er das erleben durfte. «Ich gebe ihm recht. Es wird nie mehr so sein. Es war so frisch. Es war das Konzentrat.»

Zehn Jahre dauerte die Geburt von «Zee City». Es entstand ein dicker Bildband, ergänzt mit langen, ausführlichen Texten.
5 Kommentare zu «Am Anfang war die Wand»
sorry aber eis pic wo ich au druf bin ( im vordergrund isxh de jay en freeze am mache) isch in auzelg ufgnoh worde und nöd im lette. evolution vom hip hop isch im grosse und ganze gar nöd schlecht ussecho ussert diä musik. o meine güte diä musik. mini kidzh loset so komische sound called rap!! raaaap??? what eva!!! keep bombing scratchin breakin rapping!!!! keepin da scene (big biz now) alive
Ich weiss nicht bei welchem H&M es Fat Laces an der Kasse gibt.
Heute gibt es leider fast nur noch diese hässlichen Tags, fast niemand nimmt sich mehr Mühe, Zeit und Risiko für ein schönes Graffiti, wofür man wirklich Talent braucht. Werden wir in 25 Jahren dann diese hässlichen Tags glorifizieren?
Früher hatte die Kultur schon mehr Stil und Bedeutung. Ich glaube, das hängt mit dem Internet zusammen. Heute ist nichts mehr spannend, weil alles nur noch einen Klick entfernt ist. Der Reiz, überhaupt noch etwas selbst zu machen, ist weg. Dann gibts es noch so Retortenveranstaltungen wie Castings im TV. Schlimm.
Voran merkt man, dass man älter geworden ist? Früher war alles real und besser. Nur. Wenn man heute einen SBB-Zug bombt und erwischt wird, hat man schnell mal 100’000 Franken Schulden ohne mit der Achsel zu zucken. Street-Art war noch nie so gross und beeindruckrnf wie heute, nur eben anders. Die Zeiten in denen ich mich 6 Stunden auf dem Vordach des Kiosks am Central verstecken musste, sind vorbei.
habe eher den eindruck, früher gabs verhältnismässig mehr hässliche tags – zumindest in zürich.