Was ist passiert?
Im Fotomuseum Winterthur zeigt Michel Frizot seine Sammlung fotografischer Sonderbarkeiten.
Fotos sind im Alltag Fenster: Man blickt durch sie hindurch. Und versteht. Weil sie nicht als Bilder, sondern als Abbilder der Dinge gelten. Dann und wann kommt es aber vor, dass man alles sieht – und sich trotzdem wundert.
Fotos als Fälle, Zufälle, Zweifelsfälle: Der französische Fotohistoriker Michel Frizot ist ihnen seit Jahren auf der Spur. Er findet sie auf Flohmärkten und in Brockenhäusern, und einen Teil seiner gesammelten fotografischen Sonderbarkeiten zeigt er jetzt in Winterthur. Lauter ebenso kunst- wie namenlose Bilder, die nur ausnahmsweise Titel oder Datum tragen; so wie das des Ungarn-Aufstands 1956 (unten links), dessen Opfer neben einem niedergerissenen Sowjetdenkmal ruhen. Eine irritierende Frage bleibt dennoch regelmässig: die nach Zweck und Grund des Bilds. Was wollte man uns sagen mit der Nachbarschaft von Fleisch und Stein? Mit der Zuneigung der beiden Rüstungsmaterialverkäufer zu ihren Raketenkopfattrapen?
Tatsächlich hat die Fotografie endlos viele Möglichkeiten, die Erwartungen des Betrachters, aber auch die des Fotografen zu hintergehen. Daher rührt das «Enigma» dieses Mediums, das der Ausstellung ihren Titel gibt. Und daher rührt auch Michel Frizots These, wonach «jede Fotografie ein Geheimnis hat». Weil Fotos eben keine Abbilder, sondern Bilder sind. Und alles, was sie zeigen, in ein Zeichen mit offenem, unbestimmtem Sinn verwandeln können. Könnten, um genau zu sein. Denn im Alltag behalten sie diese Art Magie für sich. Und bleiben unverdächtig.

Ausstellung: bis 14. Februar 2016.
Begleitbuch: Michel Frizot: Toute photographie fait énigme/Every photograph is an enigma. Mit deutschem Beiheft. Editions Hazan, 2014. 224 Seiten, etwa 45 Franken.
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