«Wie Forrest Gump auf LSD»
Roger Steffens erklärt, wie man unter Drogen richtig fokussiert, auf was man achten muss, wenn Keith Richards zu Besuch kommt, und was William Burroughs mit seiner Haussanierung zu tun hat.
Richie Silverman, ein weltbekannter Netsuke-Sammler und Freund Steffens, geniesst die kalifornische Sonne, 1979.
Ihr wildes Leben ist auf 40’000 Dias abgebildet, die von Ihren Kindern Stück für Stück digitalisiert und auf den Instagram-Account «family acid» geladen werden. Wo und wann begann die Dokumentation?
Zwischen Napalm und Maschinengewehrsalven. 1967 kam ich als Angehöriger der Abteilung für psychologische Kriegsführung (PSYOP) nach Vietnam. Dort wurde ich innerhalb zweier Wochen vom Befürworter zum überzeugten Gegner der Kriegsmission – und ich lernte fotografieren.
Wie das?
Statt mit Lautsprecher-bepackten Jeeps in Saigon rumzukurven, wie es zu Beginn meine Aufgabe war, half ich schon bald in Flüchtlingslagern. Man liess mich gewähren. Die einzige Bedingung: Ich musste alles mit einer Kamera ablichten.
Hell at night: Ein Helikopter feuert 1968 während der Tet-Offensive Schüsse auf Saigon ab.
Freunde am Pool in Berkley, 1972.
Sie sind also ein Autodidakt?
Ja, und vor allem bin ich ein Dilettant! Ein paar Tricks hat mir Tim Page, der renommierte Kriegsfotograf, später beigebracht. Seine wichtigste Lektion war aber ganz simpel: Hab deine Kamera immer dabei – das hab ich mir zu Herzen genommen.
Wie erlebten Sie die Rückkehr in die USA?
Ich zog als Pazifist durch meine Heimat und hielt Antikriegsvorträge. Daneben schrieb ich, fotografierte und organisierte Poesie-Abende für Poesiehasser. Damit war natürlich kein Geld zu verdienen, und nach einem Jahr strandete ich völlig abgebrannt in Los Angeles.
Lachanfall auf LSD: Freunde Steffens geniessen 1975 in Mendocino ihre chemische Reise.
Doppelbelichtung: Die Karate-Kämpfer am Strand von La Jolla verschmelzen mit einer älteren Naturaufnahme, 1980.
Steffens geliebter Cadillac im Sequioa National Forest, 1988.
Was geschah dann?
Als Kandidat der TV-Sendung «Three for the Money», in die ich durch Zufall geraten war, gewann ich den Hauptpreis: 10’357 Dollar, einen nagelneuen Buick und 7000 Kaugummis. Das rettete meinen Arsch. Der Trip konnte weitergehen.
Der Name «family acid» deutet es an – wie wichtig waren Drogen in Ihrem Leben tatsächlich?
Nun gut, ich bin ein alter Hippie und ich lernte auf LSD meine grosse Liebe kennen, Timothy Leary war ein guter Freund. Ich habe seit 1969 jeden Tag gekifft. Aber Drogen waren für mich immer nur eine Ergänzung, nie ein Ersatz.
Wie fotografiert man auf LSD respektive wie fokussiert man Dinge, die es gar nicht gibt?
Ich versuchte immer die Stimmung einzufangen, Schärfe war zweitrangig, trotzdem hat es meistens irgendwie geklappt. In gewisser Weise ist man auf LSD sogar fokussierter. Noch spannender als das Fotografieren war aber das Betrachten der auf Acid geschossenen Filme. Das war wie Weihnachten – lauter Überraschungen.
Antikriegs-Aktivist Richard Boyle kämpfte einst gegen südvietnamesische Soldaten. Oliver Stone hat sein Leben in «Salvador» verfilmt, 1977.
Memorial Day 1975: Hier lernte Steffens seine Frau kennen, auf Acid und während einer totalen Mondfinsternis. Es war Liebe auf den ersten Blick – das Paar ist heute noch glücklich verheiratet.
Wer Ihnen auf Instagram folgt, erfährt mitunter interessante Dinge, etwa dass der Schriftsteller William Burroughs einst Ihr Untermieter war?
Und was für einer. Er feierte während meiner Abwesenheit eine 14-tägige Schwulenparty unter Anwendung aller möglichen Stimulanzien. Das Haus brauchte danach eine grundlegende Renovation, man musste die Scheisse buchstäblich von den Wänden kratzen.
Und was hat Burroughs dazu gesagt?
20 Jahre lang gar nichts. Dann traf ich ihn an einer Vernissage in L.A. und er rief quer durch den Raum in meine Richtung: «Ich war es nicht!» (lacht)
Auf der Flucht von Nixons Amerika: Steffen reiste mit seiner ersten Frau im Camper durch Marrokko, 1971.
Thom Steinbeck, Sohn des berühmten Schriftstellers John Steinbeck und ebenfalls Vietnam-Veteran, schenkte Steffens einen französischen Artillerie-Hut aus der Sammlung seines Vaters, 1970.
Auch sonst trafen Sie immer wieder auf Berühmtheiten. Kürzlich besuchte Sie sogar Keith Richards.
Ja, er interessiert sich schon lange für meine Reggae-Sammlung. 6 Zimmer meines Hauses sind vollgestopft mit Raritäten. Ich besitze 99,9 Prozent von allem, was Bob Marley je aufgenommen hat. Aber da er L.A. so hasst, hat es 30 Jahre gedauert, bis das Treffen zustande kam. Ich bekam vom Management einen Rider, was ich alles bereitzustellen hatte. Von all dem Kram waren ihm aber schlussendlich nur die Rolling Papers wichtig.
Irgendwie waren Sie immer zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, trafen unverhofft illustre Personen. Ein bisschen wie Forrest Gump.
Ja, wie Forrest Gump auf LSD vielleicht. (lacht) Ich hoffe aber, ich wirke ein wenig intelligenter. Aber wissen Sie, was das lustige ist? Ich komme tatsächlich im Film vor – ich bin der Sprecher in der Szene, in der Forrest sich im Weissen Haus fast in die Hosen macht!
Fotografieren Sie immer noch analog?
Nein, seit ein paar Jahren praktisch nicht mehr. Seither hat sich mein Archiv etwa um das Fünffache vergrössert. Family Acid wird also noch eine Weile neues Material präsentieren können.
Bob Marley backstage, 1978.

Roger Steffens’ Instagram-Account «family acid» gewährt Einblick in eine faszinierende Welt eines drop-outs und humorvollen Freigeistes. Neben Impressionen von LSD- und Roadtrips, zauberhaften Landschaftsaufnahmen und irritierend schönen Doppelbelichtungen finden sich auch viele Bilder aus Steffens’ Alltag. Es ist eine bunte Reise durch die Gegenkultur der Sechziger- und Siebzigerjahre, und hinter jedem Bild wartet eine Geschichte. Viele sind unglaublich, einige kaum zu glauben, und jeden Tag werden neue Fotos aus seinem riesigen Archiv hochgeladen.
Ausser als Fotograf hat sich der 73-jährige Vietnam-Veteran auch als Co-Autor von Drehbüchern («Midnight Cowboy»), Schauspieler, Radiomoderator, Sprecher («Forrest Gump», «Wag the Dog», u.a.) und als Präsident des Reggae-Weltverbandes einen Namen gemacht. Er war mit Bob Marley auf Tournee und schrieb zahlreiche Bücher über ihn. Steffens lebt mit seiner Frau in L.A.
10 Kommentare zu ««Wie Forrest Gump auf LSD»»
Gratulation zu Ihrem Blog! Ich bin begeistert!
herzlichen dank fürs lob, wir geben uns alle mühe, sie auch weiterhin zu begeistern!
Ich bin manchmal richtig neidisch, auf so ein Leben. Und auf die Möglichkeit, solche Bilder zu schiessen. Einfach grossartig.
Schade, dass dieser Blog hier noch etwas unbeachtet ist. Evtl. würde mal ein Kontakt zur Zürich Flickr Gruppe helfen, hier ein bisschen Leben in die Bude zu bringen.
Mich würde es freuen.
danke adam für deine rückmeldung, der blog ist ja erst seit heute online, da kann er noch nicht wirklich bekannt sein.
weiterverbreiten in fotocommunities ist also erlaubt! ;-)
Echt jetzt? Ich dachte wegen der Anzahl Beiträge hätte ich das vorher verpennt.
Ich bin in der Gruppe ‚Fotografen fotografieren andere Fotografen beim fotografieren‘ nicht dabei.
Aber Mario Monaro – ein geschätzter Mitkommentator hier auf tagi werde ich gerne darauf hinweisen.
das sind beiträge aus dem archiv. die älteren geschichten waren alle schon mal auf tagi.ch. aber wir wollten nicht mit einer halbleeren seite starten. ab jetzt kommen täglich neue beiträge rein.
und mario monaro soll sich an uns wenden!
wer zuletzt schiesst hat gewonnen.
Who shot the Sheriff?
Ich hätte gerne von Ihnen gewusst, wie die Publikationskriterien für den Blog ‚Zoom‘ sind? Wie bewirbt man sich für Publikationen?
Für eine Nachricht danke ich Ihnen im Voraus herzlich.
Freundliche Grüsse
Ernst Litscher
guten tag herr litscher
der blog ist erst seit heute online und ab sofort plattform für fotografie. sie können uns auf bild@tages-anzeiger.ch gerne eine bewerbung schicken. gute bildgeschichten sind sehr willkommen.