Langsam steigt das Wasser an
Anastasia Samoylova zeigt die fragile Schönheit der südlichen Küsten der USA vor dem Hintergrund des unaufhaltsamen Anstiegs des Meeresspiegels.
Die Stimmung ist die des Wartens. Neue Luxushochhäuser strecken sich dem Himmel entgegen, während vorwitziges Wasser beiläufig ihre Fundamente umspült. An merkwürdigen Orten erscheinen Alligatoren oder Seekühe, Kinder spielen in
den überschwemmten Strassen. Diese Bilder künden von einem sich langsam anbahnenden Unheil.
2016 zog die aus Moskau stammende Künstlerin und Fotografin Anastasia Samoylova in die Stadt Miami. Auf langen Spaziergängen erkundete sie das Touristenparadies und fing mit ihrer Kamera die verführerische Schönheit dieser Landschaft ein. Die tropischen Farben, das gefilterte Licht, und überall dieses sanfte Wasser, das durch die Ritzen dringt, um die modernen Bauruinen plätschert, das einfach ungefragt da ist und zum alltäglichen Begleiter der Menschen wird.
Der Meeresspiegel steigt weltweit an, doch hier, in Miami und an den südlichen Küsten der USA überhaupt, kann die sanft fortschreitende Katastrophe nicht mehr ignoriert werden. Miami ist eine der am meisten vom Klimawandel bedrohten Städte. Das Urlauberparadies in Florida mit seinen weltberühmten Sandstränden ist in Gefahr. Bis 2060 soll der Meeresspiegel den Prognosen zufolge um 60 Zentimeter steigen. Für Miami Beach, das bloss 1,3 Meter über dem Meeresspiegel liegt, ist das eine beunruhigende Aussicht.
Samoylovas Bilder lassen jedoch jeden Alarmismus aussen vor. Und wirken deswegen umso unheimlicher. Wie ein traurig-schöner Bluessong erzählen sie von Wellen und Pfützen, von Baugruben und Gischt. Die Menschen arrangieren sich mit Wasser. Die Hitze und Feuchtigkeit passen zu den pastellfarbenen Farben der Fassaden. Wird der Ort in absehbarer Zukunft in eine verworrene Wildnis zurückgeführt? Aus den tiefen Widersprüchen entsteht eine melancholische Poesie.

Anastasia Samoylova: FloodZone
Steidl-Verlag
136 Seiten
ca. 42 Fr.
4 Kommentare zu «Langsam steigt das Wasser an »
Was für eindrückliche und poetische Bilder. Ich fühle mich an das Sachbuch „Die Welt ohne uns“ von Alan Weisman erinnert, das beschreibt, was passieren würde, wenn es die Menschen auf einen Schlag nicht mehr gäbe.
Vor 20.000 Jahren lag der Meeresspiegel um 130m tiefer. Bei der nächsten Kaltzeit wird er wieder sinken. Dafür enden dann die Gletscher im Norden wieder in Hannover und in der Schweiz in Zürich. Nix Neues unter der Sonne, ausser dass dann der grösste Planetenversauer längst nicht mehr so zahlreich sein wird.
Natürlichen Klimaschwankungen wird die Menschheit vermutlich immer ausgesetzt sein. Die Geschwindigkeit der Veränderung ist allerdings ein wesentlicher Faktor, der entscheidet wie gut sich eine Zivilisation anpassen kann. Im Moment sorgen wir leider für eine extrem schnelle Erwärmung.
Habe in der Corona-Zeit die Miami-Krimis aus den 80er Jahren von Charles Willeford gelesen. – Jetzt bestelle ich mir den Bildband. Danke für den tollen Tipp!