Ein Museum fährt die Antennen aus
Das Musée de l’Elysée in Lausanne stellt in «reGeneration 4» grundsätzliche Fragen. Etwa: Was gehört in Zeiten von Instagram-Bilderfluten in ein Fotografie-Museum?
Jessie Schaer, Perception du vide a la forme, 2019.
Was ist Fotografie heute? Und wohin steuert sie? Diese Fragen stellt sich das Fotografie-Museum Elysée in Lausanne alle fünf Jahre besonders intensiv in der wiederkehrenden Ausstellung «reGeneration». Ging es bei der ersten Aus
gabe im Jahr 2005 noch darum, aufstrebende Fotografinnen und Fotografen zu entdecken, hat sich die Reihe mittlerweile zu einem Radar herausgebildet, der die Entwicklungen in der Fotografie überhaupt abtastet.
Sebastien Delahaye, La bete des Vosges, 2017.
Antonio Pulgarin, Fragments of the Masculine, 2017.
Emile Sadria, Obsolete, 2019.
Mit dem Aufkommen der sozialen Medien beispielsweise haben sich die Menge und Verfügbarkeit von Bildern vervielfacht – bedeutet Erfolg für Fotografinnen und Fotografen also, Tausende Likes auf Instagram zu bekommen? Oder ist es nach wie vor die Präsenz in Museen, die über Karrieren entscheidet? Zudem hat sich auch das Medium als solches verändert: Die Fotografie ist durchlässiger geworden gegenüber anderen Disziplinen. Eine fotografische Arbeit kann auch installative oder filmische Elemente beinhalten.
Erik Beglin, Tulip Variation 94, 2020.
Sheng Wen Lo, Zoo Blijdorp Rotterdam, 2014.
Jennifer Abessira, Elastique Project, 2011.
Rochelle Brockington, Skin Hair, 2018.
All diese Entwicklungen werden in der diesjährigen Ausstellung «reGeneration 4» gespiegelt. Sie versammelt die Arbeiten von 18 Frauen und 17 Männern, darunter die Porträts der Amerikanerin Rochelle Brockington, die westliche Schönheitsideale hinterfragt. Dabei fotografiert sie afroamerikanische, häufig korpulente Frauen, und statt deren Eigenheiten digital zu glätten, betont sie diese vor auffällig buntem Hintergrund. Sozialkritisch, aber ebenfalls heiter gestimmt sind die Bilder der Kolumbianerin Cristina Velasquez, die in «The New World» lateinamerikanische Arbeiter zeigt, aber auf fast absurd reduzierte Art – etwa, indem nur ein Arm in Gummihandschuhen sichtbar wird.
Cristina Velasquez, Los huevos en mi casa los puso mi mama, 2019.
Karolina Wojtas, Abzgram, 2017.
Thandiwe Msebenzi, Indawo yam mon endroit, 2015.
Nathaniel White, Tombe de refugie en Sicile, 2019.
Léonie Marion, Soulevements jurassiques, 2016.
Primär dokumentarisch arbeitet die Schweizerin Léonie Marion, die sich dem seit Jahren schwelenden Konflikt um das bernjurassische Moutier annähert, auch mit allegorischen Bildern wie jenem eines Tierschädels, der auf die Autonomisten-Bewegung der Béliers anspielt. Yuan Lin wiederum nimmt ihre Fotografien nicht selber auf, sondern findet sie auf Flohmärkten. Die historischen Familienporträts zeigen einen Querschnitt durch die chinesische Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dadurch, dass Lin gewisse Köpfe mit Blumenmotiven übermalt, egalisiert sie spielerisch die Differenzen zwischen Arbeiter- und Mittelklasse. Und veranschaulicht durch die Verwendung existierender Bilder eine weitere Dimension zeitgenössischer Fotografie.
Yuan Lin, Grow from Elapses, 2016.
Piotr Zaworski, Untitled, 2018.
Raphaela Rosella, You’ll know it when you feel it, 2011.

Die Ausstellung im Musée de l’Elysée in Lausanne dauert bis 27. September.
Der zugehörige Katalog von Scheidegger&Spiess ist hier erhältlich.
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