Wie sieht Armut aus?
Die Zürcher Fotografin Fabienne Andreoli wollte der Altersarmut ein Gesicht geben. Und stellte fest: Sie hat viele Gesichter – oder keines.
Pro Senectute Schweiz geht davon aus, dass in der Schweiz gegen achtzehn Prozent der Rentnerinnen und Rentner von Armut betroffen sind. Das sind 300’000 Menschen. Viele von ihnen schämen sich dafür, sprechen nicht über ihre Not. Oder nur zögerlich. Zu ihnen gehört die hier porträtierte Frau.
Romy ist 69 Jahre alt und lebt mit 2100 Franken pro Monat. Sie erzählt: «Es ist schwer, sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht. Es gilt, die Scham zu überwinden, zu realisieren, dass man selbst nicht mehr weiterweiss, anzuerkennen, dass man nicht mehr kann.» Sonst erreiche man irgendwann den Punkt, an dem man aus Angst vor unbezahlten Rechnungen die Post nicht mehr öffne und sich komplett isoliere.
Besorgungen in der Brocki.
Das müsste nicht sein. Auf Ergänzungsleistungen besteht ein rechtlicher Anspruch. Auch das Umfeld ist in solchen Situationen gefordert hinzuschauen: Das Tabu brechen und gemeinsam einen Weg suchen. Romy sagt dazu: «Es braucht Kraft, Ergänzungsleistungen anzufordern, aber es braucht noch mehr Kraft, es nicht zu tun. Die Gesundheit leidet unter stetigem finanziellem Druck – man wird depressiv, funktioniert vielleicht, aber in dir drin ist so viel Stress, so viel Angst, so viel Unsicherheit – das macht den Menschen krank.» Sie ist überzeugt: «Vieles liesse sich vermeiden, würde man frühzeitig Unterstützung suchen.»
Einkaufen mit Hündin Lilly. Dank einem Fonds von Pro Senectute für Haustiere konnte es Romy sich leisten, sie zu adoptieren.
Zu Besuch bei Tischlein Deck Dich.
Gottesdienst im kleinen Rahmen – Religion gibt Romy Halt.
Wer ist arm? Was bedeutet Armut? Worauf muss Romy verzichten? In den letzten Jahren auffast alles. Vor allem aber würde sie gern mehr geben können. Am schwersten fiel ihr der Entscheid, nach drei Jahren die beiden Patenkinder in Brasilien nicht mehr finanziell zu unterstützen. «Ich habe mich sehr geschämt, doch lag es einfach nicht mehr drin. Aber manchmal spüre ich, dass ich es nicht mehr aushalte. Dann möchte ich endlich wieder einmal frei atmen können. Wenn ich dann nicht reagiere, verträgt es nichts. Man wird sehr verletzlich.»
11 Kommentare zu «Wie sieht Armut aus?»
Ja, der Reichtum ist sehr ungerecht verteilt. Corona macht die traurige Tatsache noch etwas sichtbarer. Gut gibt es immer noch FotografInnen und JournalistInnen die sich für das Tabuthema interessieren, in der Hoffnung, dass etwas davon hängen bleibt bei einigen Menschen.
Eine traurige Geschichte und eine traurige Tatsache. Generationen von Menschen wurde eingetrichtert, es sei eine „Schande“ auf das Sozialamt zu gehen. Die ist eigentlich die grösstere Schande, ja sogar Lüge. Jeder hat das Recht, sich Hilfe zu holen. Man könnte sogar sagen seine Pflicht. Denn nur so können wir den soziale Frieden bewahren. Zudem kann jeder einmal in diese Situation geraten. In den Köpfen der Menschen muss der Gedanke, sich Hilfe zu holen gleich sein, wie wenn ich bei Zahnschmerzen zum Zahnartz gehe, verfestigen. Nehmt euer Recht wahr, es steht euch zu.
Ich habe mich schön öfter gefragt, wie ich als Einzelner konkret helfen könnte – sei es z.B. bei einer alleinerziehenden Mutter wo beispielsweise Geld für Schulausflüge und ähnliches fehlt, oder auch in einem Fall wie dem hier porträtierten. Ich meine nicht Spenden an gemeinnützige Organisationen – das ist wichtig und mache ich auch. Aber wie geschieldert ist es nicht einfach solche Hilfe anzunehmen. Wie könnte man helfen, ohne die Würde des / der Betroffenen zu verletzen? Ohne dass es nach Allmosen aussieht. Vielleicht ein kleiner Dienst für den man sich erkenntlich zeigt? Und wie finde ich jemanden, der konkret so Hilfe – wie immer die auch aussehen mag – benötigt. Ich habe einen gut bezahlten Job und könnte gut ein wenig abgeben. Aber eben. Wie geht man sowas an?
Es ist wunderbar, dass Sie helfen möchten. Mir geht es ähnlich. Es ist allerdings schwierig, jemanden zu finden, der die Hilfe braucht und dies auch erkennen lässt. Wie im Artikel erwähnt scheint die Scham gross zu sein. Ich denke, daher es ist das Beste, via demokratischem Prozess so abzustimmen, dass Sozialhilfe nicht gekürzt wird à la Schnegg und keine Personen in Sozialämtern sitzen, die sich einen Sport daraus machen, Antragsteller abzuschrecken (Sozialamt Dübendorf). Und den „Volchsport“ der „Sozialschmarotzerrufe“ zu meiden.
Eigentlich ist es eine Schande, dass es das in der reichen Schweiz gibt!
Unsere eigenen Leute die gemäss ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit etwas zu dieser Gesellschaft beigetragen haben und jetzt im Alter reicht es einfach nicht, verdienen Unterstützung und ein würdiges Leben. Dafür UND NUR DAFÜR sehe ich Sozialleistungen sowie für viele andere Fälle von gestrandeten Schicksalen. Ich habe aber diesem Staat die Kündigung eingereicht, weil junge neu zugezogene Migranten nicht weniger erhalten als die eigenen Leute welche teilweise ein ganzes Arbeitsleben hingelegt haben. Mit meiner Wut über diese Zustände gehe ich so um, dass ich so optimiert habe, dass der Staat noch Brosamen bekommt.
Wo ist das Problem, EL beantragen!
Das beantragen ist hier nicht das Problem sondern das bekommen und die damit Verbundenen Schritte
In der Sozialpolitik ist die Schweiz ein halbes Entwicklungsland. Geld ist genug vorhanden, aber man stopft es lieber denjenigen in die Taschen, die eh schon zu viel haben. Das grosse Thema ist die Verteilungsgerechtigkeit. Insbesondere die SVP tut alles dafür, dass Reiche noch reicher und Arme noch ärmer werden. Es fehlt zunehmend am Gemeinsinn und der Solidarität.
Ist eben ein zutiefst christliches Verständnis, dessen Ausfluss im Matthäus-Prinzip kulminiert: «Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.» Matthaeus 25:29, Lutherbibel 1912. Die CVPFDPSVPSP nutzen das Prinzip jeden Tag und machen so aus der Schweiz ein zweites Monacco.
diese bilder tun so weh. wir sind so ein reiches land. geben so viel geld für blödsinn aus und haben angeblich kein geld für unsere alten. milliarden konnten im lock-down hepf-chlepf aus dem ärmel geschüttelt werden, um die wirtschaft zu stützen – aber da hat man nichts übrig. die AHV so wie sie heute ausbezahlt wird, ist so realitätsfremd wie die sozialhilfe – und wenn die verantwortlichen schon nur das kleine 1 x 1 beherrschen würden, müssten sie eigentlich handeln. aber nein, man diskutiert noch weitere kürzungen…