Wenn ein Land müde ist
Das Photoforum Pasquart in Biel zeigt in drei monumentalen Projektionen eindrückliche Fotografien aus Algerien.
Lynn SK, Rue Belouizdad, Alger, 2014-2019
«Lange Zeit kamen die Erinnerungen wie alte Träume zu mir zurück»: Lynn ist 7 Jahre alt, als sie mit ihrer Familie Algerien verlässt. Mit fast 30 kehrt sie zurück, kommt bei ihren Tanten H. und N. in einer winzigen Wohnung unter, fotografiert. «H. und N. arbeiten nicht mehr, sie verbringen viel Zeit zu Hause, schlafen viel, sie sehen so müde aus wie das Land.»
Spiegelbilder, Licht, das durch die gemusterten Vorhänge scheint, diese eigenartige Stille: 2017 wird ihre Serie «Rue Belouizdad» mit dem Maghreb Photography Award ausgezeichnet. Einige Werke der Fotografin, die sich Lynn S.K. nennt und heute in Paris lebt, sind nun im Photoforum Pasquart in Biel zu sehen.
KMH, El ghassel
Hakim Rezaoui & Souad Mani, Immanences, 2019-2020
Die Ausstellung «Narratives from Algeria» versammelt Beiträge von über 30 Fotografinnen und Fotografen. Die Mehrheit von ihnen lebt in Algerien, die anderen blicken aus der Diaspora auf die alte Heimat, suchen nach gemeinsamer Identität.
In drei monumentalen Projektionen vermischen sich Arbeiten mit ganz unterschiedlichen Ansätzen: Porträtfotografie, Reportage, Dokumentarisches, Abstraktes, viele Bilder in Schwarzweiss. Man sieht friedliche Demonstrationen, Arbeiter im Steinbruch, junge Menschen, die versuchen, der Hitzwelle zu entfliehen. Es sind höchst erstaunliche Bilder einer Welt, die ihre Hoffnung auf die nächste Generation setzt.
Lydia Saidi, La prochaine fois le feu, 2019-2020
Bruno Boudjelal, Jours intranquilles, © Bruno Boudjelal / Agence VU
Yanis Kafiz, Bande à part, 2019
Sihem Salhi, Ame en tourmente, 2015
Fethi Sahraoui, Escaping the Heatwave, 2016
Awel Haouati, Sans titre, 2010-2020
Linda Bournane Engelberth, Wind, Sand and Stars, ongoing
Tytus Grodzicki, Deglet Nour, 2014-2015
Nejla Bencheikh, Indefinite Delay, 2017-2019
Samir Belkaid, Algérie: objectif politique, révolution pacifique, 2019
Mohamed Fouad Semmache, Out of the shadows, 2017-2019
Emilien Itim, Yatim, 2019-2020
Camille Millerand, Bled Runner, ongoing
Camille Millerand etwa reist durch die Arbeiterviertel von Algier. Er fotografiert Migrantinnen und Migranten auf ihrer Reise nach Europa, er blickt in Gebäude ohne Dach. «Ich liebe Algerien, seine Menschen, seine Landschaften, seine Geräusche, seine Selbstironie», sagt er.
Doch was macht die algerische Fotografie aus? Bis heute ist sie geprägt von der Kolonialzeit und von Bildern, die europäische Fotografen produzierten. Diesem Umstand widmet die Ausstellung einen historischen Teil, der wichtige Momente der Fotografiegeschichte Algeriens nachzeichnet. Spätestens hier wird deutlich: Die Zeit der algerischen Fotografie hat gerade erst begonnen.

Narratives from Algeria
Photoforum Pasquart, Biel
4. Juli bis 6. September 2020
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