Das Gefühl von Italien

Ragazzi, Palazzi und die Ahnung eines intensiveren Lebens: Starfotograf Mario Testino widmet dem Land seiner Vorfahren eine Hommage.

Betty Bee, Neapel, 1997

Vielleicht ist Mario Testino der einzige Modefotograf, den auch jene mit Namen kennen, die keine Ahnung von Haute Couture haben. Weil er nicht nur die Models, sondern auch die Stars ablichtete, von Madonna bis Oprah, von Mick Jagger bis Lady Gaga, und sogar die britischen Royals setzten auf seine Dienste.

Napoli 1997

Womöglich kennt man seinen Namen aber auch deswegen, weil vor zwei Jahren Missbrauchsvorwürfe erhoben wurden, die der 65-Jährige bestreitet. Wie auch immer die Sachlage ist: In seinem fotografischen Werk jedenfalls hat Testino die Lüsternheit zum Markenzeichen gemacht. Feuer in den Blicken, laszive Posen, nachlässig verhüllte Nacktheit – Testinos Bild gewordene Sinnlichkeit verkauft sich.

Der gebürtige Peruaner, der seit langem in London lebt, fotografiert aber auch abseits der Fashion-Sets. «Ciao» heisst sein neuster Bildband, und er ist eine Hommage an Italien, das Land seiner Vorfahren. Die Eleganz im Alltag, der Überfluss an Kunstgeschichte, die Sinnlichkeit des Seins: Kein Wunder, inspiriert das Sehnsuchtsland auch den Starfotografen. Seine Sujets sind dabei überraschend heterogen, seine Fotografien stilistisch vielfältig. Schnappschüsse aus dem Hinterbühnenbereich der Modeindustrie stehen neben nostalgietrunkenen Ferienfotos von der Amalfiküste oder dynamisch verwischten Strassenszenen in Schwarzweiss.

Avola, 2018

Gerade jene bewusst uninszenierten, körnigen Bilder, auf denen sich die Ragazzi fröhlich in ein Auto quetschen, auf der Piazza ihre neue Garderobe ausführen oder mit der Vespa davonbrausen, rufen dieses schwer zu beschreibende Gefühl von Italien hervor: jene Ahnung eines intensiveren Seins, bei dem das Make-up etwas mehr Glamour verträgt oder die Küste etwas dramatischer abfällt als anderswo. Sogar die Heiligenfiguren stehen hier nicht bloss unbeachtet in muffigen Kirchenräumen, sondern bekommen Auslauf und Aufmerksamkeit.

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Mario Testino: Ciao. Omaggio all’Italia.

Taschen Verlag.
Köln 2020.
254 S.
ca. CHF 75.-

3 Kommentare zu «Das Gefühl von Italien»

  • Fabio Cangini sagt:

    Tölpelhaft, ist höchstens Ihr von Hochmut und zwinglianischer Provinzialität trotzender Kommentar Herr Fuchs. In Ihrem farblosen Hohn kann man regelrecht den Neid des Füdlibürgers gegenüber der südländischen Leichtigkeit riechen. Herrlich.

  • Olivier Fuchs sagt:

    ‚Die Eleganz im Alltag, der Überfluss an Kunstgeschichte, die Sinnlichkeit des Seins..‘ Von diesen drei clichés trifft nur das mittlere halbwegs zu. ‚Paese in ruine‘ titelte ein berühmter Journalist sein Buch. ‚.. Jene Ahnung eines intensiveren Seins.‘ Ja klar, in den Sommerferien am entsprechenden Ort. Aber man benutze einmal einen verschmierten, tölpelhaft konstruierten, schwerfälligen Regio der TreNord im Winter.

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