Ein Matriarchat in Europa
Im Baltischen Meer, auf den estnischen Inseln Kihnu und Manija, existiert ein Matriarchat. Die norwegische Fotografin Anne Helene Gjelstad hat die Frauen begleitet.
Die Männer der estnischen Inseln Kihnu und Manija arbeiten auf hoher See. Die Eilande sind in Frauenhand – auch dann, wenn die Männer zurückkehren. Sie gelten als letztes Matriarchat Europas.
Über elf Jahre begleitete die norwegische Fotografin Anne Helene Gjelstad die Frauen: wie sie leben, ihre traditionellen Kleider fertigen, wie sie ihre Haare und Kopftücher binden, arbeiten, kochen, schlafen und trauern um eine, die von ihnen gegangen ist. Es ist eines der eindrücklichsten Bilder des Bildbandes «Big Heart, Strong Hands», auf dem die Gemeinschaft rund um eine vor drei Stunden Verstorbene in deren Küche zusammenkommt.
Gjelstads Fotos halten denn auch ein Stück einmalige Kultur und Tradition fest, das wohl bald von der Modernisierung geschluckt werden wird. Immer mehr Häuser und Bauernhöfe sind verlassen, verfallen, die Jungen gehen ins Ausland.
Die Frauen sind Zeitzeuginnen, sie erzählten der Fotografin Geschichten von einem harten Leben – die Jahre unter dem sowjetischen Regime waren entbehrungsreich. Sauendi Mann (oben) verlor damals ihren kleinen Sohn. Sie wurde gezwungen, Bäume zu fällen. Ihren Sohn musste sie mitnehmen. Er wurde von einem Baum erschlagen. Vielleicht schaut sie zu ihm, mit ihren gegen den Himmel gerichteten blauen Augen.
Leichtigkeit kommt auf, wenn man in das Gesicht von Järsumäe Virve (unten) blickt und ihre Geschichte kennt. Für sie war es auch mit 81 noch nicht zu spät, sich ihren Lebenstraum zu verwirklichen: Tandem-Skydiving. Seither ist sie so etwas wie eine Attraktion, wird von Touristen aufgesucht.
Gjelstad begegnet den Frauen mit Respekt, ist nicht auf kitschige Folklore aus. Ihre Bilder zielen über die bunten Trachten, die äussere Lebenswelt und die zerfurchten, starken Hände hinaus. Hinein in das Innere der Frauen, ihre Herzen, die Fremden sonst meist verschlossen bleiben.

Anne Helene Gjelstad ist eine preisgekrönte norwegische Fotografin, deren Arbeiten weltweit ausgestellt wurden. Ihre Leidenschaft ist das Fotografieren von Menschen. In den letzten elf Jahren hat sie das Leben der älteren Frauen auf den estnischen Inseln Kihnu und Manija in der Ostsee porträtiert.
Anne Helene Gjelstad: «Big Heart, Strong Hands»
Dewi Lewis Publishing, 2020.
260 Seiten, 148 Farbfotos
ISBN: 978-1-911306-56-6
ca. 40.- CHF
3 Kommentare zu «Ein Matriarchat in Europa»
Mein Name ist Maik Janetzky. Ich bin Deutscher und war vor zwei Jahren während meiner zweimonatigen Motorradtour durch das Baltikum, Russland und Norwegen auch zu Gast in Estland. Bei meinen Reisevorbereitungen las ich von Kihnu, deren Geschichte, insbesondere aber über die dort lebenden Frauen und deren Rolle in der Familie als auch im täglichen Leben. Es hat mich von Beginn an fasziniert, was mich zu einem Besuch der Insel veranlasste. Aus den geplanten zwei Tagen Aufenthalt wurden drei Wochen. Ein kleinerer Unfall mit dem Motorrad zwang mich zur Unterbrechung meiner Reise. Ab da sollte ich wesentlich mehr über Kihnu erfahren, als ich mir im Vorfeld hätte vorstellen können. Meine Gastgeberinn Käthlin Palu und ihre ganze Familie haben mich herzlich in ihrer Familie für drei Wochen aufg.
Diese Fotos von den Frauen haben mich sehr berührt
Das ist mir tief ins Herz gegangen
Mein Gott .,was sind die Fotos von den Modepuppen, einfach nichts
Ein grosses Kompliment an die Fotografin,
Vielen Dank für den Bericht . Schön , das es noch Menschen gibt, die erkennen
Mit ganz vielen Marina Blumberg m
Ganz starke Bilder – und ein interessantes Gesellschaftsmodell! Man(n) lernt nie aus…