Knatternde Meditation im Oval

In Oerlikon wird neben den vielen klassischen Disziplinen des Bahnradsports auch die Steherei gepflegt. Die Kombination aus schweren Motorrädern und Radrennfahrern zieht alle in ihren Bann.

Rene Hilpertshauser, Schrittmacher (Motorradfahrer) aus Zürich.

Normalerweise würde die offene Rennbahn in Zürich-Oerlikon in diesen Tagen aus dem Winterschlaf erwachen. Doch vorerst müssen wir darauf verzichten, vielleicht bis im nächsten Jahr. Was bleibt, sind die Erinnerungen an sommerliche Dienstagabende im Beton-Oval neben dem Hallenstadion.
Bratwurstduft. Halbliter-Bierflaschen. Ab und zu ein Knall aus der Pistole des Starters, Applaus. Ansonsten: eine Ruhe, die bei modernen Sportveranstaltungen längst verloren gegangen ist. Über die scheppernde Lautsprecheranlage werden einzig Resultate und Sponsoren der Rennen verkündet. Dazwischen wirbeln geräuschlos die Beine der Rennfahrer. Nur einmal pro Abend wird die Stille vertrieben. Hinter dem Stadion starten die Steher-Schrittmacher ihre grossen Motoren, wenig später knattern sie auf die 333 Meter lange Bahn.

Rene Hilpertshauser, Schrittmacher (Motorradfahrer) aus Zürich.

Francois Toscano, Schrittmacher (Motorradfahrer) aus Nancray, Frankreich.

Ein Steher (Fahrradfahrer) und ein Helfer bereiten sich auf das Rennen vor.

Die Steherdisziplin heisst nicht so, weil die Schrittmacher dank einer Lenkerverlängerung ihre Motorräder stehend steuern. Als Steher wird der Rennfahrer bezeichnet, weil dieser versucht, so gut als möglich im Windschatten des Schrittmachers zu verbleiben (Englisch: to stay).
Jeder Pilot hat seinen Radrennfahrer, rasch finden sich die ungleichen Duos im Oval und beschleunigen auf Renntempo. Vorne der Schrittmacher, stoisch, hinten der Steher, mit fliegenden Beinen. Die Rolle des Schrittmachers darf nicht unterschätzt werden: Er muss sich in seinen Athleten versetzen und dessen Kraftreserven einschätzen können. Worte lassen sich im Motorenlärm keine wechseln.

Schrittmacher (Motorradfahrer) und Steher (Fahrradfahrer).

Til Steiger, Steher (Fahrradfahrer) aus Dürnten.

Emilien Clere, Steher (Fahrradfahrer) aus Sannois, Frankreich.

Schrittmacher (Motorradfahrer) und Steher (Fahrradfahrer).

Einst galten die Steher als Könige des Bahnradsports. An Sonntagnachmittagen pilgerten die Zuschauer zu Tausenden nach Oerlikon. Heute hat der Anblick eher etwas von einem Kuriositätenkabinett. Doch irgendwann hört man den Motorenlärm nicht mehr, die Augen begleiten einzig die Duos, wie sie in rasantem Tempo Runde um Runde drehen. Das hat etwas sehr Meditatives.

Daniel Wyder, Schrittmacher (Motorradfahrer) aus Ossingen.

Til Steiger, Steher (Fahrradfahrer) aus Dürnten mit einer gerissenen Kette.

Thomas Baur, Schrittmacher (Motorradfahrer) aus Singen, Deutschland.

Mathias Luginbuehl, Schrittmacher (Motorradfahrer) aus Glattfelden.

Michael Buholzer
Die Offene Rennbahn Oerlikon wurde 1912 eröffnet und ist die älteste Sportstätte der Schweiz, die nach wie vor genutzt wird. Steherrennen sind Bahnrennen, bei welchen der Steher, also der Radfahrer, hinter einem Schrittmacher auf einem Motorrad im Windschatten fährt. Der Fotograf Michael Buholzer hat die Serie «STAYER RACERS – Steherrennen auf der Offenen Rennbahn Oerlikon» am Abschlussrennen der Saison 2019 fotografiert. Die Fahrer kommen aus der Schweiz und dem nahen Ausland.

Ein Kommentar zu «Knatternde Meditation im Oval»

  • Andreas Schlegel sagt:

    Eine meiner frühesten Kindheitserinnerung, 6Tage Rennen mit dem Vater im Hallenstadion. Tolle Rennen, die Steherrennen waren immer das Highlight des Abends. Das Zusammenspiel der beiden Fahrer muss perfekt stimmen, oft passiert dass der Schrittmacher den Steher verheizt hat und der Steher den Windschatten verlor und sich die beiden mühsam wieder finden mussten. Einfach genial, super spannend, cooler Sport der mehr Öffentlichkeit verdient hätte!

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