Mit Stöckelschuhen und Vollbart

In der Ausstellung «Her Take» in Biel überdenken sieben Fotografinnen das traditionelle Männerbild.

© Jessica Dimmock

«Ich ging zum Militär, weil ich hoffte, im Krieg erschossen zu werden oder so. Leider gab es keinen Krieg.» Wer so etwas sagt, muss unter unheimlichen seelischen Qualen leiden. Heute ist Gina 60, mit 57 Jahren hatte sie ihr Coming-out. Ihr ganzes Leben lang fragte sie sich: Bin ich transgender? Bin ich schwul? Doch sie passte in keine Kategorie. Manchmal fuhr sie nachts im Auto zum Fluss, nur um ein paar Meter in Stöckelschuhen zu laufen.
In ihrer Serie «Brick» hat Jessica Dimmock mit älteren Transfrauen im pazifischen Nordwesten Szenen aus ihrem Leben nachgestellt. Und zwar an jenen Orten, wo sie ihre weibliche Identität ausleben konnten: im Auto, in Motels, hinter zugezogenen Gardinen.

© Jessica Dimmock

© Linda Bournane Engelberth

© Sara Terry

© Anush Babajanyan

© Jessica Dimmock

© Linda Bournane Engelberth

© Maggie Steber

© Anush Babajanyan

© Sara Terry

© Linda Bournane Engelberth

© Jessica Dimmock / VII

So unterschiedlich die einzelnen Schicksale sind, so überraschende Gemeinsamkeiten hat Dimmock aber in den vielen Gesprächen auch festgestellt. Etwa die Suche nach hypermaskulinen Rollen: Ihre Protagonisten fahren Motorrad, tragen Vollbart, sind Mitglieder des Militärs, Mechaniker, Väter und Grossväter.

Gezeigt werden ihre intimen Bilder, die auch Bilder eines versteckten Widerstands sind, im Rahmen der Ausstellung «Her Take: Maskulinität (über)denken» im Photoforum Pasquart in Biel. Die Schau basiert auf der Initiative von sieben Fotografinnen der renommierten amerikanischen Fotoagentur VII.

Neben Dimmock zeigt etwa Maggie Steber Männer mit Rosen im Haar. Sara Terry nimmt sich einige der berühmtesten Gemälde der Kunstgeschichte vor und besetzt die Figur der Venus mit einem nackten Mann. Und Linda Bournane Engelberth porträtiert in «Outside the Binary» Menschen, die mit ihrem Geschlecht verwirren wollen. Wie Luca (25) aus England: «So habe ich das Gefühl, dass zwischen all diesen starren Vorstellungen und Bildern, wie Frauen und Männer aussehen, sich bewegen und klingen, ein gewisser Spielraum besteht.»

Die Ausstellung «Her Take» im Photoforum Pasquart in Biel ist noch bis am 5. April 2020 zu sehen.

12 Kommentare zu «Mit Stöckelschuhen und Vollbart»

  • Maxwell Brickendrop sagt:

    Es wird schon bald völlig normal sein, dass Männer Stöckelschuhe tragen und sich die Beine rasieren. Das wird die schöne neue inklusive Gesellschaft sein, wo keiner mehr diskriminiert ist. Bald schon werden Stöckelschuhe für Männer auch zur Standardkleidung, z.B. in der Armee oder in sonstigen Berufen mit Arbeitskleidung, z.B. für Bauarbeiter, Verkehrspolizisten, Aerzte usw.
    Ich freue mich!

    • Luisa sagt:

      Warum auch nicht? Moden ändern sich, im 17./18. Jahrhundert waren Schuhe mit Absätzen auch für Männer im Trend. Mit mehr oder weniger Diskriminierung hat das nichts zu tun, eher mit den Scheuklappen gewisser Leute, die sich an ihr gewohntes Rollen- und damit Erscheinungsbild klammern. Aber wie schon die Leute im Altertum wussten: Alles fliesst!

  • Franz Marke sagt:

    Gelungene Neuinterpretation des „Déjeuner sur l’herbe“. Wenn hier beim Picknick am See der Mann der Nackedei ist und nicht die Frau, wird das Lächerliche der Situation sofort offensichtlich. Wenn in Manets Original die Frau zwischen den Herren im Gehrock umeblüttlet, scheint das ja das Selbstverständlichste der Welt zu sein.

  • Hans Meier sagt:

    Frauen könnten zur Abwechslung auch mal ganz generell an ihrem Männerbild arbeiten und sich Gedanken darüber machen, ob es legitim ist, dass sie eigentlich einseitig darüber entscheiden sollen, wie Mann und die Gesellschaft zu sein hat gemäss ihrem Weltbild.
    Mit anderen Worten: zur Abwechslung ein bisschen Selbstreflexion.

  • Lasse Andersson sagt:

    Das was wir zwischen den Beinen haben, ist viel weniger entscheidend für unser Geschlecht als das was wir zwischen den Ohren haben.
    Das Emotionale, die Gefühle, die Persönlichkeit, sind viel eher für die Geschlechtszugehörigkeit massgebend.

    • Kevin sagt:

      Welch ein Unsinn! Was sind überhaupt männliche und weibliche Gefühle? Wesentlich ist die Genetik, basta.

  • Chris Vogt sagt:

    Das Thema ist interessant, vielschichtig und einer Diskussion würdig. Die Fotos empfinde ich zu gekünstelt (nicht zu verwechseln mit künstlerisch) und realitätsfremd, was dem Thema nicht hilft.

  • Norbert Ahting sagt:

    Immer wieder kann man beobachten: wenn ein Artikel im TA (Sozial-)kritisch ist oder sich mit „unbequemen“ Themen befasst, steigt die Anzahl derer, die den Bericht für nicht lesenswert halten. In diesem Fall sogar auf 53%. Sind die Schweizer so verklemmt oder Gedankenfaul, sich nur nicht mit Dingen zu befassen, die das konservative Spiessbürgerleben ankratzen könnte? Weltoffenheit ist wirklich keine Erfindung der Schweiz.

  • Toni Petz sagt:

    Bedeutungen (4) Info: Duden
    Mann: erwachsene Person männlichen Geschlechts

    das sollte reichen.

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