Ein verwahrloster Ort mit Seele

Der zentrale Busbahnhof von Tel Aviv ist ein Ort voller Kontroversen: Ein schmutziger Pendlerknoten in einem heruntergekommenen Gebäude, das trotz allem aber für viele Menschen ein Ort der Diversität und Zusammenkunft darstellt.

 

 

Der zentrale Busbahnhof in Tel Aviv, Israel, ist für viele kein Ort zum Verweilen. (Corinna Kern/Reuters)

Das siebenstöckige Durcheinander von schmutzigen Korridoren war einst als hübsches Einkaufszentrum für Pendlerströme gedacht, doch mit den Jahren ist der städtebauliche Traum verfallen. Stattdessen haben sich die unzähligen Gänge mit den Ladenfronten, die lange verschlossen waren, in ein Labyrinth verwandelt, Ordnung herrscht (zumindest für Aussenstehende) keine, und natürliches Licht ist Mangelware. Auf der Übersichtstafel im Eingangsbereich ist von hilfreicher Information keine Spur zu finden. Drei von den sieben Stockwerken sind im Untergeschoss, was dazu führte, dass heute das EG als 4. Stock bezeichnet wird. Über drei Jahrzehnte zog sich die Bauphase des Ungetüms, bis es schliesslich Anfang der Neunziger eröffnet wurde.

Allerlei Kurioses ist zu sehen: Dieser Mann im Rollstuhl füttert mitten auf den Gängen des Busbahnhofes seine Haustiere. (Corinna Kern/Reuters)

Der Busbahnhof dient auch heute noch als wichtigster Verkehrsknotenpunkt der Stadt, doch die meisten Reisenden eilen nur durch und möchten sich nicht in den verlassenen Gängen verirren. (Corinna Kern/Reuters)

Nichtraucherschilder werden geflissentlich ignoriert, der Tabakrauch mischt sich mit dem Gestank von Dieselabgasen und Schweiss in der Hitze des israelischen Sommers. Dieser Soldat raucht eine Zigarette, während er mit seinen Kollegen auf einen Bus wartet. (Corinna Kern/Reuters)

Zentral ist der Busbahnhof schon längst nicht mehr. Das Epizentrum von Tel Aviv hat sich nach Norden geschlichen, doch die Station bleibt auf der Levinsky Street verwurzelt wie ein riesiger grauer Koloss, der seinen Schatten auf die verwahrloste Nachbarschaft darunter wirft. Philippinische Ladenbesitzer und asiatische Lebensmittelhändler präsentieren ausländische Köstlichkeiten und junge Männer bieten billige Handyhüllen und noch billigere Damenbekleidung an. Die Vielfalt des Gebäudes spiegelt auch die Nachbarschaft wider, in der eine grosse ausländische Migrantenpopulation in meist heruntergekommenen Mehrfamilienhäusern lebt.

Jeden Morgen bereiten sich die Verkäufer auf die Eröffnung ihrer Läden vor. Alles ist ist improvisiert: Hier platziert ein Mann Plastikblumen auf provisorischen Tischen aus Kartonschachteln. (Corinna Kern/Reuters)

Dieses verlassene Kino im Untergeschoss zeugt von ehemals glamourösen Zeiten. Es ist nicht weit entfernt vom vielleicht sichersten Ort der Stadt: Direkt darunter befindet sich ein Bunker, welcher im Notfall etwa 15’000 Menschen Platz bietet. (Corinna Kern/Reuters)

Ein muslimischer Mann spricht seine Gebete vor einer besprühten Wand in den Gängen des Busbahnhofs. (Corinna Kern/Reuters)

Immer wieder lässt die Stadt verlauten, dass sie den zentralen Busbahnhof irgendwann abreissen möchte, doch diese Pläne führen zu nichts. Zu kompliziert und zu teuer ist so ein Projekt, sodass man das Gebäude einfach sich selbst überlässt. (Corinna Kern/Reuters)

Mittendrin spielen philippinische Migranten eine Runde Bingo. (Corinna Kern/Reuters)

Und doch: Die Station hat diese Nischen, in denen verschiedenste Personen ihren Platz finden können. Wenn man sich länger an diesem Ort aufhält und sich auf ihn einlässt, findet man eine seltsame Schönheit inmitten des Chaos: Ein kleines jiddisches Museum mit 40’000 Relikten des jüdischen Lebens in Europas Ghettos, eine philippinische Kirche und Vorschule für Kinder von Wanderarbeitern oder ein provisorischer Breakdance-Proberaum, in dem sich täglich die Jugend aus Tel Avivs Vororten versammelt.

«Es ist so grotesk und hässlich und schön zugleich», sagt Mishal, ein Künstler und Fotograf, der auch Touren durch den zentralen Busbahnhof anbietet. «Die Lage ist schlecht, die Orientierung ist schlecht, und es ist kein guter Ort. Aber das urbane Erlebnis, wenn man einfach nur herumläuft, ist wunderbar.»

Tamar Lehman (32), Sozialberaterin für psychisch kranke junge Erwachsene, sagt über den Busbahnhof: «Ich fühle, dass dieses Gebäude genau wie die Menschen ist, mit denen ich arbeite – sie mögen völlig verwirrt erscheinen, nicht verstanden, bizarr, aber je mehr man über die Personen und ihre innere Struktur lernt, desto vertrauter wird man langsam mit ihrer inneren Welt, mit all ihrer Verrücktheit, und man sieht die Schönheit.» (Corinna Kern/Reuters)

Schauspieler des Mystorin Theatre Ensemble treten anlässlich der Show «Seven», einem ortsspezifischen Akt, der alle sieben Stockwerke der Central Bus Station nutzt, in einem ehemaligen Tickethäuschen auf. (Corinna Kern/Reuters)

Was man auch sucht, irgendein Geschäft im Gebäude hat es bestimmt. Der Architekt Ram Karmi wollte damals nicht nur eine Busstation bauen, sondern eine ganze Stadt unter einem Dach. (Corinna Kern/Reuters)

Im Kulturzentrum von «Yung Yidish», einer gemeinnützigen Organisation zur Erhaltung der jiddischen Kultur, ist ein kleiner Junge auf einem Sessel eingeschlafen. (Corinna Kern/Reuters)

Diese Bildschirme stehen im Untergeschoss in einem Büro des Wartungspersonals. (Corinna Kern/Reuters)

Ursprünglich war das Busterminal im Untergeschoss, doch als die Abgase dort im Geschlossenen Raum unerträglich wurden, setzte man kurzerhand noch ein zusätzliches Geschoss auf den Bau. Dort fahren jetzt alle paar Minuten die Busse in alle Richtungen Israels. (Corinna Kern/Reuters)

Stav Pinto (24) zeigt ihre akrobatischen Fähigkeiten während eines wöchentlichen informellen Zirkus-Gemeinschaftstreffens. «Der zentrale Busbahnhof hat eine magische Atmosphäre», sagt sie. «Jedes Mal, wenn ich durch das Gebäude gehe, kann ich einen neuen Ort entdecken, der sich von den anderen völlig unterscheidet.» (Corinna Kern/Reuters)

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