Gefrorene Gefühle

Die Künstlerin Anne Collier stellt im Fotomuseum Winterthur ihre Tränenbilder aus.

Anne Collier analysiert Fotografien mit den Mitteln der Fotografie. Für ihre Serie „Women Crying “, entstanden zwischen 2016 und 2018, suchte sie in alten Magazinen Bilder mit weinenden Frauen. Sie fotografierte diese Fotos, dann fotografierte sie die Fotos der Fotos und vergrösserte sie. Am Schluss zeigen ihre Bilder nichts als ein Auge und eine Träne, die irgendwo auf der Wange zum Stillstand kommt.

Bei diesem kombinierten Verfahren von Kopieren und Vergrössern geht es der Künstlerin um eine Annäherung und Distanzierung zugleich. Je öfter das Original fotografiert wird, desto weniger Emotionalität bleibt zurück. Je stärker sie das Original vergrössert, desto mehr kommt das Materielle zum Vorschein.

Man kann von einem Konkretisierungsprozess sprechen, der in dem Moment gestoppt wird, in dem aus dem Bild noch nicht alle Gefühle entwichen sind. Durch das Kopieren und Vergrössern entstehen atemberaubend neue Bilder, die das Weinen der Frauen, oft als Zeichen der Schwäche verstanden, zu einer Stärke umwerten.

Anne Collier geht es bei ihren künstlerischen Recherchen um eine feministische Medien- und Ideologiekritik. Ihre Arbeiten beschäftigen sich meist mit dem Bild der Frau, das die Massenmedien vermitteln. So hat die 1970 in Los Angeles geborene, heute in New York lebende Künstlerin eine Serie von Inseraten aus den 1970er-Jahren zusammengestellt, mit denen Fotokameras und -zubehör mit nackten Frauen beworben worden sind. Die Bilder sind Zeugnisse dafür, dass teure Fotoapparate gerne mit sexistischer Werbung an den Mann gebracht wurden.

In einer anderen Serie geht es um Selfies von Frauen aus einer Zeit, bevor irgend jemand diesen Ausdruck kannte. Auf den Amateurfotos, die Collier auf Flohmärkten gefunden hat, fotografierten Frauen sich selbst vor dem Spiegel. Dabei kamen meist billige Instamatic-Kameras zum Einsatz, deren automatischer Blitz das Bild derart grell erleuchtete, dass die Frauen bei ihrer fotografischen Selbstbespiegelung ihr Gesicht im Blitzlicht verlieren und ihr Körper im Dunkeln verschwindet.

03 Woman Crying (Comic) #3

Die Ausstellung „Anne Collier – Photographic“ läuft bis zum 26. Mai im Fotomuseum Winterthur.

4 Kommentare zu «Gefrorene Gefühle»

  • Juliette sagt:

    Männer weinen auch. Und leiden auch sehr innerlich. Aber nanchmal verhalten sie sich deswegen nervig. Manchmal wie Kind.

  • Kurt sagt:

    Verstehe ich das richtig, dass in den Siebzigern Fotomaterial häufig mit weinenden Frauen beworben wurde? Eine ganze Anzeige wäre interessant um zu verstehen in welchem Kontext so etwas Sinn ergibt…

  • Luisa sagt:

    Tränen enthalten viel Adrenalin. Tränen sind ein Ventil, zum Luft holen, sich zu erden, die Kraft in den Bauch zu leiten. Darum sind Frauen so stark. Aber das dürfen Männer nicht zur Kenntnis nehmen…

    • Kurt Normann sagt:

      lol, Ja, Männer und Adrenalin das passt ja überhaupt nicht zusammen.
      Kopfschütteln.
      „Jede Art von Wettbewerb überschwemmt den männlichen Organismus mit Adrenalin, während der Adrenalinspiegel bei Frauen auch unter starkem Druck nicht steigt.“
      „Pinker fand außerdem Studien, die belegen, dass Mädchen – und in der Folge natürlich auch Frauen – weniger Lust haben, in einem ständigen Kräftemessen mit Konkurrenten welchen Geschlechts auch immer zu stehen.“
      Aber ja, Ihre esoterische Sichtweise hat sicherlich auch was für sich … (Verdrehe gerade die Augen)

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