Alle hundert Kilometer ein Bild

Auch Landschaften haben Schönheitsideale. Die Fotografin Yan Wang Preston durchkreuzt sie am Jangtse, an Chinas mythischem Strom.

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Y2, 100 km von der Quelle des Jang­tse entfernt. (Bild: Yan Wang Preston)

Einmal hat sie es sieben Stunden probiert und trotzdem, mit aller Bergsteigerei, zum Fluss keinen Zugang gefunden. Das war bei Punkt Y14, 1500 Kilometer von der Quelle entfernt. Und dann Y15, bei Kilometer 1600: ein bissi­ger Hund. Übungsabbruch, fünf Stunden im Auto zur Toll­wut­behand­lung. Im grossen Ganzen ging der Plan aber auf. Auch wenn Yan Wang Preston vier Jahre brauchte, um ihn zu vollenden.

Y8, 700 km von der Quelle des Jang­tse entfernt. (Bild: Yan Wang Preston)

Y13, 1200 km von der Quelle des Jang­tse entfernt. (Bild: Yan Wang Preston)

Y25, 2400 km von der Quelle des Jang­tse entfernt. (Bild: Yan Wang Preston)

Y32, 3100 km von der Quelle des Jang­tse entfernt. (Bild: Yan Wang Preston)

Y39, 3800 km von der Quelle des Jang­tse entfernt. (Bild: Yan Wang Preston)

Y40, 3900 km von der Quelle des Jang­tse entfernt. (Bild: Yan Wang Preston)

Y41, 4000 km von der Quelle des Jang­tse entfernt (mit versehentlich falsch eingelegtem Film aufgenommen). (Bild: Yan Wang Preston)

Y57, 5600 km von der Quelle des Jang­tse entfernt. (Bild: Yan Wang Preston)

Y60, 5900 km von der Quelle des Jang­tse entfernt. (Bild: Yan Wang Preston)

Wie porträtiert man einen kompletten Fluss? Zumal den Jang­tse, den drittlängsten der Welt, der ganz China durchfliesst, auf fast 6300 Kilometern? Yan Wang Preston hat sich eine Karte genommen und ihn zerlegt, in gleich grosse Portionen: alle ­hundert Kilometer ein Bild – vom Hochland Tibets bis zum Ost­chinesischen Meer, Y1 bis Y63. Macht 63 Bilder.
Klingt nicht sehr charmant. Dafür kam die Fotografin so um die gängigen Sehenswürdigkeiten herum. Und entdeckte Landstriche, die noch kaum einem Fotografen ein Bild wert gewesen waren. Ein fast schon subversiver Umgang mit diesem Jang­tse, der für die Chinesen ein Nationalheiligtum ist, besungen als Mutter des Landes, als Strom des Lebens, schwer befrachtet mit politischen und literarischen ­Mythen. Und mit zu Ikonen geronnenen Bildern. Die Fotos von Wang Preston dagegen: nichts Pittoreskes weit und breit. Stattdessen: Banalitäten. Den Vorwurf hat die Fotografin in China zu hören bekommen, wo sie aufwuchs, bevor sie sich in England niederliess und Fotografin wurde. Sie selber freut sich, das Land «mit neuen Augen» gesehen zu haben.
Sind es schon westliche Augen? Auf jeden Fall solche, die gera­de dem Unscheinbaren immer wieder eine überwältigende Schönheit abgewinnen.
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Yan Wang Preston: Mother River. Hatje Cantz, Berlin 2018. Englisch. 160 Seiten, etwa 79 Franken.

Ein Kommentar zu «Alle hundert Kilometer ein Bild»

  • Moritz Eggenschwiler sagt:

    Geniale Idee. Zeigt die reale Welt; nicht die touristische Fotosujetwelt. Liesse sich auch für andere gegenden, wie zB. Europa, anwenden.

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