Plötzlich diese Übersicht

In der Photobastei zeigt Matthias Koch die Spuren, die der Krieg an der normannischen Küste hinterlassen hat.

Arromanches, Reste des Alliierten-Schwimmhafens. Matthias Koch

Andere fahren mit dem Camper ans Meer. Matthias Koch ist in seinen Feuerwehrlastwagen gestiegen. Den hat sich der Düsseldorfer Fotograf als Occasion zugelegt und für seine Zwecke umgebaut: Die dreh- und ausfahrbare Leiter ist das Stativ für seine Grossbildkamera, und so blickt Koch aus bis zu dreissig Metern Höhe auf das, was ihn interessiert. Und das ist schon lange die Geschichte. Genauer: das, was wohl vergangen, aber noch heute sichtbar ist. Als Spur im Gelände, als Narbe in der Landschaft, als Riss im Stadtbild.

Arromanches, Radarstation. Matthias Koch

Pointe du Hoc, Position einer deutschen Flugabwehrkanone. Matthias Koch

In Kochs Heimat ist das beispielsweise die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung. Oder die Ära der Schwerindustrie. In Frankreich, an den Stränden der Normandie, ist es jenes Kapitel des Zweiten Weltkriegs, das man je nachdem «Invasion» oder aber «Befreiung» nennt: die Landung der Alliierten im Jahr 1944.

Und was Koch aus seiner erhöhten Warte sieht, etwa im Städtchen Arro­manches, das sind nicht nur die Beton­elemente, die vom provi­sorischen Landungshafen übrig sind und nun wie Wale aus dem Wasser ragen: Eine Etage über dem Touristenblick erkennt dieser Fotograf zudem, wie hier eine ganze Landschaft für den Geschichtstourismus hergerichtet wurde, für die Aussicht auf die Ruinen des 20. Jahrhunderts. Und wenn man genauer hinsieht, dann entdeckt man auch noch die deutschen Panzersperren, die zwischen den Strandhäuschen von Ouistreham wie Zähne aus dem Sand ragen.

So schieben sich auf den Aufnahmen Matthias Kochs, mehr noch als aus gewohnter Augen­höhe, die Zeiten über- und in­einander. Um diesen jähen, stets von neuem staunenswerten Zugewinn an Übersicht geht es in der ganzen Gruppenschau, die die Zürcher Photo­bastei nun zeigt. Die heisst «On Top», und zu den Bildern Kochs kommen hier die von Simon Roberts (England) und von Peter Hebeisen (Bern/Zürich), nicht zuletzt aber jene von Bernd und Hilla Becher (Deutschland).

Simon Roberts – Sight Sacralization: (Re)framing Switzerland

Gornergrat, Zermatt, 2016. Bild: Simon Roberts

Harder Kulm, Zwei-Seen-Steg, Interlaken, 2016. Bild: Simon Roberts

Schilthorn, Lauterbrunnen, 2016. Bild: Simon Roberts

Peter Hebeisen – Europäische Schlachtfelder des 20. Jahrhunderts

Schlacht bei Kursk 1943, Prochorowka , Russland. Bild: Peter Hebeisen

Ebroschlacht 1938, Spanien. Bild: Peter Hebeisen

Schlacht um Verdun 1916, Le Mort Homme, Frankreich. Bild: Peter Hebheisen

Bernd und Hilla Becher – Industrielandschaften

Ilseder Hütte, Ilsede, Hannover, Deutschland, 1984. Bild: Bernd und Hilla Becher

Friedrichshütte, Herdorf, Siegerland, Deutschland, 1963. Bild: Bernd und Hilla Becher

Gutehoffnungshütte, Oberhausen, Deutschland, 1963. Bild: Bernd und Hilla Becher

Die beiden Bechers haben die Architektur von Stahl- und Bergwerken zum Kunstgegenstand ­erhoben, doch dafür mussten sie erst einmal selber in die Höhe, nämlich auf Leitern, Hügel oder Nachbarbauten: Vom Boden aus hätten die Ensembles dieser kolossalen Industriearchitektur in kein gerades Bild gepasst.

Vielleicht muss man sich die Arbeit dieser zwei legendären Fotografen also auch ein bisschen als Klettersport vorstellen. Und wahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass Matthias Koch lange Meisterschüler und auch Assistent der Bechers war. Ein methodischer Fortschritt ist sein Feuerwehrwagen auf jeden Fall.

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«On Top – Vier fotografische Standpunkte»
Ausstellung bis 3. Juni in der Photobastei Zürich

Sihlquai 125, 8005 Zürich
Mittwoch bis Samstag von 12 bis 21 Uhr, Sonntag von 12 bis 18 Uhr
Eintritt 12 resp. 8 CHF

2 Kommentare zu «Plötzlich diese Übersicht»

  • jonny sagt:

    Apropos Technologie: Statt dem Feuerwehauto könnte man eine dieser (verhassten) Drohnen zum Einsatz bringen.

  • Richard Stretto sagt:

    Das Bild der Pointe du Hoc (nicht Hoch!) finde ich besonders eindrücklich — man betrachte die von Bombenkratern übersäte Landschaft und stelle sich vor, wie den deutschen Soldaten die Ohren geklingelt haben müssen… (Dass sie das Bombardement aus der Luft und von der See überlebt haben, beweist der Blutzoll, den die landenden Amerikaner am Omaha Beach bezahlen mussten, bis sie die Geschützstellungen der Pointe du Hoc ausgeschaltet hatten. Im Wikipedia-Artikel zur Pointe du Hoc gibts zwei Fotos, die zum einen das Bombardement zeigen und zum anderen die Landschaft unmittelbar nach der Bombardierung.)

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