Warum der Taupunkt so wichtig ist

Der kommende Sonntag lässt ein beschlagenes Glas erwarten, wenn sein Inhalt 10 Grad warm ist. Foto: Tookapic (Pexels)
Morgens kalt, nachmittags warm. In den sozialen Medien herrschte in den letzten Tagen Verblüffung, weil sich nach dem Sommer die Temperaturen am Morgen schon nach Winter anfühlten, die Nachmittage aber dann wieder warm waren und an die Heisszeit im Juli und August erinnerten. Der Tagesgang der Temperatur ist sehr veränderlich und an manchen nebligen Tagen des Winters nur wenige Grad zwischen Minimum und Maximum; im Frühling und Herbst, wenn die Luft trocken ist, können das in Tälern auch mal 20 Grad und mehr sein.
Aber wie sieht man, dass die Luft trocken ist? Zuerst am dunkelblauen Himmel, der anzeigt, dass viel UV durchkommt – die Feuchtigkeit ist schon alles, wenn Sie wissen wollen, was in den UV-Index eingeht, den Sie vielleicht von Ihrer App bekommen. Völlig sinnlos, darauf zu schauen, denn dieser Index besagt nur, ob die Sonne scheint (sehen Sie selbst) und ob die Luft zwischen der Sonne und Ihnen eher feucht ist (weisslichblauer Himmel, ein paar Minuten länger bis zum Sonnenbrand) oder ob bei trockener Luft der Himmel dunkelblau ist (ein paar Minuten schneller zum Sonnenbrand) – auch das sehen Sie alles selbst, klüger als die App.
Kalte Luft kann weniger Feuchtigkeit aufnehmen
Was das Mass für die Feuchtigkeit der Luft angeht, ist die amerikanische Bevölkerung deutlich weiter als wir. In den USA hat die relative Luftfeuchtigkeit zu Recht kaum eine Bedeutung, weil sie fast immer nichts besagt. Bei 35 Grad stehen 50 Prozent Luftfeuchtigkeit für unerträgliche Schwüle, bei 23 Grad für angenehmste Wärme. Kaum jemand bei uns weiss, dass es für den Gärtner eine riesige Rolle spielt, ob abends bei 10 Grad die Luftfeuchtigkeit 95 oder 50 Prozent beträgt. Wir müssen lernen, den Taupunkt zu lieben.
Um ihn zu verstehen, müssen wir wissen, dass in kalte Luft weniger Feuchtigkeit reinpasst als in warme. Wird also Luft abgekühlt, kommt irgendwann die Temperatur, bei der das Maximum an Feuchtigkeit in der Luft für diese Temperatur erreicht wird. Die Luft muss bei weiterer Abkühlung die überschüssige Feuchtigkeit loswerden durch Kondensation – es bildet sich Tau (Ha! Taupunkt!), bei Temperaturen unter null Grad Reif. Eine detailliertere Erklärung gibt es hier.
Winter am Morgen, Sommer am Nachmittag
Der Taupunkt ist so praktisch, weil er temperaturabhängig ist. Ab einem Taupunkt von 16 Grad fühlt sich die Luft für die meisten schwül an, auch wenn sie nur 18 Grad hat. Und was unsere kalten Nächte betrifft: Der Taupunkt der Luft ist auch ein Mass dafür, was wir in einer klaren, windstillen Nacht an Temperaturminimum erwarten dürfen.
Ist die Luft furztrocken, hat sie einen tiefen Taupunkt. Liegt er bei 10 Grad, wird dort das Minimum liegen, vielleicht 1, 2 Grad drunter. Liegt der Taupunkt aber bei 0 Grad, darf man Frost erwarten. Solch trockene Luft führt aber handkehrum tagsüber zu dunkelblauem Himmel, grosser Intensität der Sonneneinstrahlung und bei windschwacher Hochdrucklage zu hohen Temperaturen, die den grossen Unterschied zwischen Winter am Morgen und Sommer am Nachmittag ausmachen.
Der Taupunkt spielt auch eine grosse Rolle bei der Kundenzufriedenheit in der Beiz. Bei Weisswein oder Bier erwarten wir, dass es Tröpfli draussen am Glas gibt – das Getränk ist dann im Glas so kalt, dass der Taupunkt der Luft aussen am Glas unterschritten wird und sie ihre Feuchtigkeit loswerden muss. Das ist aber nicht immer einfach. Sie sehen an dieser Karte (Kontinent und Land auswählen via Menu), welche Temperatur das Getränk haben muss, damit es draussen Tröpfli gibt.
23 Grad warmes Bier mit Tröpfli auf dem Glas
Während in tropischen Ländern in der Nähe von warmem Wasser mit einem Taupunkt von 25 Grad zum Beispiel ein grausiges 23 Grad warmes Bier reicht, um beeindruckende Tröpfli auf dem Glas zu erzeugen, wird es Ihnen im inneren Australien bei einem Taupunkt von -15 Grad in keiner Form gelingen, ein beschlagenes Glas zu bekommen – selbst wenn Ihr Bier gefroren ist, passiert auf Ihrem Glas nichts. Deswegen sollten Sie vor dem Restaurantbesuch immer den Taupunkt kennen – oder das Getränk probieren, denn der Beschlag auf dem Glas an sich bedeutet nichts.
Aufgrund des 10-Tage-Modellvergleichs für Zürich (andere Orte via Menu) erlaubt der kommende Sonntag einen Beizenbesuch, der ein beschlagenes Glas erwarten lässt, wenn Weisswein oder Bier 10 Grad haben. Am Montag oder Dienstag wird aber mit derselben Getränketemperatur nichts auf Ihrem Glas zu sehen sein – und die Nacht kühl werden.
Dieser Beitrag ist neu unter www.tagesanzeiger.ch/warum-der-taupunkt-so-wichtig-ist-626809585601 zu finden.
6 Kommentare zu «Warum der Taupunkt so wichtig ist»
Anhand des Beispiels mit dem Bierglas hab ich es jetzt verstanden! 😀
Am wichtigsten ist es eigentlich, dass es im Glas feucht ist.
Wie diese Feuchte mit der Aussentemperatur korreliert, ist
noch zu untersuchen.
Ich persönlich ziehe die Klassiker Temperatur, Relative Luftfeuchtigkeit und Windstärke immer noch vor. Auch der Text hier ändert nichts daran, insbesondere da der Taupunkt ja nichts anderes als eine Funktion der relativen Luftfeuchtigkeit (+Temperatur) ist.
Feuchte Luft kühlt sich langsamer ab (Zum einen wegen den Wolken, zum anderen weil Kondensation Wärme abgibt) und wärmt sich langsamer auf (wegen den Wolken) als trockne Luft. Fertig, da braucht es keine komplizierten Bier-Erklärungen.
Der Taupunkt ist erreicht, wenn die Luft gersättigt ist, also wein Wasser mehr aufnehmen kann. Er ist temperaturabhängig. Wieviel Gramm Wasser bei einer bestimmten Temperatur ein Kubikmeter Luft aufnehmen kann, zeigt ein einschlägiges Diagramm.
Vielen Dank Herr Jörg Kachelmann für ihre Meteorologie-Artikel mit der Erklärung der phyikalischen Vorgänge, welche für Wetterphänomene verantwortlich sind.
Und der Humor kommt bei aller Professionalität dabei auch nicht zu kurz 🙂 🙂
Ihre Artikel würde ich sogar als „Volkshochschule“ für den Alltag bewerten, damit man nicht plötzlich von Wetterphänomenen und -Umschlägen überrascht wird
Einfach und klar erklärt. Regt zu eigenem Denken an. Besten Dank.