Die Bremsspur des Sommers

Erinnerungen an den Sommer: Zwei Frauen am Zürichsee, der noch immer zum Baden einlädt. Foto: Walter Bieri (Keystone)

Die Hitzewelle ist schon fast wieder vergessen, man riecht bereits die ersten feinstaubschleudernden Holzverbrenner, die uns später im Jahr noch beschäftigen werden. An einem Ort ist der Sommer immer noch da: Die Seen sind immer noch warm wie sonst im Juli. Sie können immer noch eine Tropennacht erleben – mitten auf dem See.

Erst können alle noch mal ihren Rilke aufsagen, denn:

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr gross.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süsse in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Merci. Es ist ja nicht nur so, dass die besonders Mehrbesseren mit Seeanstoss schon das ganze Jahr die bessere Aussicht als Blockinsassen in Wallisellen haben (wenn auch nachts die schlechtere Luft, aber wie gesagt, davon ein anderes Mal). Weil Wasser ein viel besserer Wärmespeicher ist, haben die Ufergrundstück-Besitzer in der Endabrechnung zwar im Schnitt die tieferen Höchsttemperaturen als die Walliseller, aber die deutlich höheren Tiefsttemperaturen, auch wenn nachts oft der Landwind weht und dadurch die Luft nicht immer weiss, dass da ein warmer See ist:

Bei der Landwind-Situation erwärmt sich die langsam hangabwärts fliessende Luft um 1 Grad pro 100 Meter Höhendifferenz. Bitte aufpassen, wenn Sie von der Wetterkarte die Uetliberg-Werte als Ausgangspunkt nehmen – der Temperaturfühler, der auch in vielen elektronischen Medien als Wert vom Uetliberg verkauft wird, stammt in Wahrheit nicht vom Uetliberg auf gut 800 Höhenmetern, sondern von der Turmspitze auf 1040. Deswegen sollten Sie sich nicht wundern, wenn Sie im Winter hören, es hätte auf dem Uetzgi plus zehn Grad, doch am Ende sehen Sie bei minus zehn Grad den Kulm im Nebel.

Manchmal weht aber nachts nicht der eher kühle Landwind, sondern leichter Südsüdostwind, am besten mit dem langen Anlauf von Käpfnach her – dann kommt das Ganze am Bellevue etwa mit Wassertemperatur an, wenn von den Hängen keine Landluft reingemischt wird. Wie zum Beispiel an diesem Augustmorgen, als die beiden Stationen Mythenquai und Tiefenbrunnen deutlich am wärmsten waren (andere Tage und Zeiten via Menü, klick zum Ablesen.)

Es wird noch eine Weile dauern, bis der See unter 20 Grad fällt – so sehen die kommenden zehn Tage im Modellvergleich für Zürich aus (andere Orte via Menü):

An den Wassertemperaturen im Letten sieht man, dass wir in Sachen Wassertemperatur das obere Ende des Glücks für weicheierige Warmbader erlebt haben mit einem Maximum von an die 27 Grad. Zurzeit sind es immer noch 21 Grad (zur Quelle):

In stieren Jahren kann das ganz anders aussehen, 2007 war deutlich schlottriger für die Freunde gepflegten Seebadens.

Allerdings zeigt der Blick in die Vergangenheit auch, dass der Sommer 2018 in Sachen Dürre ganz besonders war, die aber schnappatmend erfundene Dauer-Hitzewelle war eben nicht so präsent, wie ein Vergleich mit den Letten-Wassertemperaturen von 2003 zeigt.

Der Sommer war sehr gross – aber 2003 war grösser.

11 Kommentare zu «Die Bremsspur des Sommers»

  • Jens W. Hafner sagt:

    An diesem Sommer war besonders, dass es seit Anfang April überwiegend warm und freundlich war – also nun schon fünf Monate!

    In unserer Statistik ist es die zweitbeste Saison seit 2003. Aktuell liegen die Seetemperaturen bei uns nachmittags noch bei 23 Grad – doch unsere Besucherzahlen fallen vergleichsweise mager aus, auch in den Nachbarbadis am See; es scheint, als reiche es allen mit Wasser und Sonne.

    Oder, um es im Rilke-Stil zu sagen:
    „Herr, der Sommer war sehr gross. Leg Deinen Schatten auf die Badetücher und auf die Bäume lass die Farben los. Befiel den letzten Gästen, noch einmal baden zu gehen, gib ihn noch zwei Sonnentage, dränge sie zur Dusche hin und jage die letzte Wärme über Kopf und Zehen …“
    In diesem Sinne: Einen schönen Spätsommer noch!
    J.Hafner/Badmeister

  • Hansruedi Tscheulin sagt:

    1976
    „Europas große Dürre“, einer der Jahrhundertsommer, extreme
    Trockenheit, ausgetrocknetes Land, verdorrte Äcker, niedrige
    Pegelstände, Vieh muss notgeschlachtet werden, bis 38°

  • Hansruedi Tscheulin sagt:

    Gross – grösser – am grössten: Womöglich die Sommer 1957, 1959, 1963…
    Was am nächsten liegt, imponiert am meisten.

  • Peter sagt:

    Also der Lettenkanal ist im Sommer normalerweise 2 Grad weniger warm als der Zürichsee. Im Winter ist er gleich kalt wie der Zürichsee. Dieses Jahr spielt das Wenigwasser eine Rolle, dann ist der Lettenkanal temperaturweise näher am Zürichsee.

  • Helga Tränensack sagt:

    Ich mache es mal wie die Gottesgläubigen: Ich behaupte, 2018 wäre deutlich wärmer gemessen worden, wenn es keine Teslas & Co. gäbe. 2003 gab es solche Fahrzeuge noch gar nicht. Herr Kachelmann, Sie sind an der Reihe, den allfälligen Gegenbeweis zu erbringen, falls Sie anderer Ansicht sind.

  • Marti sagt:

    Danke, das mit dem Üetliberg wissen wir langsam! Und das mit 2003 auch. Erinnert irgendwie an Ihr Geschäftsmodell: Vorhandene Daten neu aufbereitet nochmals zu verkaufen. Zum Glück steht jeden Morgen ein Dummer suf.

    • Seeländer sagt:

      Er verkauft nicht vorhandene Daten nochmals neu, sondern erklärt uns dummen Zahlengaffern was hinter welchem Phänomen genau abläuft, was dieser oder jeder Wert zu bedeuten hat und was man sicher nicht reininterpretieren sollte.
      So gehört man selber nach jedem Wettermacher ein Stückchen weniger zu den Dummen.
      Danke.

  • Martin sagt:

    So weit ich weiss, geben Seen im Sommer Kälte ab und im Winter Wärme. Wie warm das Wasser in einem See ist, hängt a. davon ab, ob es eine starke Umwälzung gibt und b. wie lange die Aufenthaltsdauer des Wassers im See ist. Kommt also jetzt ein stürmischer Herbst, mit vielen hohen Wellen, Gewittern, etc., wird sich die Wassertemperatur schneller absenken, als man denkt. Interessant wäre auch zu wissen, wo diese Temperatur gemessen wird. Schwimmt einfach ein Thermometer an der Wasseroberfläche oder ist es 1 m unter der Wasseroberfläche? Das spielt alles eine enorme Rolle.

    • Lucien Bolliger sagt:

      Kälte gibt gar niemand ab – wenn schon nimmt er Wärme auf. Basic thermodynamics.

    • Seeländer sagt:

      Der See gibt Wärme ab wenn die Luft kälter ist, und entzieht dieser wieder Wärme wenn sie wärmer ist.
      Es ist ihm also ziemlich egal ob dann Tag, Sommer, Winter oder Nacht ist.

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.