Es lebe der Tod!

Raúl Castros Grab ist seit Jahren bereit. (Foto: Reuters/Claudia Daut)

Soll der Tod zum Verbündeten werden? Raúl Castros Grab steht seit Jahren bereit – und wird gefeiert. (Foto: Reuters/Claudia Daut)

Langsam wird es unheimlich. Kuba ist seit Wochen damit beschäftigt, Tote hochleben zu lassen,
Gebeine von längst Verwesten in der Gegend herumzutransportieren, Urnen von einem Grab ins nächste zu verschieben – dabei werden selbstverständlich all diese Toten als unsterblich erklärt, mit Zeremonien, Fanfaren und Gewehrsalven.

Im Oktober war es der 50. Todestag des «Heroischen Guerillero» Che Guevara, im November der erste Jahrestag seit dem «Physischen Verschwinden» von Fidel Castro, im Dezember die Gedenken an all die Märtyrer, die kurz vor dem Triumph der Revolution am 1. Januar 1959 gefallen sind.

Die Überreste der Vaterlandshelden

Man wünschte sich, das neue Jahr hätte etwas lebendiger begonnen. Aber nein. Der Totentanz geht weiter. In den letzten Tagen übertrug das Staatsfernsehen neue Massenbestattungen in Mausoleen in den Bergen der Sierra Maestra, wo Fidels Guerilleros vor 60 Jahren kämpften.

Jeweils am Morgen früh vor Sonnenaufgang fuhren Karawanen von Militärjeeps durch die gottverlassenen Gegenden. An jedem Jeep ein Anhänger mit sechs Urnen drauf. Asche oder Knochen von längst kremierten oder verwesten Vaterlandshelden. Endstation waren Hügel im Hochland, wo die Rebellen einst ihre Fronten gebildet hatten. Die Hügel sind jetzt monumentale Gedenkstätte aus poliertem Marmor, mit Grabsteinen und Urnenwänden aus Granit, ewig brennendem Feuer, Ehrentafeln, umsäumt von Pflanzenbeeten und Königspalmen.

Raúl an seinem eigenen Grab

Bei Ankunft des Trosses vor sieben Uhr morgens standen die noch lebenden Helden bereits stramm da: Raúl Castro und seine Militärs in Olivgrün und salutierend, Männer aus einer anderen Zeit, die Mienen streng, die Augen müde, die Gesichter verwelkt und altersgefleckt, die meisten Bäuche dick. Alle gut bewacht von der Leibgarde, deren Chef Raúls Enkel ist, ein Kleiderschrank von einem Mann, der stets nervös herumtigert, als würde hinter jeder Palme ein Auftragskiller lauern. In sicherer Entfernung von der Generalität und der zivilen Führungsriege die Angehörigen der Toten, Kompanien in Ausgangsuniform und die Militärkapelle. Passend zur Grabesstimmung standen alle im dicken, grauen Morgennebel. An einer Gedenkstätte wurden 33 Urnen feierlich schubladisiert, zwei Tage später an einer anderen 104, ebenfalls mitten im Urwald.

Als dann alle an ihrem wohlverdienten Platz versorgt waren, schritt der 85-jährige Raúl zu seinem eigenen Grab, das seit Jahren parat und auch bereits mit seinem Namen beschriftet ist, und legte eine weisse Rose nieder. Seine Gemahlin, Vilma, liegt da seit zehn Jahren und wartet auf ihren Gatten.

Und die Kubaner rätseln

Niemand weiss, wieso gerade jetzt all diese Toten überall ausgegraben, herumgekarrt und andernorts erneut bestattet werden. Will Raúl – zumindest im kubanischen Jenseits – noch alles in Ordnung bringen, bevor er im April als Staatschef abtritt? Oder wollen sich er und die letzten Verbliebenen seiner Generation mit dem Tod verbünden, damit der sie wohlgesinnt zu sich holt und sie dereinst in Frieden ruhen lässt?

Die Kubaner rätseln, was dieses Herumgeschiebe in der Hierarchie der Ahnen bedeuten könnte. Ein Anzeichen, dass es dieses Jahr auch im Diesseits zu grossen Veränderungen kommt? Vielleicht gar zur Zeitenwende? Sie ist schon oft prophezeit worden – und dann ausgeblieben.

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Ein Kommentar zu «Es lebe der Tod!»

  • Peter Halter sagt:

    Raul ist ein ernster, vorausschauender Mensch. Es muss ihm bewusst sein, dass mit dem Aussterben seiner ehemaligen Kampfgefährten auch eine Epoche stirbt. Seine Gefühle sind nachvollziehbar, hat er doch praktisch sein ganzes Leben der Revolution geweiht.

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