Achtung, fragil!
Man sagt, Havanna ist eine alte Dame, der man immer noch ansieht, dass sie einst eine bezaubernde Schönheit war. Hurrikan Irma, der am Wochenende über Kuba hinweggefegt ist, hat den Menschen in Havanna wieder einmal vor Augen geführt, wie vernachlässigt, heruntergekommen und zerbrechlich die alte Dame ist.
Irma war noch gnädig mit der Hauptstadt, drehte vorher nach Norden ab. Wenn man jetzt sieht, was ihre Sturmwinde von 250 Stundenkilometern und Flutwellen auf der Insel alles zerstört haben, kam Havanna vergleichsweise glimpflich davon. Die Böen waren «nur» noch halb so stark, die Wellen des Meeres neun statt wie andernorts zwölf Meter hoch.
Immer noch viele Stadtteile finster
Ja, noch nie wurde Havanna so stark überschwemmt wie bei diesem Hurrikan, zahlreiche Häuser stürzten ganz oder teilweise ein, Irma riss Hunderte Bäume mitsamt Wurzeln, Trottoirs und Strassenbelägen aus dem Boden, die herunterkrachenden Baumkronen rissen Stromleitungen und Masten mit, ganz Havanna war 48 Stunden ohne Strom, die Stadt lahmgelegt. Noch jetzt, fünf Tage nach dem Sturm, sind viele Stadtteile nachts finster, Hunderttausende Menschen ohne Strom, Gas und fliessendes Wasser – und dies bei tropischfeuchter Hitze Tag und Nacht. Und ja, von den zehn Menschen, die im Sturm ums Leben kamen, starben sieben in Havanna. Trotz allem: Es hätte viel schlimmer kommen können.
Wie durch ein Wunder wurde die Hauptstadt noch nie von einem starken Hurrikan voll und frontal erwischt. Immer trifft es die anderen Regionen der Insel. Als hätte die alte Dame einen Schutzengel. Niemand in Havanna will sich ausmalen, wie die Stadt heute aussehen würde, hätte Irma nicht abgedreht, und was es für eine Katastrophe sein wird, wenn das Glück einmal aufgebraucht ist.
«Wir dürfen uns nicht beklagen», sagt der 72-jährige Schreiner Miguel. Er steht an einer Strassenecke in Centro Habana mitten auf einem Trümmer- und Schuttfeld. Miguel lächelt, seine Augen glänzen – vielleicht sind es Tränen, vielleicht der Schweiss, der ihm von der Stirne überall herunterrinnt. Da, wo Miguel steht, stand bis letzten Samstag seine Schreinerwerkstatt. 14 Maschinen, alle made in USA und aus der Zeit vor der Revolution 1959, alle museumsreif, aber noch in Betrieb. Dazu eine Menge Werkzeug und Holz, fertige Türen, Fenster. Miguel hat einen guten Ruf, ist ein Schreiner alter Schule, der sein Handwerk noch versteht, Qualitätsware liefert, alte Kolonialmöbel, egal in welchem Zustand, sorgfältig restauriert.
«Hauptsache, Havanna steht noch»
Mit einer einzigen, gewaltigen Böe hat Irma die angrenzende, zwanzig Meter hohe und fünfzig Meter lange, freistehende Hausmauer umgestossen. Sie hat Miguels Werkstatt komplett unter sich begraben. Die Mauer stand frei, weil das vierstöckige Haus auf der anderen Seite schon vor Jahren eingestürzt war.
Miguel und seine Angestellten räumen jetzt Schutt und Gestein mit blossen Händen weg. Der Meister trägt eine lange Hose und Sandalen, ein Gehilfe, der mit Schlegel und Pickel Mauerbrocken zertrümmert, Bermudas und Flipflops. Miguel sagt: «Wir wollen so viel wie möglich von Hand wegräumen. Wenn sie vom Abriss mit den Baggern kommen, ist es zu spät. Die schieben alles weg, und fort damit.» Miguel hofft, die eine oder andere Maschine noch retten zu können. Er sagt: «Ich weiss noch nicht, wie und wo, aber ich mache weiter.» Die Schreinerei ist sein Leben, er hat sonst nichts, keine Versicherung, keine Rente. «Von irgendwas muss ich ja leben.» Nun habe es eben ihn getroffen. «Hauptsache, Havanna steht noch. Ich werde wieder ein Plätzchen für mich finden.»
5 Kommentare zu «Achtung, fragil!»
„Oscar Alba“ ist Schweizer – unter anderem war er letzten Montag, 11.09.2017, um 7 Uhr morgens auf Radio SRF 1 zu hören.
@Fischer, Baumann
einfach „derrumbe La Habana“ goggeln und sich mit den Realtäten im Alltag befassen. Desrumbe ist der kubanische Ausdruck für einstürzende Altbauten.
Die Verneinung der Realität ist „völlig respektlos“ bzw. „besserwisserisch“. Damit bewohnte Häuser in Havanna in sich zusammenbrechen, braucht es keinen Hurrikan.
Der Leser kann sich als Gegendosis diesen Artikel reinziehen, der mit Wissensstand Sonntagabend (was die Anzahl Tote betrifft) geschrieben wurde, aber wohl ein komplettere Bild gibt:
https://bazonline.ch/panorama/die-insel-der-geretteten/story/11658445
New Orleans war offenbar noch „fragiler“, und auch Irma haette in Florida aehnliche Schaeden anrichten koennen, haette sie nicht vorher an Wucht verloren. Nebenbei: in der Schweiz wuerde schon ein mittelschweres Erdbeben eine Stadt wie Zuerich zerstoeren.
Wie wuerden wir wohl auf solche Kommentare eines besserwisserischen Auslandkorrespondenten reagieren?
Der Artikel ist unsachlich und zynisch, die riesigen Anstrengungen der Kubaner im Katastrophenschutz werden verschwiegen, ebenso die Tatsache, dass die Inseln der Karibik Opfer des Klimawandels sind (welcher Hurrikane verstaerkt), der hauptsaechlich in anderen Regionen verschuldet wird.
Der Titel geht gar nicht. Völlig respektlos.