Ratten in Westminster

Parlamentssitz und letzte Stätte für Monarchen: Queen Elizabeth und Prinz Charles im House of Lords in Westminster. Foto: Carl Court (AP, Keystone)

Parlamentssitz und letzte Stätte für Monarchen: Queen Elizabeth und Prinz Charles im House of Lords in Westminster. Foto: Carl Court (AP, Keystone)

Besuchern Westminsters sei zu vorsichtigem Auftreten geraten. Der Palast unterm Big Ben, die Heimstatt des britischen Parlaments, bröselt vor sich hin. Schwerer Putz ist in den letzten Jahren schon von den Decken gefallen. Dächer sind undicht, Rohre lecken, die alten Sandsteinmauern verwittern rapide. Es wimmelt von Ratten. Elektrische Kabel bilden eine Brandgefahr.

Das Wissen um den Verfall des viktorianischen Gebäudes hat britischen Abgeordneten schon einiges Kopfzerbrechen bereitet. Geplant ist nun eine sechsjährige Generalüberholung der gesamten Anlage für 4 Milliarden Pfund. Bleibt nur eine Frage: Wohin mit der Mutter der Parlamente, wenn die Bautrupps aufziehen und das «Geschlossen»-Schild ans Tor gehängt wird?

Ursprünglich hatte man noch gedacht, die Parlamentarier könnten während der Renovierung in «ruhigeren» Ecken des Palastes einfach weiterdebattieren. Aber das, weiss man inzwischen, hätte die Bauzeit auf 32 Jahre verlängert – was kaum eine ideale Lösung war.

Politisch motivierte Umzugspläne

Seither sind diverse Gebäude in der näheren Umgebung des Palastes als Ausweichquartiere in Erwägung gezogen worden. Als Alternative hat der prominente Architekt Lord Foster jetzt eine Art doppelte Käseglocke ersonnen, unter der die beiden Kammern Zuflucht finden könnten wie unter einem Schirm.

Londons Big Ben wird für Renovationsarbeiten in ein Gerüst gepackt. Foto: Caroline Spiezio (AP, Keystone)

Die gigantischen Stahl-und-Glas-Dome hätten laut Foster Platz auf Horse Guards Parade, dem Paradeplatz zwischen Whitehall und St James’s Park. Ein derart extravaganter Bau, findet Foster, wäre «ein Vorzeigestücke für britisches Design». Eher politisch als ästhetisch motivierte Planer sind mit einem anderen Vorschlag gekommen. Für die sechs Jahre Bauzeit, schlagen sie vor, solle das Parlament nach Nordengland ziehen. Um das totale Übergewicht Londons im Königreich etwas auszutarieren, lautet dieses Argument, würde es Sinn machen, dem vernachlässigten Norden die Volksvertretung für eine Weile zu übergeben. Ein besonders kühner Vorschlag sieht sogar den kompletten Neubau einer Halbmillionen-Stadt in stiller Natur, mitten auf den alten Kohlefeldern Nottinghamshires, vor.

Clowns im Wanderzirkus

Noch radikalere Köpfe haben gefordert, dass das Parlament auf Dauer nach Norden ziehen solle. Das alte Westminster-Gebäude, spotten sie, könne man mit Wachsfiguren ausstaffieren und den Touristen überlassen. Die Gegner der Abzugs-Idee weisen allerdings darauf hin, dass im Palast von Westminster ausser den Abgeordneten rund 10’000 im Raum London behauste Mitarbeiter beschäftigt sind: Nicht ganz einfach, die alle zu entwurzeln – und ein Parlament im Norden zu haben, während die Regierung weiter im Süden sitzt.

Witzbolde haben mittlerweile vorgeschlagen, Fosters Glaskuppeln und andere Ausgleichsquartiere ganz zu vergessen und stattdessen «voll demokratisch» zu agieren. Mithilfe eines riesigen Zirkuszelts, meinen sie, könne das Parlament durch die Lande tingeln und überall für ein paar Tage Vorstellungen geben. An Clowns bestünde ja kein Mangel, hört man Kommentatoren immer wieder sagen. Boris Johnson wäre zweifellos eine Star-Attraktion.

Regierung und Parlament haben sich um eine Entscheidung erst einmal gedrückt, in diesem Sommer. Für die Dauer dieser Legislaturperiode, also für fünf Jahre, soll es noch keinen Auszug aus Westminster geben. Vielleicht hat ja auch eine Rolle gespielt, worüber man nur ungern redet. Nämlich die Frage: Falls die Königin stirbt, während das Parlament geschlossen ist – wo soll sie dann aufgebahrt werden?

Zu viel Unordnung für die britische Seele

Normalerweise ist dafür ja Westminster Hall, der älteste Teil des Palastes, vorgesehen. Dort haben die Briten schon vielen Monarchen (plus Sir Winston Churchill) die letzte Ehre erwiesen. Notfalls, hat die königstreue «Times» nun ermittelt, müsse man eben auf die St Paul’s-Kathedrale ausweichen. Eine Baustelle in Westminster täts ja wohl kaum.

So viel Unordnung, findet die Tory-Abgeordnete Shailesh Vara, sei der britischen Seele schlicht nicht zuzumuten. Westminster müsse bleiben, wo es ist, und Westminster Hall weiter «für grosse Staatsereignisse zur Verfügung stehen». So wird sich, wer den Palast besuchen kommt oder dort arbeitet, wohl auch künftig vor fallendem Putz in Acht nehmen müssen. So schnell geht das, an einem so geschichtsträchtigen Ort, mit dem Renovieren nicht.

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Ein Kommentar zu «Ratten in Westminster»

  • Beat Schenker sagt:

    Nun in jedem älterem Gebäude nicht nur in Englannd, das zudem am Fluss liegt gibt es Ratten.
    Fragen Sie einmal die New Yorker dort kennt die Mehrheit eine Rattenplage, auch in neueren Gebäuden.
    Natürlich ist eine Renovation (oder fast schon Restaurierung) des Parlamentes längst überfällig und danach wird es für eine gewisse Zeit auch weniger Ratten geben.

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