20 Minuten Deutschland

Mikrokosmos: Eine Fahrt in der Münchner S-Bahn ist besser als Kino. Foto: Clemens Bilan (AP, Keystone)

Manchmal hat der Chinakorrespondent Urlaub, dann besucht er exotische Orte und studiert dort die Eingeborenen. In München, in der Flughafen-S-Bahn zum Beispiel. Im Sommer 2017. Hier das Protokoll meiner ersten zwanzig Minuten Deutschland.

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Rudis Beerdigung

Zwei ältere Männer, schräg rechts.

«Das war aber nicht in Rudis Sinne.»
«Nein, gar nicht.»
«So eine zerstrittene Familie.»
«Ja, die ganz vorn, hast gsehn? Die war ja ein angenommenes Kind. Die mit der spitzen Nasn. Die so grimmig gschaut hat. Der hat keiner gratuliert … äh… kondoliert.»
«Hast ghört was der Pfarrer gsagt hat? Des hab i mir mitgnommn. Mir ham des alles noch vor uns. Den Tod.» (Er nickt bedächtig). «Ja. Mitgnommn hab i des. Mir ham des ja noch vor uns. Des mim Sterm und so.»

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Herr Oberstudienrat

Vor uns. Eine Frau Anfang 60, die sich aus ihren jungen Jahren den Haarschnitt gerettet hat.

«Also ich wollt ja nie Kinder. Dann isses passiert, und dann wars halt aso. Und jetzt möcht ichs nicht mehr missen. Nein. Die Leut können sich des vorher ja gar net vorstellen. Jetzt isser Oberstudienrat, in der FOS, für Geschichte, Latein und Deutsch. Aber nimmer lang, dann wechselt er ins Schulreferat. Weil an der Schul, da arbeit er sich zu Tod, der Bub. Deutsch unterrichtet er. Jede Ex, jede Schulaufgabe, jeden Test muss er eigens lesen und dann korrigieren, und dann noch zu jedem ein eigenes Blatt dazuschreiben. Net so wie die, die Mathe oder Physik unterrichten, die legen da einfach ein Raster drüber, und, zack, gehns nachmittags ins Schwimmbad. Also die mit Physik und Mathe. Und dann sagn d’Leut: Da schau her, die Herrn Lehrer, im Schwimmbad sans am Nachmittag. Aber net mei Bub, der sitzt daheim und korrigiert sich die Finger wund. Aber Oberstudienrat isser, des scho.»

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Mausetot

Hinter uns. Zwei Frauen, einst Flugbegleiterinnen, jetzt Bodendienst.

«Du, und dann hab ich da vor 20 Jahren einen kennen glernt, der hatte so ein Magnetdings, also so Kugeln, na, also so ein Magnetdings in einer Kartn, des hast in eine Socke gsteckt oder irgendwo in die Wäschn halt, und dann hast du nur noch einen Eierbecher Waschmittel braucht.»
«Naaa!»
«Wenn ichs doch sag. Einen Eierbecher voll.»
«Im Eeernst?»«Ei-nen Ei-er-be-cher. Und blitzesauber isses worn. Und dann mit drei Jahre Garantie.»
«Naaa, geh!»
«Stell dir mal vor, wie viel Waschmittel du in drei Jahren sparst! Du, meine Piloten warn da ganz scharf drauf. Aber der war halt ganz allein, der Mann mit dem Magnetdings. Der hat kein Kapital ghabt und nix. Der hat einfach so Werbung gemacht von Mund zu Mund. Und weisst was?»
«Waaas?»
«Die Industrie hat des spitz kriegt. Die Waschmittelindustrie. Dass da einer is. Die ham des gseng und gsagt: Jo woos, sooo wenig Waschmittel? Da verdiemmer ja gar nix mehr. Und stell dir vooor!»
«Jaaa?»
«Da ham die sich verabredt und über Nacht in aaalllllen Zeitungen in Deutschland am gleichen Tag was gschriem. –
«Naaaa!»
«Doch! Derfst ja bei uns. Was schreim. Is ja Pressefreiheit. Ha.»
«Ha!»
«In jeder kleinen Stadtteilzeitung stand dann drin, dass das gar nicht funktioniert, das Dings. Am selben Tag.»
«Naaa!»
«Und dann war er erledigt. Tot. Also net der Mann, sondern sein Dings, also das Magnetdings. Mausetot.»

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