7 seltsame chinesische Trends
Bemerkenswert, was Oberflächlichkeiten mit unserer Wahrnehmung machen. Als ich Student war in China, da trug das ganze Volk noch das gleiche schwere, dick-schwarz gerahmte Brillengestell, der einstigen deutschen Kassenbrille nicht unähnlich. Dann aber, schätzungsweise irgendwann so Anfang, Mitte der 90er-Jahre, liefen auch die Chinesen mit einem Mal mit einer Vielfalt an bunten, eleganten, schrägen, modernen Brillen herum. Und mit einem Mal, wie von Zauberhand, wirkte einem das ganze Volk gleich viel näher und vertrauter.
Den gleichen Effekt hatte die Frisurenrevolution, die das Land aus postkulturrevolutionärem Einheitsstrubbel in die uns
vertraute Welt des Haardesigns katapultierte («Haardesigner», so nennt sich der ziemlich coole Zehnquadratmeter-Friseur in unserer Gasse, der am eigenen Haupt eine künstlich rasierte Halbglatze mit einem Schwänzchen am Hinterkopf kombiniert). Dass sich mittlerweile ein beträchtlicher Teil der Jugend frisurenmässig verabschiedet hat in ein von Südkoreas K-Pop inspiriertes neonfarbenes Bubblegum-Universum, ist eine andere Sache. Unterm Strich bleibt eine erstaunliche Annäherung von chinesischer und westlicher Welt. Es bleibt allerdings auch das eine oder andere Modephänomen, das noch immer unter «chinesische Besonderheit» einzuordnen wäre. Ein paar Beispiele.
- Das Männerhandtäschchen. China als letztes Refugium dieser Sonderlichkeit wurde hier schon eingehend beschrieben. Bleibt anzufügen, dass der Pekinger/Shanghaier/Shenzhener Männerhandtaschenträger von seiner Freundin und/oder Konkubine (seltener Ehefrau) gerne auch als Damenhandtaschenträger gebraucht wird, der oft zwei Schritte hinterhertrippelnd besagter Freundin solchermassen das Shoppen erleichtert. In der Folge wird er dann auch zum Einkaufstaschenträger.
- Der Feldanzug. China ist das einzige Land, in dem ich regelmässig Bauern bei der Feldarbeit beobachtet habe, die Anzug tragen. Billige Anzüge, sehr billige, klar. Aber Anzüge.
- Die Zemin-Hose. Populär in Parteikaderkreisen bis in die mittleren 2000er-Jahre hinein. Von mir benannt nach dem damaligen Parteichef Jiang Zemin, der die seinen stets so trug: als Ballon hoch über den mächtigen Bauch gezogen und kurz unterhalb der Brust festgespannt.
- Die Nylonsocke. Unausrottbar, auch zu kurzer Hose, auch am mittelalten Männerbein, auch dort in schwarzen Netzmustern aller Art.
- Die Pandabärlein-Mütze. Mit Kuschelohren. Wird auch im Sommer oft getragen von jenen Mädels, die gern unschuldig mit den Augen klimpern. Dieselben, die seit neuestem das Trinkjoghurt aus trendigen Babynuckelfläschlein trinken.
- Der Gassenpyjama. Als bequeme Ausgehkluft das Pekinger Gegenstück zum deutschen Jogginganzug.
- Der Beijing-Bikini. Ebenfalls Teil der Gassenkultur. Kommt immer dann zum Einsatz, wenn es so heiss ist, dass es auch ein Unterhemd tut. Der Beijing-Bikini ist ganz schnell selbstgeschneidert: einfach das Hemdchen unter die Achseln hochrollen, um möglichst viel Bauchfläche der frischen Luft auszusetzen. Rhythmisches Bauchklatschen mit abwechselnd der flachen rechten und linken Hand optional. Men only.
3 Kommentare zu «7 seltsame chinesische Trends»
Der Taxifahrer Tea Cup sollte hier auch erwähnt werden. Üblicherweise ein altes 200g Nescafé Classic Glas mit Schraubdeckel. Wird zwischen den Vordersitzen eingeklemmt und beim Ampelstopp rasch für einen Schluck geöffnet. Ungefähr ein Dutzend Mal pro Tag mit heissem Wasser wiederbefuellt.
Es ist auch möglich dass die Anzüge sehr billige Altkleider sind, sie sonst niemand haben will. In Russland tragen viele Bauern militärische Kleidung einfach weil davon so viel verfügbar ist zu sehr kleinen Preisen. Und für ein Outdoor-Setting sind diese Kleider ja auch geeignet.
Spannend, witzig und immer wieder lesenswert. Als Chinesisch Mediziner habe ich eine spezielle Beziehung zu diesem Land, eine Art Hassliebe.
Nur die Hose bezeichne ich ganz gallisch als Obelixhose 😉