Hongkong, die Eiskönigin

Welttheater

Draussen schwitzen, drinnen frieren: Hongkong ist im Sommer kaum auszuhalten. Foto: Andrea Izzotti (iStock)

Ich bin aufgewachsen in den Allgäuer Alpen, und einmal steckte ich eine Nacht lang fest in einem Schneesturm in Sibirien, in einem froschgrünen Hyundai Lantra, Baujahr ’95, in dem die Heizung ausgefallen war. Aber ich habe selten so gefroren wie in Hongkong im Sommer. Der Stadt, in der die Menschen im Juni, im Juli und erst recht im August Strickpullis und Schals in den Büros tragen. Hongkong ist die Eiskönigin unter den Städten.

Dabei kann man nicht sagen, dass der Pullover den Leuten hier in die Wiege gelegt worden wäre. Hongkong draussen ist heiss. So heiss, dass man als Fussgänger dort die Wahl hat zwischen dem Verglühen oder dem Zerfliessen. Ich entschied mich diese Woche fürs Zerfliessen. Eigentlich hatte es nur 33 Grad. 33 Grad in München schreien Biergarten und Isarwonne. 33 Grad im subtropischen Hongkong fühlen sich an, als habe einer einen in den Stahlkochofen geworfen.

Von tropfnass bis schockgefrostet

Hongkong drinnen hingegen: Eisschrank. Mein erstes Interview war an der Universität. Die Studenten schauten mich mitleidig an, wie ich so tropfnass daherwatschelte, und geleiteten mich in ihren Versammlungsraum, wo ich auf der Stelle schockgefrostet wurde. Ich hatte das erwartet, die Eiseskälte, es ist ein Erlebnis, das jeder in Hongkong Dutzende Male am Tag hat, wenn er von der Strasse ein Lokal, ein Büro, eine Shopping Mall, eine Fähre oder einen Bus betritt. Es ist jedes Mal, als übertrete man die Schwelle von den Tropen zum Nordpol.

Was ich nicht erwartet hatte, war die Reaktion der Studenten. «Entschuldigen Sie, so warm!», rief einer und eilte zum Thermostat, um den Raum noch weiter abzukühlen, von 18 auf 15 Grad. Einmal ging ich zur Toilette. Aus dem Händetrockner dort blies so kalter Wind, dass ich hernach für ein paar Minuten Schwierigkeiten hatte, meinen Stift zwischen den frosttauben Fingern zu halten. Erst kurz zuvor war ich den Eiseswinden entronnen, die durch Hongkongs lange, offene U-Bahn-Waggons schneiden.

Die Erkältung gehört zum Lebensstil

Die Hongkonger scheint das nicht zu stören. «Bringen frische Luft», sagen sie über die Klimaanlagen. «Fönen die nassen Kleider wieder trocken.» Bringen aber eigentlich nur Keime, und fönen auch die Lungen und die Bronchien. «Wir rennen ständig mit Erkältung, Fieber oder Blasentzündung herum», hatte mir einmal ein Hongkonger Urologe erzählt. Am Kiosk kriegt man zu jeder Zeitung gratis eine Packung Papiertaschentücher dazu. Na und, sagen die Hongkonger. Ihnen ist selbst ihr Winter zu warm. Während es draussen Anfang des Jahres 17 Grad hatte, mass eine Stadtzeitschrift in einem Supermarkt in Kowloon Tong gut heruntergekühlte 12 Grad.

Die meisten Banken der Stadt gönnen sich die 17 Grad ganzjährig als Innentemperatur. Angestellte kommen deshalb mit Winterjacken ins Büro. Aber auch für die Kunden halten sie in einigen Filialen bankeigene Pullover bereit. Ideal ist die Kundenerfahrung dennoch nicht. Eine Festlandchinesin warnte ihre Landsleute im Internet vor Hongkongs Einkaufszentren: «Die Klimaanlagen waren so stark, dass meine Füsse prompt um eine Nummer zusammenschrumpften», schrieb sie. «Alle Schuhe, die ich dort kaufte, sind mir jetzt zu klein.»

Und so war in einer Zeitschrift kürzlich ein Cartoon zu sehen: Er zeigt Elsa, die Eiskönigin aus dem Disney-Film, die alles zu Eis und Schnee verwandelt, was sie berührt, selbst die Herzen der Menschen. «Ach Hongkong», sagt Elsa da. «Du gewinnst.»

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12 Kommentare zu «Hongkong, die Eiskönigin»

  • Guebert sagt:

    Wie immer in Strittmatter Texten werden die Sachverhalte etwas übertrieben, dass müsste nicht sein. Das Problem sind weniger die niedrigen Temperaturen selbst, sondern in der Tat der verschwitzte Körper, der diesen Temperaturunterschieden ausgesetzt wird. Bestes Beispiel hierfür ist Dubai. Tagsüber hat es dort schon mal 45 Grad, aber die Hitze ist sehr trocken, man schwitzt kaum und wenn man dann die auf 15 Grad heruntergekühlte Metro-Station betritt, fröstelt es einen zwar, aber man leidet nicht. Ganz anders nach Sonnenuntergang: Zwar ist es im Freien jetzt nur noch um die 30 Grad warm, aber die Luftfeuchtigkeit ist wesentlich höher und schon nach 10 Minuten ist Mensch nassgeschwitzt. Jetzt wird die Metro-Station zur kleinen Kältefolter, da die kalten Winde auf einen nassen Körper treffen

  • Kveikur sagt:

    Ich bin selber aus einer Stadt in der Nähe von Hongkong, und wohne gerade in München. Ich finde, dass München auch kaum auszuhalten ist. Bei uns sind alle Busse, Ubahnen, Einkaufszentren und Apartments mit Klimaanlagen ausgestattet, hier in München werben sich die Läden damit dass sie klimatisiert seien. Gewissermaßen Lächerlich.

  • marsel sagt:

    Unglaublich. Kriegen die dort den Strom gratis, und die Reperatur und den Ersatz defekter Klimaanlagen?

    • Kveikur sagt:

      Strom ist nicht gratis aber billig, Reparatur ist schnell und auch billig, Ersatz ist garantiert aber manchmal nicht gratis, wenn nicht gratis, dann billig 🙂

    • Martin Dietschi sagt:

      Der Artikel übertreibt ziemlich. Ja, es ist drinnen viel kälter als draussen. Aber sicher nicht 15 Grad. Und draussen ist es halt mitte 30, da spürt man en Unterschied.

      Zudem ist das gängig von Dubai bis Jakarta, da sticht Hong Kong nicht besonders heraus. Es ist m.E. eher weniger schlimm als andernorts.

      • Daniel Grutsch sagt:

        Doch, drinnen ist es wirklich so kalt, mindestens teilweise. Bin gerade in Hong Kong gewesen, hab im Hotelzimmer den Thermostat auf 20 Grad eingestellt. Jedes Mal wenn ich Abends von der Arbeit heimkam war der Thermostat auf 10 Grad (Minimum der Skala) heruntergedreht. Die Reception meinte auf meine Nachfrage, das müsse so sein, sonst kühle die Klimaanlage nicht effektiv.

  • Urs Gautschi sagt:

    Ich schätze die Berichte von Kai Strittmatter immer sehr und möchte mich mal bei Ihm bedanken. Oftmals muss ich schmunzeln wie er Dinge schildert. Mein letzter Besuch in Hongkong war vor gut 5 Wochen… und… nun ja, Herr Strittmatter hat hier mit den Temperatur-Angaben ein wenig, ich sage mal „über die Stränge geschrieben“… Aber das geht schon O.K. Meine persönliche, ebenfalls subjektive Empfindung ist, dass man in Hongkong massiv vernünftiger wurde was das Herunterküheln angeht. Die heutigen Eishöllen findet man schneller in Bangkok oder Singapur.

    • loulou55 sagt:

      Ich werde ab 2 Juli für 5 Tage in Hongkong sein.
      Was gilt jetzt? Pullis mitbringen? Lange Hose?
      Habe ein Hotel in der Nähe des Kowloon-Park, möchte auf den Peak, mein Schatz natürlich an den Temple Street Night Market und sicher mal in eine Mall. Wie ist es in den Restaurants?
      Erinnert mich etwas an meine 2 Las Vegas Besuche 1990 & 1994, aussen 40° (allerdings extrem trockene Hitze) in den Hotel/Casinos 18-20°.
      Lebe sonst auf den Philippinen, da ist der Strom teuer, darum sind sie hier relativ vernünftig beim Kühlen.

      • Urs Gautschi sagt:

        @loulou55: Freuen Sie sich auf Ihre Reise! Kowloon-Park ist schön und hat tolle Kunst. Restaurants – Hongkong kann sehr teuer sein! Gute, ja, es gibt auch sehr gute Restaurants. Wer sucht findet auch preiswerte. Kleidung für Juli: Lange Hosen bei Tempelbesuch. Zur Sicherheit Sweat-Shirt mit Kappuze für kalte Räume. Am wichtigsten Schirm (Knirps) da Regenzeit. Victoria Peak… Bei langer Personenschlange an der Talstation der Standseilbahn (die Leute nennen das Gefährt Peak Tram (95 Sitz-und 25 Stehplätze) sich einfach mit dem Taxi eine oder zwei Stationen höher bringen lassen (z.B. MacDonell Road) und dort zusteigen. Wichtig: An der Station rechtzeitig „Stopp“ Schalter drücken. Sonst fährt der Wagen vorbei… Eine Octopus-Card ist in HKG fast ein „Muss“! Viel Spass bei der Reise !!!

    • Alfredo Francesco sagt:

      Das ist doch alles Unsinn! Ich habe zehn Jahre lang in Südostasien gelebt, in Kuala Lumpur und Singapur. War auch oft in Bangkok. Bin momentan wieder in Singapur, Durchschnittstemperatur 32 Grad C. Von Eishölle keine Spur, weder in den Einkaufszentren noch in der U-Bahn noch sonst irgendwo, in keiner der genannten Städte.

      • Daniel Grutsch sagt:

        Singapur ist in der Tat angenehm, meistens auch in den Bussen und Zügen. In den älteren Bussen ist es teilweise ein bisschen gar kühl.
        In Hong Kong geht da einfach ein kalter Wind durch die U-Bahn, je zügiger gefahren wird je windiger und je kälter fühlt sich das an.

      • Urs Gautschi sagt:

        Tja Herr Francesco… Dann fragt sich wie sie Ihre 10 Jahre verbracht haben…. Nix Unsinn! Um nur 1 Beispiel zu nennen: Gehen man/frau in eine 7-11 Filiale…. Egal in welcher asiatischen Megacity, dort empfängt einem neben dem penetranten Tür-Gong eine „Schockwelle“ von etwa 18-20°c. Positiver Aspekt – nach 15 Minuten dort sind die verschwitzen Kleider wieder trocken….

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