Atmen einstellen

Smog? Sandsturm? Schneefall? Die Jahreszeit und das Wetter sind nicht immer so klar in der chinesischen Hauptstadt. Zu sehen, eigentlich: Die architektonische Sehenswürdigkeit CCTV-Headquarter. Foto: Reuters
Flocken vom Himmel. Haben wir hier in Peking eher selten. Weisse noch seltener. Das letzte Mal, als es in diesem Jahr schneite, es war ein Februartag, sass ich gerade im Taxi. Der Fahrer blickte nach oben. «Der Schnee ist schwarz», sagte er. Das war übertrieben. Er war eher dunkelgrau. Kurz zuvor erst hatte die Regierung die Bürger gewarnt, sie sollten jede Berührung mit Schnee vermeiden, weil der den Smog in der Luft huckepack nimmt. Giftflocken. Wir hatten trotzdem Spass. Im Netz entspann sich eine Debatte, wie man das denn nun nennen sollte: Die einen waren für «smow«, die anderen für «snog», im Deutschen vielleicht «Smee» und «Schnog».
Die Wortkreationen erinnerten mich an den «Wühling» und den «Serbst», jene beiden Jahreszeiten, die der Klimawandel uns in naher Zukunft noch lassen wird. Wobei, wer weiss, vielleicht werden es auch der Frommer und der Hinter sein. Oder der Sinter und der Werbst. So einen Frommer haben wir Pekinger eigentlich schon immer: Kaum hat man ein Dutzend Lammspiesse verputzt, ist der Winter auch schon in den Sommer gesprungen. Der kurz aufblitzende Frühlingsanteil des Frommers lässt den Leuten bei mir im Hutong gerade genug Zeit, um aus den dick wattierten Gassenpyjamas in die leichten, kunstseidenen zu schlüpfen.
Die Weidekätzchen-Belagerung

Besser nicht zu tief einatmen: Eine Frau mit Maske im winterlichen Peking. Foto: Jason Lee (Reuters)
Trotz seiner Kürze kann man den Pekinger Frühling eigentlich nicht verfehlen. Man erkennt ihn daran, dass der bleierne Wintersmog Platz macht für Sandstürme und Pappelflusen. Das ist unser Aprilschnee: Wenn der Himmel voll ist mit dicken, weichen Flocken, die einen einhüllen und grosse Teile der Stadt weiss überziehen. Es schneit, Milliarden von Pappel- und Weidensamen. Das hat mitunter etwas Magisches, so als verwandle Japans Regiezauberer Hayao Miyazaki die Stadt in ein Filmset. Eine Plage ist es auch. Allergiker leiden. Und feine Brandbeschleuniger sind sie, die Flockenteppiche. Eine glimmende Kippe genügt. Allein am letzten Dienstag rückte die Pekinger Feuerwehr deshalb mehr als 300-mal aus. Die Pekinger sind Jahr für Jahr schwer genervt. Peking werde «belagert» vom Auswurf der Weidenkätzchen, titelte nun eine Zeitung. Die Stadt hat sich das selbst eingebrockt. Sie pflanzte in den 50er- und 60er-Jahren Millionen von Pappeln und Weiden, die waren billig, wuchsen schnell und gediehen selbst in Pekings kargen Wüstenböden. Zum Verhängnis wird der Stadt heute, dass auf drei männliche Pappeln sieben weibliche kommen – die Weiblein lassen es schneien.
Sand, Smog, Flocken
Einst, heisst es, hätten die Pekinger in jeder der Flocken eine umherwandernde Seele gesehen. Das ist lange her. Mit umherwandernden Seelen haben sie es gerade nicht so, die Pekinger, seit ihre Stadt aus allen Nähten platzt, am liebsten würden sie sie alle wieder dahin schicken, wo sie herkamen: die Wandermenschlein zurück in ihre Bauerndörfer, die Wandersamen zurück in möglichst unfruchtbare Erde. Heute Morgen, als ich aufwachte, hatten wir übrigens einen Sandsturm. Zumindest war da noch ein Nachglühen nächtlichen Wütens. Ein ockerfarbener Himmel, am Strassenrand geschmirgelte Autos, in der Luft noch ein paar dünne Nadeln. Es war, als habe ein Dschinn die teuflische Dreifaltigkeit auf Peking losgelassen: Sand und Smog und Flocken tanzten in spöttischer Eintracht um uns herum. Könnte man sich jetzt auch ein Wort dafür ausdenken. Man kann aber auch einfach nur das Atmen einstellen, fürs Erste.
4 Kommentare zu «Atmen einstellen»
tolle Antwort!
Aus der Ferne ist der Zynismus ja ganz unterhaltsam, aber mal ehrlich, wie kann man dort leben? Und dann noch freiwillig? Für mich klingt das nach einem ziemlich üblen Horrortrip, für kein Geld der Welt würde ich dort längere Zeit bleiben wollen.
für Geld macht er das. Geld, Geld, Geld!
Es gibt Menschen, die etwas interessanter finden, weil etwas anders ist, besser ist dabei kein relevantes Kriterium. Solche Menschen werden als neugierig beschrieben.
Andere Menschen ziehen das Vertraute vor, wollen gar nicht so genau wissen, wie das fremde, das angeblich andere sei, die werden als ängstlich beschrieben.
Neugier tötete die Katze, aber immerhin war sie Katze, bis sie starb, ängstlich hätte sie nie gelebt.