Überraschendes Wiedersehen in Taiwan

Nach China und Indien grösster Veloproduzent: Taiwans Fahrradindustrie hat viele Firmen wegglobalisiert. (Bild: Getty Images)

Mein erstes eigenes Fahrrad war ein Mondia, ein zitronengrüner «Halbrenner», wie das in den 1960er-Jahren hiess. Mein erstes Rennvelo, ein altes Tigra, war älter als ich selbst. Ich kaufte es einem Trainingskollegen für 130 Franken ab, das war viel Geld. Dann gab es einen roten Cilo-Renner. Alle drei hatten Bremsen von Weinmann. Im Laden von Herrn Angst, dem Velomacher in der Neuweilestrasse, zu dem man meist mehrmals gehen musste, weil er nicht rechtzeitig fertig wurde, hingen ein weiss-blau-rotes Emailschild «Weinmann Service» und Plakate mit dem Weinmann-Schriftzug, dessen E und A von einem Ring umfasst wurden.

Weltmarktführer für Fahrradbremsen

Radrennfahrer Beat Breu. (Bild: Keystone)

Später rückte der Ring mit einem schnellen W in der Mitte vor den Namenszug. Dieses Logo tauchte auch auf Jerseys von Profi-Mannschaften auf, etwa von Beat Breu. Die 1927 in Schaffhausen gegründete Firma Weinmann dominierte den Weltmarkt für Fahrradbremsen. In den USA warb sie mit dem Spruch «We can’t stop the world, but we surely can stop your bicycle». In den besten Zeiten produzierte Weinmann acht Millionen Bremsen pro Jahr, dazu auch Felgen.

Weinmann hat sich zu Beginn der 1990er-Jahre selber gestoppt, nach Krisenjahren verwaltete die Firma in Schaffhausen am Schluss nur noch ihre Immobilien. Auch Tigra, Cilo und zuletzt, 2014, Mondia, sind verschwunden. Die mittel- und bodenständige Schweizer Fahrradindustrie wurde von der Globalisierung überrumpelt. Sie hatte kein Mittel gegen die seit den 1970er-Jahren aufstrebende Fahrradindustrie aus Taiwan, die heute nach China und Indien weltweit die meisten Velos produziert. Und bei Edelvelos beinahe ein Monopol hat. Dass Schweizer Marken in einer globalisierten Velo-Welt bestehen können, demonstrieren BMC und Scott, beides amerikanische Gründungen, die heute in Schweizer Besitz und hier domiziliert sind. Und die E-Bike-Firma Stromer.

Weiterfahrt auf Weinmann-Felgen

Nostalgiker finden auf dem Internet noch Weinmann-Bremsen und -Hebel, sogar noch originalverpackte, aber der ikonenhafte Schriftzug ist verschwunden. Umso grösser die Überraschung, als ich an der «Taipei Cycle», der grössten Fahrradmesse Asiens, plötzlich vor dem Weinmann-Logo stehe. «Ja, Weinmann ist Weinmann», lacht Manager Carl de Ruigh von Weinmann, «oder was von Weinmann nach vielen Metamorphosen geblieben ist.» Nach dem Untergang der Schaffhauser Firma gingen die Überreste in den Besitz einer belgischen Familie über, die später in die USA verkaufte. Dann wurde Ex-Weinmann, mittlerweile ein Felgen-Hersteller, nach Europa zurückverkauft. Seit 1996 ist Weinmann die Felgen-Marke des holländischen Komponentenherstellers Rigida für Überseemärkte. In Europa werden die Felgen als «Ryde» verkauft.

Weinmann unterhält drei Fabriken in China, die zusammen jährlich 8 Millionen Felgen herstellen. So viel wie die Schaffhauser in ihren besten Zeiten Bremsen. Allerdings produziert Weinmann hauptsächlich als Auftragshersteller: Den Felgen sieht man nicht an, dass sie von Weinmann sind. Auf ihnen steht zum Beispiel Bontrager, eine Edelmarke des Trek-Konzern, der vor einigen Jahren «Villiger Velo» geschluckt hat. In der Schweiz dürften damit viele ältere Velofahrer, die sich in ihrer Jugend auf Weinmann-Bremsen verliessen, nun auf Weinmann-Felgen fahren. Ohne es zu wissen. Das ist vielleicht gut so, sonst werden sie noch nostalgisch.

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