Die «romantischste» Stadt Chinas
Zhengzhou. Da war ich einmal vor Jahren, ist mir dann sofort wieder entfallen. Ein sich der Schwermut ergebender Busbahnhof ist mir in Erinnerung und natürlich das Shaolinkloster, ja. Geburtsort des Kung-Fu. Und des Zen-Buddhismus. Damals hatte ich den Abt interviewt, der mir begeistert von den Mönchen erzählte, die er zum Studium nach Peking an die Filmhochschule entsandt hatte. «Dann können wir endlich unsere eigenen Kung-Fu-Serien schreiben.» Zen im neuen China. Fragte mich jemand nach dem Eindruck zur Stadt selbst, ein höfliches «nüchtern» hätte ich meiner Erinnerung wohl abringen können.
Gestern aber nun war Zhengzhou in den Schlagzeilen. «Volkszeitung», «Xinhua», «Global Times», sie alle trompeteten es hinaus: «Romantischste Stadt Chinas.» Zhengzhou, tatsächlich. Ausser für das Shaolinkloster war Zhengzhou bislang vor allem für seine Traktor- und Busfabriken bekannt gewesen. Auf Platz zwei der neuen Romantik-Top-Ten liegt Baotou. Innere Mongolei. Die Industriestadt taucht in der Reisebibel Lonely Planet auch als «scheussliches Baotou» auf. Und in einer BBC-Doku über die vergiftete Landschaft dort als «Hölle auf Erden».
Statuten in der Hochzeitsnacht
Nun ist die Romantik ein vermintes Feld, selbst und gerade zwischen Liebenden. Das Eisenbahnamt der Stadt Nanchang stellte im letzten Jahr Fotos eines frisch vermählten Paares ins Internet, sie noch im Brautkleid, er im Anzug, die neben ihrem mit Rosenblüten bedeckten Hochzeitslager von Hand die Parteistatuten der KP abschreiben. Der Bildunterschrift zufolge verschaffte dieses gemeinsame Liebeswerk den beiden «zärtliche Erinnerungen» an ihre Hochzeitsnacht.
Wirklich? Man hätte die Braut doch gerne mal selbst gefragt. Chinas Internetnutzer jedenfalls überschütteten die Propagandainszenierung mit Spott. Grundsätzlich ist es ohnehin ein Irrtum, zu glauben, die romantische Liebe sei eine Erfindung des Westens. Sich in den Stricken der Liebe zu verfangen, ihr den Verstand und die Seelenruhe zu opfern, am Ende gar das eigene Leben, das können Chinesen genauso gut wie wir, mehr als zweitausend Jahre Literatur zeugen davon.
«Luo-man-ti-ke»
Die Chinesen haben zwei Wörter für Romantik: «lang-man» und «luo-man-ti-ke», beides phonetische Nachbildungen des europäischen Originals, Importe des letzten Jahrhunderts. Aber das war bei uns nicht anders: Wir Deutschen borgten uns das Adjektiv auch erst Ende des 17. Jahrhunderts aus dem Französischen, wo das Wort zu Beginn die Bedeutung «romanhaft» hatte, und eingedenk der damit einhergehenden Überspanntheit und Seelenverzückung durchaus auch misstrauisch gebraucht wurde.
Chinas Literatur wiederum stellte über die Jahrtausende nicht den Roman, sondern die Poesie in den Mittelpunkt, vielleicht müsste man die Liebe hier eher eine poetische nennen. Andererseits, um noch einmal zurück auf die Romantik-Top-Ten zu kommen: Die Liste erstellt hat Amazon China, die Firma schaute einfach nach, welche Stadtbürger die meisten Liebesromane bestellten. Im prosaischen Zhengzhou ist also, durchaus nachvollziehbar, einfach der Hunger nach abenteuerlicher Erhitzung der Gefühlswelt ein besonders grosser. Und das toxische Baotou? Hilfestellung gibt hier das Grimmsche Wörterbuch, welches über romantische Orte schreibt, dahinter verberge sich etwa «in der mahlerey die vorstellung einer gegend mit ruinen». Passt.
Ein Kommentar zu «Die «romantischste» Stadt Chinas»
Ich habe kurz gecheckt aber momentan leider keine Nachrichten von den von Ihnen genannten Medien gefunden, die Zhengzhou und Romantik zusammenstellen. Woher bekommen Sie denn diese aufhetzende Aussage dass Zhengzhou die romantischste Stadt Chinas ist? Ich interessiere mich dafür, was ein Deutscher denken würde, wenn er einen Artiel von einem sogenannten chinesischen Deutschlandforscher läse, laut dem Dessau oder Gelsenkirchen als die romantischste Stadt Deutschlands bezeichnet wäre…
Also kein Aufbauschen bitte bitte 🙂