Das Revival der Schuhputzer

Schuheputzen gegen die Armut, auch in Portugal: Ein Kunde lässt sich in Lissabon die Schuhe polieren. Foto: Paulo Duarte (Keystone)

Schuhputzen gegen die Armut, auch in Portugal: Ein Kunde lässt sich in Lissabon die Schuhe polieren. Foto: Paulo Duarte (Keystone)

Es soll mal Zeiten gegeben haben, da stellten sich Herrschaften fast aller Klassen in Warteschlangen, um sich die Schuhe putzen zu lassen. Die mussten nicht teuer gewesen sein, aber glänzen sollten sie. An der Piazza Politeama in Palermo zum Beispiel lief das Geschäft der Schuhputzer in jenen Zeiten so gut, vor allem sonntags, dass man es wohl nicht für möglich gehalten hätte, es könnte jemals ganz verschwinden.

Ende der Achtziger war es so weit, der letzte Sciuscià hörte auf. So, mit einer lautmalerischen Anlehnung an das englische «Shoeshine», nennt man sie in Italien seit dem Zweiten Weltkrieg, als amerikanische Soldaten nach der Politur ihres Schuhwerks verlangten. Es wirkte immer unangenehm herrenhaft, wie die Kunden da auf den Sesseln thronten, die Putzer zu ihren Füssen. Aber eben, das waren andere Zeiten. Das Gewerbe des Schuhputzers hatte nicht den niederen Status, der ihm heute anhängt.

Draussen, wie früher

Nun erfährt der Sciuscià ein überraschendes Revival. Nicht als romantische Mode, als weitere Variante der mächtigen Retrowelle. Sondern aus Not, als Chance im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Die ist im Süden Italiens besonders hoch, gerade unter den Jungen. Jede Initiative ist da willkommen. Der Gewerbeverband von Palermo baut in diesen Tagen eine Kooperative für Schuhputzer auf und sucht dafür fünfzehn geeignete Bewerber. Sie sollen umsonst ausgebildet werden, ein Schuhmacher wird sich um sie kümmern. Wenn sie den Beruf dann mal beherrschen, werden sie auf fünfzehn Plätze verteilt – draussen, im Freien, wie früher. Es wird dann wieder einen Sciuscià geben vor dem Teatro Massimo, einen vor dem Bahnhof, einen beim Markt, der wunderbaren Vucciria. Der Kunde wird während des Bürstens und Polierens gratis im Internet surfen und sein Handy aufladen können – der Totalservice gewissermassen.

Fünfzehn Kandidaten also sucht der Gewerbeverband. Doch in wenigen Tagen sind mehr als 120 Bewerbungen eingegangen. Er sei überwältigt worden vom Andrang, sagte der Verbandspräsident, Nunzio Reina. Gemeldet haben sich, wie die Zeitung «La Stampa» berichtet, junge und nicht mehr ganz junge Uniabsolventen, die keinen Job finden, ein arbeitsloser Teppichhändler, ein gelernter Zahntechniker, der sich ohne Fortüne als Immobilienmakler versucht hatte und fast alles annehmen würde.

Stattliches Gehalt

Freilich, im Vergleich zu den 308’000 Italienern, die sich kürzlich auf 800 Stellen als Kanzleimitarbeiter in den italienischen Gerichten gemeldet haben, nehmen sich 120 wie eine bescheidene Zahl aus. In diesem Fall aber hoffen Menschen auf einen Job ganz unten auf der Statusskala.

Natürlich kann man sich fragen, ob Palermo überhaupt fünfzehn Sciuscià braucht. Wer trägt denn noch Schuhe, die es wert wären, fremdgeputzt zu werden? Viele Junge und Mittelalte tragen Turnschuhe, die Touristen am liebsten Strandschlarpen. Und wie viel wären wohl die bereit zu zahlen, die noch glänzen wollen mit ihren Latschen – vielleicht vier, fünf Euro? Verbandspräsident Reina glaubt, dass es ein Sciuscià auf 1200 Euro im Monat bringen könne. Man werde alles zusammenlegen, was zusammenkomme, und die Summe gerecht auf alle fünfzehn verteilen. In Sizilien wären 1200 Euro ein stattliches Gehalt. Und eine schöne, willkommene Sensation.

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Ein Kommentar zu «Das Revival der Schuhputzer»

  • Josipovic Zlatko sagt:

    Es war einmal ein Schuhputzer am Zürich HB, vor vielen Jahren…. immer gut aufgelegt und gesprächig über das Geschehen in der Stadt…. dem haben sie das Putzen der Schuhe verboten…..

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